Dominique de Villepin war von 2002 bis 2004 französischer Außenminister und von 2005 bis 2007 französischer Ministerpräsident. Der Beitrag ist zuerst am 1. Oktober 2014 in der Pariser Tageszeitung Le Monde unter dem Originaltitel “Cessons ces guerres suicidaires et donnons enfin une chance à la paix!” erschienen. Gerhard Kilper hat ihn für Wirtschaft und Gesellschaft – Analyse & Meinung ins Deutsche übersetzt. Die Übersetzungen Gerhard Kilpers gewähren uns nunmehr seit geraumer Zeit wertvolle Einblicke in die französische Presse und die dort stattfindenden Diskussionen wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Themen.
Wenn Frankreich der Meinung ist, Krieg gegen den Terrorismus könne die Lösung bringen, verleugnet es sich selbst. Antiterror-Kriege, das haben die Kriege in Afghanistan und im Irak gezeigt, können nicht gewonnen werden. Das Gesetz des Guerilla-Krieges dominiert. Diese Kriege sind unendliche Kriege gegen einen sich immer wieder neu aufstellenden Feind, der an Legitimität, Wahrnehmbarkeit und Glaubwürdigkeit gewinnt – es sind Kriege ohne Hoffnung. Selbst wenn wir den Islamischen Staat (IS) vernichten, werden neue schiitische, sunnitische, islamistische oder nationalistische Konflikt-Gefahrenherde auftauchen. Zehn Jahre nicht abgestimmte Kriege im Mittleren Orient standen Pate bei der Geburt des IS, nährten ihn und verschafften ihm Zulauf.
Kriege gegen den Terrorismus können keine Lösungen bringen. Unsere Regierung engagiert sich in der Hoffnung, ein im Fernsehen gezeigter und über das Fernsehen geführter Krieg werde den legitimen Emotionen der Franzosen gegenüber der Barbarei gerecht. Als mediale Speerspitze der Koalition und als Hilfsinstrument trügerischer lokaler Kriegskulissen wird Frankreich auf zwei Feldern verlieren. Sein Hoheitsgebiet und seine Bürger auf der ganzen Welt werden Attentaten und Entführungen ausgesetzt sein.
Dass zu handeln ist, steht außer Frage. Die aufgespannte Kriegslogik-Falle besteht in der Festlegung auf eine Politik des alles oder nichts. Die internationale Handlungseffizienz hängt von eigenen Handlungsspielräumen, von Verantwortungsübernahme durch Partner und von der Ausschöpfung der ganzen Skala möglicher Maßnahmen – inklusive militärischer Optionen – ab.
Der IS stellt eine neuartige, sehr beunruhigende Art der Bedrohung dar. Er ist die Hybride einer fanatisierten totalitären Partei, einer lukrativen kriminellen Organisation und eines Kriegsunternehmers, der seine Marke auf dem Weltmarkt plazierte. Der IS übt auf seinem Territorium Macht aus über eine Allianz, die aus Scherbenresten des Saddam Hussein-Regimes und aus sunnitischen Stammes-Ältesten sowie sunnitischen Stadtteil-Chefs besteht, welche die sektiererisch-schiitische Regierung des Irak ablehnen.
Vonnöten ist jedenfalls eine politische Strategie zur Eindämmung und Erstickung des IS, mit der zunächst seine Einnahmen aus Öl- und Schmuggelgeschäften ausgetrocknet werden. Darüber hinaus müsste dem IS die Unterstützung gemäßigter Sunniten dadurch entzogen werden, dass diesen ein integrierender Dialog mit politischen Garantien im neuen Irak angeboten wird. Schließlich sollte der Rekrutierungsnährboden des IS ausgetrocknet werden. Die Auflösung des IS beginnt, sobald seine Aktionen ins Stocken geraten. Dazu sind gezielte militärische Aktionen erforderlich, die aber primär von Ländern der Region mit Unterstützung lokaler, irakischer, kurdischer, jordanischer und syrischer Oppositions-Kräfte geführt werden sollten.
Weiterführend brauchen wir eine Strategie zum Schutz unserer Bürger und unseres Hoheitsgebiets. Unsere Präventionskapazitäten gegen Radikalisierungstendenzen, besonders in Gefängnissen oder im Internet, müssten gestärkt werden, ohne dabei unsere Grundsatz-Werte-Entscheidung für individuelle Freiheitsrechte und demokratische Prinzipien in Frage zu stellen. Aus bisherigen Fehlern sollten Konsequenzen gezogen werden, die Funktionstüchtigkeit von Justiz und Geheimdiensten ist durch eine erweiterte Kooperation auf europäischer Ebene zu verbessern.
Seit zehn Jahren plädiere ich für politische Lösungen und Strategien der Kriegsvermeidung. So schlug ich für den Irak 2003 eine Verstärkung der Inspektionen, für Libyen 2011 eine Luftverbotszone und die Unterstützung der Rebellen vor, ohne jedoch die rote Linie der Regime-Zerstörung zu überschreiten. In Syrien war ich für internationale Sanktionen und für die Errichtung humanitärer Korridore zur Rettung von Zivilisten. Jedesmal kam der Einwand: es gibt nur den Krieg und sonst nichts. Und selbst wenn der Krieg dann nichts taugt, warum diese blinde Kriegslogik?
Weil Frankreich nicht mehr an sich selbst (und die demokratischen Errungenschaften seiner Geschichte und Zivilisation) glaubt. Weil Frankreich wie besessen vom Schwindel einfach daher kommender Ideen ist. Seit sieben Jahre gleitet Frankreich nun in den demokratisch-westlichen Militarismus ab, der von Frankreichs Zukunftsangst und Zweifeln über seine politische Rolle und Aufgabe zeugt. Frankreich taucht jeden Tag mehr in den Expeditionskorpsgeist ein, der in der Endzeit der IV. Republik vorherrschte (unter Ministerpräsident Guy Mollet 1956-57).
Aber das Böse ist heute viel umfassender verbreitet und hat sich des ganzen Westens bemächtigt. Der Anti-Terrorkrieg begeht Verrat an unserer Sicht der Welt, er verkörpert die Suizid-Versuchung einer Zivilisation. Diese leidet an gefühlter Ohnmacht und an gefühltem Abstieg, an Angst vor der Welt und den anderen und sie leidet auch an ihrer Überzeugung ethisch-moralischer Überlegenheit. Der Islamismus wiederum hat die Form eines nihilistischen Rausches angenommen. Der Mittlere Orient erlebt gegenwärtig eine Modernisierungskrise, der den gewachsenen regional-konfessionellen und nationalen Identitäten schwer zusetzt. Schon die Kolonisierung schwächte traditionelle Solidaritätsbande, die Globalisierung fegte sie dann vollends hinweg. Wirtschaftliche Entwicklung und die Herausbildung neuer Mittelklassen, verbunden mit dem Aufschwung der Kommunikationsmedien weckten alte Dämonen und schufen neue Ängste.
Das von George W. Bush imaginierte Feindbild globaler Krieg gegen den Terrorismus findet seinen Widerpart im globalen Kalifat. Mit gleicher Neigung für Ideologie, mit gleichem Gewaltreflex und mit gleicher Bilder-Leidenschaft. Das ist die Falle der Opfer-Konkurrenz und des Tangos der Schlachthöfe! Ein Feindbild nährt das andere und beide geben sich mit Leib und Seele ihren Ängsten hin. Der islamische Terrorismus ergötzt sich an der Inszenierung seines Opfertums, die westlichen Länder neigen dazu, ihre Kollateralschäden zu verstecken. Der Kult der Körperopferung verwandelt sich in Selbstmordattentate und wendet sich gegen die Obsession eines Null-Risiko-Krieges, in dem Drohnen als Strafe aus heiterem Himmel niederprasseln. Es sind zwei Kreuzzugsfahnen, die lokal geführten Kampfhandlungen einen globalen Sinn geben sollen. Zwei Sprachwelten, die existenziellen Ängsten Ausdruck geben. Und die das Risiko gegenseitiger Zerstörung in sich tragen.
Wir sind zurzeit dabei, eine weitere Schwelle hin zu einem Krieg der Zivilisationen zu überschreiten, aber noch ist nicht alles verloren. Es bleibt die Chance einer Friedeninitiative und die Chance den Frieden zu wagen unter der Bedingung, dass mit der Logik des Krieges gebrochen wird. Im Kampf gegen den Terrorismus müssen lokale Friedenslösungen gefunden werden. Zuvorderst müsste hier die Rolle der schwächelnden Staatsnationen als Nährboden und Ursprung des Identitätsverlusts ihrer Bürger gestärkt werden. Die EU könnte den Vereinten Nationen eine Plattform zum Wiederaufbau staatlicher Strukturen, sowie zur Konsolidierung von Verwaltung und öffentlichem Dienst in den Konfliktstaaten anbieten (Mali, Zentralafrika, Ukraine).
Wir sollten die Strategie eines Dialogs in den Vordergrund stellen. Pazifizierungs-Schlüssel sind die Anerkennung von Rechten von Minderheiten, sowie Modelle und Formen politischer Vertretung und Autonomie. Eine wesentliche Aufgabe besteht (im Nahen und Mittleren Osten) darin, den schiitisch-sunnitischen Dialog neu zu beleben und sowohl (das sunnitische) Saudi-Arabien als auch den (schiitischen) Iran an den Verhandlungstisch zu bringen.
Eine multilaterale militärische Eingreiftruppe der Vereinten Nationen könnte aus der Logik des alles oder nichts herausführen. Unter Inkaufnahme militärischer Bodenpräsenz könnte eine wirkliche Friedensstreitmacht ins Leben gerufen werden. Im Irak und in Syrien ist eine zeitweilige Stationierung von Puffer-Truppen zwischen den Religions- und ethnischen Gemeinschaften erforderlich.
Die Ambitionen eines solchen Programms können nur im Kontrast mit den Gefahren gesehen werden, denen wir durch die Spirale permanenter Kriege ausgesetzt sind. Der Stimme der Friedensvision seine Stimme zu verleihen, das ist Frankreichs Rolle und Bestimmung.
Dominique de Villepin
ancien premier ministre
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