Die neueste Restauration begann mit den neuesten Konjunkturmeldungen. Die malen düster und schließen eine Rezession in Deutschland und Europa nicht aus. Die Wirtschaftsforscher der großen Institute nutzten ihre nach unten korrigierten Prognosen nicht zur Selbstkritik, sondern zur Kritik an der Renten- und Mindestlohnvereinbarung der Großen Koalition. Die einschlägigen Medien von der “Welt” bis zum “Deutschlandfunk” griffen diese Kritik eins zu eins auf und spitzten sie nicht selten zu. Das alles verrät mehr über den Zustand unserer Demokratie, als über die Konjunktur. Wirtschaftswissenschaft, Politik und Medien bilden eine unheilige Allianz, die längst unsere Demokratie zur Disposition stellt – auch ohne Wirtschaftskrise. Die “vierte Gewalt” ist in großen Teilen zum verlängerten Arm einer ebenso primitiv wie einseitig argumentierenden, aber schlagkräftigeren Arbeitgeberverbandslobby mutiert. Das zeigt auch die aktuelle Berichterstattung zum Streik der GdL.
Ein einschlägiges Beispiel lieferte heute früh – beileibe nicht zum ersten Mal – Christiane Kaess im Deutschlandfunk, diesmal im Interview mit Peter Ramsauer. Nicht etwa, dass Kaess Ramsauer fragt, wo denn der Zusammenhang sein soll, zwischen Konjunkturabschwächung und geplantem Mindestlohn, Mütterrente und Rente mit 63, deren Aussetzung Ramsauer nun eben wegen der Konjunkturabschwächung fordert. Nein, Kaess dient im Gegenteil als absolut unreflektierter Stichwortgeber und Papagei:
“Dennoch sind – das haben Sie auch selber gerade schon kurz angesprochen – einige Maßnahmen der derzeitigen Wirtschaftspolitik stark in die Kritik geraten, nämlich Mindestlohn, Mütterrente, Rente mit 63. Das hemmt offenbar die Unternehmen sogar stärker als bisher angenommen. Fressen diese Wahlgeschenke jetzt das auf, was wir eigentlich für die Investitionen bräuchten?”
Zurecht antwortet Ramsauer ihr (kursive Hervorhebung WuG):
“Wir gehen mit diesen Dingen, die Sie jetzt gerade wiederholt haben, die ich gerade genannt habe, natürlich schon zum Teil über das hinaus, was der Wirtschaft zumutbar ist.”
Und das im öffentlich-rechtlichen Rundfunksender mit der größten Reichweite in ganz Deutschland. Dass das kein Zufall bei Kaess ist, zeigt ein Interview, das sie gerade erst vor wenigen Tagen mit dem Vorsitzenden des DGB geführt hat (siehe dazu kritisch hier). Dass das auch kein Zufall beim Deutschlandfunk ist, zeigen zahllose Beiträge. Ich verweise nur auf das Interview, das Christoph Heinemann soeben in den Informationen am Mittag mit Hubertus Heil geführt hat. Und auf den Kommentar von Theo Geers zur Gemeinschaftsdiagnose der Wirtschaftsforschungsinstitute. Gewiss, ein Kommentar soll pointiert ausfallen und Meinung ausdrücken. Aber: Wann bzw. wie oft hört man im Deutschlandfunk entsprechend pointierte Kommentare, die einen alternativen Blick auf die Wirtschaft zeigen, einen, der beispielsweise in der angelsächsischen Welt selbstverständlich ist?
Ich kann nicht anders als zu attestieren, dass der Deutschlandfunk seit geraumer Zeit eine ganz unrühmliche Rolle in der Berichterstattung spielt. Ich höre ihn jeden Tag und verweise auf die vielen Beiträge und monatlichen Medienanalysen, die in WuG hierzu veröffentlicht worden sind. Das ist besonders bedauerlich, weil der Deutschlandfunk von der Anlage her sicherlich immer noch der hochwertigste Sender in Deutschland ist. Das ist er aber auch, weil er viel Geld durch die Rundfunkgebühren erhält. Dem Anspruch eines aufklärerischen Journalismus wird er bei zentralen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Themen dabei nur noch äußerst eingeschränkt gerecht.
Bei der hier nur beispielhaft dargelegten Berichterstattung schneiden andere Leitmedien und deren Politik- und Wirtschaftsredaktionen nicht besser ab. Sie ähneln sich vielmehr wie ein Ei dem anderen. Wo war zuletzt in der Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), der Süddeutschen Zeitung (SZ), der Welt etwa ein Leitartikel, ein Leitkommentar zu lesen, der das oben skizzierte hinterfragt und nicht die buchstäblich herrschende Meinung herunterbetet und nach Gutdünken zurechtbiegt? Wo in der FAZ, der SZ, der Welt ist die Meinungsvielfalt gar fester Bestandteil der Berichterstattung und Kommentierung? Ob Ukraine-Konflikt, ob Russland, ob Islamischer Staat, besonders aber in der Konjunktur und Wirtschaftspolitik? Nichts davon. Wie können sich die dort tätigen JournalistInnen nur mit dieser Arbeit zufrieden geben bzw. arrangieren? Ist es die Karriere? Ist es die Existenz? Das sind berechtigte Anliegen. Wie aber können Intendanten und Herausgeber solche Einseitigkeit honorieren oder auch nur tolerieren oder sie gar zur Voraussetzung journalistischer Arbeit machen?
Der Vorwurf, den ich an diese Intendanten, Chefredakteure und Herausgeber richte ist kein geringerer als dieser: Sie sind eine Gefahr für die Demokratie!
Das jüngste Beispiel ist die Berichterstattung über den GdL-Streik. Da wird personifiziert und diskreditiert, dass sich die journalistischen Balken biegen (siehe zum Beispiel hier und hier). Und wieder stellt sich die Frage: Gibt es wenigstens eine entsprechende Medienmacht, die auch anders über dieses Thema berichtet? Nein, es gibt sie nicht. Wieder ähnelt sich ein Ei dem anderen. Die SZ postet auf ihrer facebook-Seite zum Thema vielsagend:
Auf Kritik daran der Leiter des “@sz-Leserdialogs”:
“An welcher Formulierung machen Sie eine einseitige Stimmungsmache gegen die GdL fest?” Ich antworte: “Streik als ´Leid´, Streik als ´Beeinträchtigung´…die ganze Formulierung des Posts.” Der Leiter des “@sz-Leserdialogs” aber scheint nicht zu verstehen. Er antwortet: “Jeder Streik ist eine Beeinträchtigung, bei der es Leidtragende gibt. Das stellt die Aktion der GdL nicht zwangsläufig negativ dar.”
Deutschland braucht dringend eine Debatte über den Zustand der Medien. Wo sind die politischen und journalistischen Eliten, die diesen Namen verdienen und sich dem stellen, besser noch, diese Debatte einfordern und führen?
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