Tarifabschlüsse 2014: Undurchsichtige Tarifverträge und nicht existenzsichernde Branchenmindestlöhne

Die Botschaft der Zwischenüberschrift hätte in die Überschrift gehört: Das Statistische Bundesamt meldete am Freitag vergangener Woche: “Tarif­abschlüsse lagen 2014 häufig bei 3,0 % und mehr“. Die viel wichtigere Botschaft, die diejenige in der zitierten Überschrift stark relativiert, lautete: “Trend zu länger laufenden Abschlüssen”. Und noch eine unbefriedigende Meldung hielt das Statistische Bundesamt ebenda bereit.

Schon im ersten Absatz fasst das Statistische Bundesamt ein sich seit längerem abzeichnendes Problem gut zusammen (kursive Hervorhebung WuG):

“Die Tarifrunde 2014 ist seit der Jahresmitte überwiegend abgeschlossen. In vielen Branchen einigten sich die Tarifvertragsparteien für das Jahr 2014 auf ein Plus von 3,0 % und mehr. Viele Abschlüsse enthalten zudem Tariferhöhungen für das Jahr 2015. Diese liegen in der Regel niedriger. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) weiter mitteilt, zeigt sich damit ein Trend zu länger laufenden Tarifabschlüssen.”

Um auf einen Blick ersehen zu können, ob Tarifabschlüsse, wie Lohnsteigerungen generell, angemessen sind, also den gesamtwirtschaftlichen Verteilungsspielraum (Produktivitätsentwicklung+Inflationsziel der Europäischen Zentralbank) ausschöpfen, ist es wichtig zu erfahren, wie hoch die vereinbarten Lohnabschlüsse für 12 Monate im Durchschnitt ausgefallen sind. Die Gewerkschaften leisten dies nicht. Das Statistische Bundesamt in seiner Meldung auch nicht, allerdings veröffentlicht das Statistische Bundesamt immerhin auch einen Tarifindex, der eben dies für die Gesamtwirtschaft und einzelne Branchen erkennen lässt (siehe Statistisches Bundesamt auch hier).

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Es ist intransparent und Ausdruck fehlender gesamtwirtschaftlicher Verantwortung, dass die Gewerkschaften es dem Statistischen Bundesamt bei der Veröffentlichung von Tarifergebnissen nicht gleich tun. Vieles spricht dafür, dass die Gewerkschaften die zentrale Überlegung des gesamtwirtschaftlichen Verteilungsspielraums schon bei den Tarifverhandlungen ausklammern bzw. nicht angemessen berücksichtigen. Nicht zuletzt die häufig unbefriedigenden Tarifergebnisse, aber auch die fehlende Systematik in der öffentlichen Argumentation, die Tarifverhandlungen begleitet. Stattdessen werden allzu häufig politische Parolen gepflegt und schlechte Tarifabschlüsse schön geredet.

Wir überprüfen auf der Grundlage der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung und des Tarifindexes regelmäßig, ob der Verteilungsspielraum durch die Tarifabschlüsse und die allgemeine Lohnentwicklung ausgeschöpft wurde (siehe zuletzt hier [vollständiger Beitrag im Abonnement]). Im ersten und zweiten Quartal des laufenden Jahres war dies bei den Tarifabschlüssen der Fall.

Die Meldung des Statistischen Bundeamts hält jedoch eine weitere Information bereit, die ebenfalls kein gutes Licht auf die Gewerkschaften wirft:

“In einigen Branchen wurden 2014 auch allgemeingültige tarifliche Mindestlöhne neu vereinbart. Die Bundesregierung hat ab dem 1. Januar 2015 einen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde beschlossen. Er soll mit wenigen Ausnahmen für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gelten. In einer zweijährigen Übergangszeit sind für laufende Mindestlohnverträge Bruttostundenverdienste unter 8,50 Euro erlaubt. Dies gilt beispielsweise deutschlandweit in der Fleischwirtschaft und im Friseurhandwerk, in Ostdeutschland und Berlin für den Bereich der Zeitarbeit sowie in der ostdeutschen Gebäudereinigung.”

Wir haben in vorangegangenen Beiträgen jene Ausnahmeregelung kritisiert, nicht nur, weil sie den angestrebten gesetzlichen Mindestlohn unterläuft, sondern auch, weil der angestrebte gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro bereits nicht existenzsichernd ist (siehe dazu zuletzt hier [vollständiger Beitrag im Abonnement]) und hier). Die jetzt vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten, allgemeingültigen tariflichen Mindestlöhne für einzelne Branchen bestätigen diese Kritik. Die Gewerkschaften müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, sich an dieser Stelle am Lohndumping zu beteiligen.

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