Verkürzter Streik: Bahnvorstand und tonangebende Medien schlachten Entgegenkommen der GDL aus – und lassen dabei jede Achtung vor dem Rechtsstaat und dem Grundgesetz vermissen

Das Entgegenkommen der GDL an die Bahn und die Reisenden, den Streik schon morgen abzubrechen und nicht bis Montag früh wären zu lassen, erweist sich als Fehler. Nicht deswegen, weil – nach der gerichtlichen Klärung der Grundrechtsfrage zugunsten der GDL und gegen den Bahnvorstand – Entgegenkommen und Kompromissbereitschaft zu signalisieren und durch entsprechendes Handeln Ausdruck zu verleihen falsch wären, im Gegenteil, sondern weil die Gegenseite, zu der man seit Beginn der Eskalation leider auch die tonangebenden privaten und öffentlich-rechtlichen Medien zählen muss, jenes Entgegenkommen verdreht darstellt und zugunsten der Bahn-Unternehmensführung, aber gegen die GDL auslegt.

Bahnvorstand Weber fühlt sich trotz Niederlage vor Gericht bestätigt

Das zeigte sich sogleich nachdem der GDL-Vorsitzende Claus Weselsky noch am Gericht jenes Entgegenkommen, den Streik zu verkürzen, ausgedrückt hatte. Bahn-Personalvorstand Ulrich Weber meinte tatsächlich, sich durch das Entgegenkommen der GDL bestätigt sehen zu dürfen, obwohl er vor Gericht auf ganzer Linie gescheitert war. “Mit dem vorzeitigen Streikende haben wir heute ein wesentliches Ziel erreicht”, heißt es in der entsprechenden Pressemitteilung der Bahn (siehe hier). Ein Journalist der Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) hatte zuvor schon aus dem Gericht getwittert:

Und laut derselben Quelle hat Weber das Entgegenkommen Weselskys als “Effekthascherei” abgekanzelt:

“Die Welt” informiert nicht, sie manipuliert

Noch toller treiben es viele Medien. So berichtete “Die Welt” über das Ergebnis mit der Eilmeldung:

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“Die Lokführergewerkschaft GDL hat ein Einsehen…” Das Scheitern des Bahnvorstands und die Rechtsprechung durch zwei Instanzen für die GDL ist der “Welt” keine Silbe wert. Sie verdreht noch dazu das Entgegenkommen der GDL in ein “Einsehen”, als hätte die GDL verloren. Das ist – wie vieles in der “Welt” – kein Journalismus mehr, sondern dessen Missbrauch: Journalismus informiert. “Die Welt” manipuliert. Es lässt zugleich jede Achtung vor dem Rechtsstaat und dem Grundgesetz vermissen.

Sandra Schulz kriminalisiert den Streik im Deutschlandfunk auch noch im Nachhinein

Mit dem Rechtsstaat und dem Grundgesetz nicht so genau halten es auch JournalistInnen des Deutschlandfunks. Auch dieser öffentlich-rechtliche Sender hatte zuvor bereits sehr eindimensional über den Streik und die Tarifauseinandersetzung berichtet und Programm gemacht (siehe dazu verschieden Beiträge in WuG aus den vergangenen Tagen und Wochen oder im Archiv des Deutschlandfunks).

So meinte Sandra Schulz in ihrem Kommentar heute abend, im Anschluss an das Urteil des Gerichts doch tatsächlich: “Dass die Bahn vor Gericht verloren hat, das ist schlecht…Die Frankfurter Richter hätten anders entscheiden können, ohne das Grundgesetz mit Füßen zu treten. Im Kern ging es um die Frage: Ist dieser Streik – angekündigt über mehrere Tage, in der ganzen Republik, im Güter- und Personenverkehr – ist dieser längste Streik in der Geschichte der Bahn verhältnismäßig? Wohl kaum…Die GDL kämpft für die Arbeitsbedingungen von Tausenden. Aber in Geiselhaft hat sie Millionen genommen…Wirtschaftlich geht es um Millionen von Euro. Und es geht um die Mobilität unserer Gesellschaft…Und es geht ums Prinzip…” Mit Prinzip meint Schulz jedoch nicht etwa die Grundrechte, um deren Verteidigung es in dem Verfahren ging, sondern: “Welche Mobilität wollen wir?” (Ich empfehle ihren Kommentar, der leider nur als Audio verfügbar ist, unbedingt in Gänze zu hören; die Betonung der hier zitierten Charakterisierung des Streiks und dessen Kriminalisierung – “Geiselhaft” – spricht darin schon Bände.) Die Tendenz, die Schulz hier zum Ausdruck bringt, ist exemplarisch für viele Beiträge und Interviews der letzten Tage und Wochen im Deutschlandfunk. Würden die Medien funktionieren, wäre dies entweder nicht möglich oder für sich genommen ein Medienskandal.

Ich schrieb sogleich nachdem das Urteil des Gerichts heute zugunsten der GDL ausgefallen war auf der und : “Jetzt wird es interessant, wie die tonangebenden Medien mit dem Urteil umgehen.”

Der Umgang der Medien übertrifft die schlimmsten Erwartungen.

Perspektiven

Umso begrüßenswerter ist die eindeutige Entscheidung des Landesarbeitsgerichts. Es ist davon auszugehen, dass es zu weiteren Streiks kommen wird, sollte sich die Bahn wieder dazu versteigen, das Grundrecht (Artikel 9 des Grundgesetzes) der Tarifpluralität und Koalitionsfreiheit bei erneuten Tarifverhandlungen nicht zu akzeptieren. Die Bahn wird, sollte sie sich auf diese Art Tarifverhandlungen erneut verweigern, zum Bundesverfassungsgericht ziehen müssen. Ihr Anwalt soll das bereits erwogen haben. Dann würde eine erneute Klärung herbeigeführt werden. Zu hoffen wäre allerdings, dass das Entgegenkommen der GDL wie die unmissverständliche Urteilsbegründung des Landesarbeitsgerichts nun den Weg zu ordentlichen Tarifverhandlungen ermöglichen.

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