Der WuG-Adventskalender, 8. Dezember: Wolfgang Schöller über Weihnachten
8 Dezember

In diesem Jahr stellen wir zwei Fragen, die auf den ersten Blick vielleicht einfach erscheinen, die bei näherer Überlegung aber doch nachdenklich stimmen und zur inneren Einkehr mit sich selbst einladen: Was verbinden Sie mit Weihnachten? Was wünschen Sie sich zu Weihnachten? Die Antworten auf diese Fragen fallen bestimmt sehr unterschiedlich aus: persönlich, gesellschaftlich, humorvoll, nachdenklich, ein kurzer Satz, eine Anekdote oder eine kleine Weihnachtsgeschichte. Wer will das im Vorhinein schon so genau wissen, was und wie jemand für und zu Weihnachten empfindet? Und das soll ein Adventskalender ja schließlich auch: überraschen. Hier, zum 8. Dezember, Wolfgang Schöller, Professor emeritus für Volkswirtschaftslehre. Er hat bereits zum ersten Weihnachtstag und zum Neujahr vergangenen Jahres überaus lesenswerte Geschichten verfasst (siehe hier und hier).

Da ich keinerlei Weihnachtsgefühle empfinde, ist es schwierig, etwas zu
antworten. Was dennoch geblieben ist, sind frühe Erinnerungen.
Wie sollte das anders sein, als dass mir wieder die Klosterkirche vom
Ammersee einfällt. Die Mitternachtsmette war immer ein großes Ereignis. Da
zeigte die katholische Kirche so richtig selbstbewusst, dass sie für alle Sinne
etwas zu bieten hat: Barockmusik, Weihrauch, Kerzen, Theaterspiel, Farben. Da sahen doch die Protestanten in ihrer kahlen Kirche recht blass aus.

Bevor die Kirche voll erleuchtet wurde, der Chor Händel usw. sang, zogen wir
Ministranten mit Kerzen hinter der Maria mit dem Kind durch die Kirche. Die
Maria war die Reni aus der Nachbarschaft. Sie war das einzige Kind einer
frommen armen Witwe. Die Reni hatte zwar denselben Schulweg wie ich, doch
sie war sehr fromm, ging nie mit einem Jungen zusammen zur Schule. Sie hat
sozusagen nie einen Jungen nicht angeschaut.

Nun, die Reni durfte die Maria spielen. Ihre langen blonden Haare waren mit reichlich Zuckerwasser zu Engelslocken gelegt. Sie trug ein langes weißes Nachthemd. Aber das
Wichtigste war natürlich das Jesuskind auf ihren Armen. Das Jesuskind war
nicht irgendeine Stoffpuppe, es war ein kratziges Steckkissenbaby original
aus der Barockzeit. Entsprechend ungewaschen sah das Gesicht aus.

Nun, bis zu den Stufen zum Bereich des Hochaltars gingen wir mit der Maria vor uns
langsam bei Zittermusik voran. Dann aber stolperte die Reni über ihr langes Nachthemd und lies den Jesusknaben fallen. Dessen barocker Kopf, der aus Wachs oder Gips war, lag neben dem Steckkissen und zeigte eine große Delle.

Wenig später war wie üblich richtig was los. Über dem Hochaltar war eine
barocke riesige Bühne. Die wurde nun erleuchtet. Da kniete, als sei nichts
gewesen, die Heilige Familie, Hirten, Engel vor der Krippe mit dem barocken
Jesusknaben mit der sicherlich noch riesigen Beule.

Auf dem Heimweg bei tiefem Schnee lachten die Leute über das arme Jesuskind
und sagten zum Abschied durchaus zweideutig: “Fröhliche Weihnachten”.

Weihnachten habe ich später einfach ignoriert, ohne ideologische
Verkrampftheit. Als ich in Mosambik lebte, wohnte ich in einem Hochhaus mit
Blick auf den Indischen Ozean. Ich saß nach getaner Arbeit abends auf dem
Balkon und genoss den Wind vom Meer. Plötzlich erklang vom Balkon über mir in
sehr breitem Sächsisch: “Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum”. Da erinnerte ich mich
an Weihnachten, das damals in Mosambik normaler Arbeitstag war.

Und heute? Vom so genannten Konsumterror als dem Lieblingsthema damals der APO und nun der besinnlichen Predigten zur Weihnachtszeit habe ich nie viel
gehalten. Lange hatte ich zu wenig Geld, um am Konsumterror teilnehmen zu
können. Ich hielt auch schon damals das Gerede vom Kunsumterror für eine linke
Phrase der vielbeschworenen “Sättigungsthese”. In diesem Sinne wünsche ich den
Leuten mehr Geld in der Tasche. Trotz der “Sättigungsthese” würden die
Umsätze zur Weihnachtszeit deutlich zunehmen.

Wenn Sie möchten, senden Sie uns auch Ihre Antworten an: info@wirtschaftundgesellschaft.de; Betreff: Adventskalender.

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