Eurokrise: Liest die Kanzlerin “Le Monde”?

Gerade erst hat die Bundeskanzlerin die französische Regierung wieder aufgefordert, ihre Volkswirtschaft stärker auf “Reformen” zu trimmen. “Reformen” heißt übersetzt: Staatliche Ausgabenkürzungen, Lohnsenkungen und Abbau von Arbeitnehmerrechten. In Deutschland auch als Agenda 2010 bekannt. In Europa seit dem Frühjahr 2011 als Austeritätspolitik. Unter völliger Missachtung der bisherigen Ergebnisse dieser Politik machen deutsche Politiker und Medien seit Monaten Stimmung gegen den französischen Nachbarn. Die französische Regierung scheint sich seit geraumer Zeit diesem Druck gebeugt zu haben. Ihre Politik setzt ganz im Sinne der Bundesregierung auf “Reformen” (siehe dazu ausführlich zuletzt hier und hier). Anzeichen für eine mögliche Kehrtwende haben sich bis zuletzt nicht erfüllt (siehe dazu zuletzt hier). Anders als die französische Regierung, wird in den französischen Medien unverhohlene Kritik laut. Ein jüngstes Beispiel hierfür lieferte Ende November der Redaktionsleiter der Tageszeitung “Le Monde”, Alain Frachon.

Unter der Überschrift “Die Eurozone liegt völlig daneben” (“La zone euro à côté de la plaque“) ruft Frachon: “Arme Eurozone!” (“Pauvre zone euro!”). Er kritisiert: “Die Eurozone unterscheidet sich vom Rest der Welt durch ihre besondere Unfähigkeit, Wohlstand zu kreieren. (“Elle se distinguerait du reste du monde par cette incapacité particulière à créer de la richesse.”)

Die Eurozone würde “gegen die Wand fahren”, sie sei “krank, verkümmert, erstickt”. “Kaum ein Prozent Wirtschaftswachstum in Aussicht, eine Arbeitslosenquote von 11,5 Prozent und die öffentliche Verschuldung unverändert hoch.”

Frachon verweist auf die angelsächsische Presse, die die Entwicklung der Europäischen Währungsunion seit langem kritisch begleite. Nachdem diese immer wieder den Euro für tot erklärt hatte, dieser aber doch vorerst weiterlebe, hätte sich jedoch der Blickwinkel dort geändert: “Allerdings beurteilen die Kommentatoren die Lage der europäischen Währungsunion dieses Mal anders. Sie sehen ihre Schwäche nicht mehr in der Staatsschuldenkrise, sondern im Kurs der Wirtschafts- und Finanzpolitik, den die Regierenden der 18 Mitgliedsländer unter der Führung Deutschlands eingeschlagen haben und den Brüssel umzusetzen hat – so wird es insbesondere auch bei den für den am 18. und 19. Dezember angesetzten Sitzungen des europäischen Ministerrats sein.”

(Vielen Dank an Gerhard Kilper für den Hinweis und für Übersetzungen aus dem Französischen.)

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