Griechenland: Reaktionen in Politik und Medien bar jeder Analyse

“Dabei war das Land, das vor ein paar Jahren am Abgrund stand und die Währungsunion insgesamt in die Krise stürzte, bis jetzt auf einem guten, wenn auch dornenreichen Weg: Der Haushalt hatte sich stabilisiert, die Wirtschaftsdaten zeigten nach oben. Jetzt scheint alles wieder auf der Kippe zu stehen; schon spielen die Märkte in Athen verrückt.” Das schreibt Klaus-Dieter Frankenberger, der immerhin laut Angaben seines Arbeitgebers, der Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), Volkswirtschaftslehre studiert hat und verantwortlich zeichnet für die Außenpolitik dieser Zeitung (siehe hier). Weder aber hat Griechenland die Währungsunion insgesamt in die Krise gestürzt, noch war das Land auf einem guten Weg, wie Frankenberger meint. Und auch seine Einschätzung, die Wirtschaftsdaten zeigten nach oben, kann einer Gesamtbetrachtung nicht standhalten. Mit seinem Beitrag bar jeder Analyse steht Frankenberger allerdings nicht allein, im Gegenteil, er ist einer unter vielen in den so genannten deutschen Leitmedien (siehe zum Beispiel auch Jan Dams und Martin Greive in “Die Welt“). Diese “Journalisten” sind nicht nur bar jeder Analyse, sie sind radikal, menschenverachtend und demokratiefeindlich. Wenn jemand die Europäische Währungsunion mit in die Krise gestürzt hat, dann sind es, neben der führenden Politik, diese unverantwortlichen Stimmungsmacher. Und das nun schon seit Jahren. Sie wollen nicht wahrhaben, dass es ihre Stimmungsmache und ihre distanzlose, unreflektierte Befürwortung der radikalen EU-Politik ist, die die politischen Ergebnisse zeitigt, die sie jetzt “radikal” nennen: “die Partei des Linksradikalen Alexis Tsipras” (Frankenberger); “Tsipras, das Schreckgespenst der Europäer, der Chef der linksradikalen Syriza” (Jan Dams, Martin Greive). Alle, die so hetzen, verdienen es freilich nicht, Journalisten genannt zu werden. Sie alle verdienten eine Rüge durch entsprechende journalistische Gremien. Nicht erst mit jenen oben aufgegriffenen Artikeln, sondern seit langem. Es scheint aber auch jenen Gremien seit langem jedes Maß für solche Rügen verloren gegangen zu sein.

Die Entwicklung in Griechenland war indes absehbar. Wir haben in verschiedenen Beiträgen immer davor gewarnt: vor einer zunehmenden Radikalisierung und Destabilisierung der Politik. Radikal aber ist zuallererst die Politik der Europäischen Kommission, die unter maßgeblicher Teilnahme der deutschen Politik nun schon seit Jahren Regierungen in Griechenland und anderswo politische Maßnahmen vorschreibt, deren Umsetzung buchstäblich über Leichen geht. Sie haben seit dem Frühjahr 2011 Millionen Menschen ihre Existenz genommen und jede Perspektive, sie auf absehbare Zeit wiederzugewinnen. Dabei war bei nüchterner Analyse von Anfang an klar, dass mit Ausbruch der Finanz- und Eurokrise 2009 kein strukturelles Problem vorherrschte, sondern ein konjunkturelles. Genau zu jenem Zeitpunkt sank die Zuwachsrate des realen Bruttoinlandsprodukts unter die Zuwachsrate des Produktionspotenzials. Unter diesen Voraussetzungen muss die Arbeitslosigkeit steigen. Statt aber das reale Wirtschaftswachstum zu stützen und zu fördern, hat man es mit erzwungenen staatlichen Ausgabenkürzungen und Lohnsenkungen stark belastet und es damit umso tiefer unter das Potenzialwachstum gedrückt. Unter diesen Umständen musste sich der Anstieg der Arbeitslosigkeit beschleunigen (siehe dazu ausführlich zuletzt hier und hier).

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Die herrschende Politik und ihr mediales Begleitorchester waren daher von Anfang an eine schlimme Verfehlung. Umso mehr ist dies das Ignorieren ihrer Folgen: der Massenarbeitslosigkeit, Verelendung, Perspektivlosigkeit und zunehmenden politischen Radikalisierung und Destabilisierung. Diese Verfehlung ist in der Geschichte beispiellos: denn sie übergeht die Erfahrungen aus den dreißiger Jahren und unternimmt die Fehler aus jener Zeit auch noch ohne jede Not. Dafür aber hat sie letztere nun geschaffen. Politik und Medien posaunen dennoch unbeirrt weiter ihren wirtschaftspolitischen Radikalismus.

Was werden diese Politiker und diese “Journalisten” reden und schreiben, wenn ihnen der Laden namens Europäische Währungsunion erst einmal richtig um die Ohren fliegt? Vielleicht müssen wir auf die Beantwortung dieser Frage nicht mehr allzu lange warten. Das eigentlich Erstaunliche ist ja nicht die mögliche politische Radikalisierung der Betroffenen, sondern, dass sie die Radikalität der bisherigen Politik und die andauernden radikalen journalistischen Anfeindungen so lange ertragen.

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