Hanno Beck irrt: Die “schwarze Null” 1969 war Ergebnis steigender, nicht sinkender Staatsausgaben

Hanno Beck ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Pforzheim und Autor mehrerer Bücher. Gestern interviewte ihn Petra Ensminger im Deutschlandfunk zum deutschen Steuerrecht. Vieles drehte sich in dem Gespräch wieder um vermeintlich hohe Steuern und einen “gefräßigen Staat” (Ensminger). Das soll an dieser Stelle nicht interessieren (siehe dazu zuletzt ausführlich hier). Schon hatte mich der erneute Aufguss dieses allseits gewohnten Tenors zum deutschen Steuerrecht dazu bewegt, abzuschalten, da fielen die folgenden Sätze und ließen mich innehalten.

Hanno Beck: “Es ist auch leider so, dass eine Steuererhöhung zur Konsolidierung des Staatshaushalts offensichtlich gar nicht funktioniert, weil mit höheren Einnahmen die Staaten sofort auch höhere Ausgaben beschließen. Das heißt, jeder Euro, den der Staat neu einnimmt, der ist schon wieder verplant für neue Ausgaben, weswegen auch eine Konsolidierung des Staatshaushaltes letzlich nur über die Ausgabenseite erfolgen kann. Nicht, weil es technisch nicht möglich wäre, sondern weil es offensichtlich politisch nicht anders geht.”

Vielleicht versucht Herr Beck ja sogar mit seiner im letzten Satz untergebrachten Einschränkung noch die Kurve zu kriegen, aber es gelingt ihm nicht. Beginnen wir daher ruhig mit seiner Aussage im letzten Satz, denn auch die ist erwiesenermaßen falsch.

Die “schwarze Null” 1969 nämlich kam just unter den Bedingungen zustande, die Beck nicht für möglich hält: ihr gingen stark steigende Staatsausgaben voraus. Die blieben nicht ohne Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum. Das schnellte – 1967 befand sich Deutschland noch in der Rezession – 1968, 1969 in die Höhe. Mit dem Aufschwung beschleunigte sich auch der Anstieg der Staatseinnahmen, deren Zuwachsrate 1967 rezessionsbedingt noch unter die Staatsausgaben gesunken war. Die Staatseinnahmen stiegen schneller als die Staatsausgaben, deutlich schneller sogar. Am Ende stand die “schwarze Null” von 1969 (ausführlich nachzulesen und mit vielen Graphiken veranschaulicht hier). Es ist weltweit sicherlich nicht die einzige “schwarze Null”, die unter diesen Vorzeichen zustande gekommen ist.

Noch gravierender aber ist vielleicht der in den vorangestellten Sätzen enthaltene Denkfehler Becks, der klar erkennen lässt, dass er den Zusammenhang von Staatshaushalt und Konjunktur überhaupt nicht berücksichtigt. Denn was Beck als Problem begreift – “jeder Euro, den der Staat neu einnimmt, der ist schon wieder verplant für neue Ausgaben” – ist ja gerade die Lösung: Nur, wenn der Staat jeden neu eingenommenen Euro auch sogleich wieder ausgibt, entzieht er dem Wirtschaftskreislauf keine Nachfrage. Erzielt er diese neu eingenommenen Euro noch dazu über die Besteuerung nicht ausgabewirksamer sehr hoher Vermögen oder sehr hoher Einkommen oder sehr hoher Erbschaften gibt er der Konjunktur damit sogar zusätzliche Impulse, indem er sie ausgabewirksam macht (hierüber hat sogar bereits der klassische Ökonom David Ricardo nachgedacht, siehe dazu auch hier). Das darüber erzielte zusätzliche Wirtschaftswachstum ist dazu geeignet, die Staatseinnahmen über die -ausgaben zu heben, da aus der steigenden wirtschaftlichen Aktivität zusätzliche Staatseinnahmen sprießen.

Gibt der Staat dagegen jeden neu eingenommen Euro nicht sogleich wieder aus, entzieht er dem Wirtschaftskreislauf Nachfrage und stößt den oben skizzierten Prozess unter umgekehrten Vorzeichen an. Das kann sogar sinnvoll sein, wenn das Produktionspotenzial ausgelastet ist und Vollbeschäftigung herrscht. Solange die Arbeitslosenquote in Deutschland aber immer noch mehr als doppelt so hoch liegt wie der Wert, der, konservativ betrachtet, als Vollbeschäftigung gilt, eine Arbeitslosenquote von drei Prozent, kann es nicht sinnvoll sein, dem Wirtschaftskreislauf Nachfrage zu entziehen. Das gilt erst recht unter Einbeziehung der historisch hohen Arbeitslosigkeit in der Europäischen Währungsunion und der ihr zugrundeliegenden Kluft zwischen realer Wirtschaftsleistung und Produktionspotenzial (siehe dazu ausführlich zuletzt hier und hier).

Dass Schäuble seine “schwarze Null” freilich nach dem Verständnis der Volkswirtschaft zu verwirklichen sucht, dem offensichtlich auch Beck anhängt, belastet das Wirtschaftswachstum, das Wachstumspotenzial und damit gerade auch die zukünftigen Generationen, die Schäubles “schwarze Null” noch verfluchen werden (man denke nur an die viel thematisierten Investitionsrückstände bei der Infrastruktur, aber auch die hohe Zahl an Schulabgängern ohne Schulabschluss, laut dem aktuellsten Bundesbildungsbericht zuletzt 2012 rund 48.000, zunehmende Altersarmut und viele andere gesellschaftliche Herausforderungen). Auch diese Herausforderungen wachsen noch, sobald man sie im Kontext der Europäischen Währungsunion und darüber hinaus denkt. Schäuble ist Jurist und offensichtlich schlecht beraten. Beck aber ist Professor für Volkswirtschaftslehre.

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