Wie über ein Thema wie PEGIDA (Patriotische Europäer Gegen die Islamisierung des Abendlandes) schreiben, ohne falsch gedeutet bzw. missverstanden zu werden? Ist ein Thema erst einmal so emotional besetzt, sowohl bei den Beteiligten der PEGIDA, als auch bei den über sie berichtenden Medien und der Politik, und werden sie noch dazu in Verbindung gebracht mit Rechtsradikalismus und Rechtspopulismus, Ausländerfeindlichkeit, selbst mit offensichtlich von Rechtsradikalen verübten Brandanschlägen, bewegt sich jede Analyse wie eine Nussschale auf wogender See. Und doch schreien die Ereignisse nach Erklärungen und nüchterner Analyse. Es ist ausgerechnet ein CSU-Politiker, Stephan Mayer, der heute früh meines Erachtens den richtigen Ton getroffen und nach richtigen Ansatzpunkten gesucht hat, um zu den Ursachen dieses “eingetragenen Vereins in Gründung” und seiner enormen Mobilisierungskraft vorzustoßen.
“Aber es gibt natürlich viele weitere Motive (Anmerkung der Redaktion: neben der vermeintlichen ´Gefahr von einer Islamisierung des Abendlandes´), die diese Demonstranten antreiben. Da geht es teilweise um die Enttäuschung mit der Globalisierung, um persönliche Rückschläge in der eigenen Vita, und jetzt wird natürlich sehr vieles fokussiert auf dieses Thema drohende Islamisierung, was mit dem Motto der Veranstaltung an sich überhaupt nichts zu tun hat…Das ist natürlich auch eine Enttäuschung mit der Demokratie, die dort zum Ausdruck gebracht wird, mit dem Establishment, auch mit den herkömmlichen Medien, auch mit den herkömmlichen Parteien, auch mit der Demokratie insgesamt, und ich glaube, der größte Fehler wäre, jetzt so zu tun, als wäre nichts. Deswegen sehe ich Pegida als Gefahr.”
Diese Überlegungen Mayers, die er heute früh im Interview mit dem Deutschlandfunk hörbar verunsichert, nachdenklich und bewegt vortrug, heben sich meines Erachtens in besonderer Weise von den medialen und politischen Schnellschüssen, wie dem von Justizminister Heiko Maas, ab. Letzterer hatte erst am Wochenende gegenüber der Süddeutschen Zeitung geschimpft, es sei “eine Schande für Deutschland, dass das bei den Pegida-Demonstrationen auf dem Rücken von Flüchtlingen geschieht, die gerade alles verloren haben und uns um Hilfe bitten”. Die Süddeutsche Zeitung fasst die “Problemanalyse” des Heiko Maas so zusammen:
“Bei Pegida seien ´zwar sicher auch einige dabei, die von hohlen Sprücheklopfern nur verführt werden und die für rationale Argumente hoffentlich noch erreichbar sind´, sagte Maas. Es gingen ´aber auch Menschen mit einer klaren Affinität zur Ausländerfeindlichkeit auf die Straße´. Das sei ´widerwärtig und abscheulich´. Es sei nicht neu, dass es Vorurteile gegen Flüchtlinge gebe. ´Jetzt trauen sich einige aber, ihre Ressentiments auch so offen auszuleben.´ Es sei ´eine Schande für Deutschland, dass das bei den Pegida-Demonstrationen auf dem Rücken von Flüchtlingen geschieht, die gerade alles verloren haben und uns um Hilfe bitten.”
Was aber sind für Maas “rationale Argumente”? Und ist der Fokus auf die vermeintliche “drohende Islamisierung des Abendlandes” tatsächlich der Beweggrund, der in kürzester Zeit so viele Menschen mobilisiert, nach Dresden zu ziehen, um dort zu demonstrieren? Und, wenn ja, wie konnte es dazu kommen?
Was Maas für rational hält, hat dabei durchaus Potenzial für eine rationale Analyse des Phänomens PEGIDA. So hatte Maas als Spitzenkandidat der SPD für das Ministerpräsidentenamt im Saarland im Wahlkampf 2012 kein dringlicheres politisches Ziel als dieses:
“Für den Fall eines Wahlsiegs kündigte Maas Einschnitte an. Das Land müsse in den kommenden vier Jahren rund 65 Millionen Euro jährlich sparen, sagte er. Dafür sei ein Personalabbau in den Behörden und der Landesverwaltung unumgänglich.” (siehe dazu den Beitrag in WuG vom 12. Februar 2012: Wahlen im Saarland: Wie regiert wird steht schon fest).
Eine Schlussfolgerungen aus unserer oben genannten Analyse aus dem Jahr 2012 war die folgende:
“Nicht der Mensch und seine Bedürfnisse stehen im Mittelpunkt der Politik, sondern die Konsolidierungsbedürfnisse. Das ist das vorläufige Ergebnis der in den Köpfen der Politiker und ihren Beratern fest verankerten Ideologie des ausgeglichenen Staatshaushaltes, die ihren Weg als Schuldenbremse ins Grundgesetz gefunden hat. Sie und nicht das Demokratie- und Sozialstaatsgebot scheinen die politische Zielsetzung, Argumentation und Gestaltungswünsche zu dominieren.”
In Beiträgen hat WuG immer wieder thematisiert, welche politischen Gefahren die Folgen dieser Politik hervorbringen, nicht nur in Deutschland, auch in den Ländern der Europäischen Währungsunion beispielsweise, die jetzt der “Rationalität” folgen, die sich Maas und alle Bundesregierungen seit Bundeskanzler Gerhard Schröder und Finanzminister Hans Eichel zu eigen gemacht haben (siehe zu Hans Eichel die vortreffliche Nachzeichnung dieser Ideologie und ihrer Folgen in: Claus Köhler, Orientierungshilfen für die Wirtschaftspolitik, Berlin, 2004; und, derselbe, bezogen auf die Lage in der Europäischen Währungsunion: Wirtschaftspolitische Ziele in der globalen Welt, Berlin, 2013). Dass Maas und seine KollegInnen mit dieser “Rationalität” erst wirtschaftliche und gesellschaftliche Verhältnisse geschaffen haben, die viele Millionen Menschen verunsichern und in die Verzweiflung und viele auch in die politische Ohnmacht treiben und er dann meint, sich moralisch über diese Menschen erhöhen zu können und diese als “hohle Sprücheklopfer” abkanzeln zu dürfen, zeigt, dass er nicht nur nichts verstanden hat, sondern unfähig ist, dieses Problem auch nur zu versuchen zu analysieren. Davon heben sich die oben zitierten Aussagen Mayers wohltuend ab. Das spricht seine Partei, die CSU, natürlich nicht von ihrer politischen Verantwortung frei. Dass aber nur einzelne, nachdenkliche und selbstkritische Stimmen aus der Politik zu diesem Phänomen zu hören sind, zeigt ja gerade, dass die Parteien auf solch eine Entwicklung nicht vorbereitet waren, sondern völlig überrascht worden sind. Dasselbe gilt für die Medien. Hören Sie dazu nur einmal die doch relativ hilflos anmutenden Fragen der Moderaorin, die Mayer interviewt. Oder nehmen Sie Aussagen wie diese von Stefan Locke in der Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ):
“Dass die Sorge vor Überfremdung ausgerechnet in Dresden auftritt, verwundert angesichts der offiziellen Zahlen: Ende Oktober lebten knapp 28.000 Ausländer unter den gut 500.000 Einwohnern – gerade mal fünf Prozent. In diesem Jahr erwartet die Stadt 1600 Flüchtlinge, doppelt so viele wie vor einem Jahr, aber bei weitem weniger, als andere Städte aufnehmen.”
Das ist doch nun wahrlich ein alter Hut, dass insbesondere dort, wo besonders wenig Menschen mit Migrationshintergrund oder Menschen mit anderen Traditionen als der Bevölkerungsmehrheit leben, die Ängste und Feindseligkeit besonders hoch sind. Eben häufig aus der Unkenntnis heraus. Wieviele der Demonstranten kommen aber darüber hinaus von außerhalb?
Gerade heute meldet das Statistische Bundesamt, dass “20,3 Prozent der Bevölkerung Deutschlands von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffen” sind. 16,2 Millionen Menschen. Das ist eine gewaltige Zahl. Und sie kann nur diejenigen überraschen, die die Entwicklung in den vergangenen Jahren nicht unvoreingenommen beobachtet und analysiert haben – was denjenigen BürgerInnen, die hierin nicht beruflich oder fachlich anderweitig geschult sind, nicht vorzuwerfen ist, PolitikerInnen, Sozial- und WirtschaftswissenschaftlerInnen und JournalistInnen aber sehr wohl. Über Jahre schon kündet darüber hinaus zum Beispiel eine hohe und steigende Zahl von NichtwählerInnen von dem, was Mayer so vortrefflich zusammenfasst: “Enttäuschung mit der Demokratie,… mit dem Establishment, auch mit den herkömmlichen Medien, auch mit den herkömmlichen Parteien, auch mit der Demokratie insgesamt.” Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Daten des Statistischen Bundesamts zeigen, dass die Zahl der von Armut und sozialer Ausgrenzung Betroffenen besonders hoch ist in der Altersgruppe “18- bis unter 65-Jährige” (22%; Frauen: 23%; Männer: 20,4%). Das ist doch die Altersgruppe, von der man in einer gesunden Gesellschaft erwarten sollte, dass sie mit beiden Beinen im Leben steht, vernünftig verdient usw. Es ist aber diese große Altersgruppe, die von der “Rationalität” eines Maas besonders betroffen sind. Zehn Jahre ist die Agenda 2010 jetzt alt. Gerade hat eine Kleine Anfrage der Grünen an die Bundesregierung ergeben, dass jeder dritte Arbeitnehmer, der von der Bundesagentur für Arbeit vermittelt wird, in Zeitarbeit landet und nach einem halben Jahr wieder arbeitslos ist. Noch schlimmer sieht es bei den Langzeitarbeitslosen aus (siehe hier).
Politik und Medien wollen all dies in ihrer überwältigenden Mehrheit nicht wahrhaben. Sie haben sich über viele Jahre zu weiten Teilen zu einer extremen Parallelgesellschaft gegenüber den vielen Millionen Abgehängten entwickelt. Und ein Ende ist nicht absehbar. Dabei haben Wissenschaftler um den Soziologen Wilhelm Heitmeyer schon vor Jahren die richtigen Fragen gestellt, analysiert und beantwortet:
“Was denken die Menschen? Wie verändern sich ihre Einstellungen? Welche Erfahrungen machen sie? Wie nehmen sie die Dinge wahr und wie verarbeiten sie ihre Eindrücke? Und nicht zuletzt: Welche Folgen hat das für schwache Gruppen in dieser Gesellschaft?” (siehe dazu hier)
Ein Ergebnis Heitmeyers war 2011 dieses:
“Entsicherung, Richtungslosigkeit und Instabilität´ sind zur neuen Normalität geworden, die Nervosität scheint über alle sozialen Gruppen hinweg zu steigen.”
Der politische und mediale Kontext, in den wir unsere Besprechung dieser Studie damals stellten (siehe hier), erscheint aktueller denn je.
Interessant ist nun im Zusammenhang mit PEGIDA, dass man trotz der überbordenden Berichterstattung kaum erfährt, was dieser Verein eigentlich für Ziele verfolgt. Dabei fördert eine kurze Recherche bereits überraschende Ergebnisse zu Tage.
Da springt zunächst einmal ins Auge, dass das Nazi-Symbol, das Hakenkreuz, demonstrativ vor allen anderen Dingen in einem Papierkorb landet. Unübersehbar auf der ersten Seite oben des Internetauftritts (siehe hier). So auch auf der von PEGIDA. Dann ist es interessant, dass man doch recht schnell auf ein zweiseitiges Papier stößt, das über die Ziele von PEGIDA informiert (siehe ). Warum wird darüber in den Medien nicht berichtet, sich nicht kritisch damit auseinandergesetzt und die Politik damit konfrontiert? Stattdessen versteigt sich Sandra Schulz, die Mayer interviewt, tatsächlich zu einer Aussage wie dieser: “Ich möchte von Ihnen gerne wissen, was Sie tun wollen, damit die Menschen mit ihren Sorgen aufhören, auf die Straße zu gehen und sich so unverstanden fühlen.” Da fragt man sich schon, wer hier die größere Bedrohung für die Demokratie ist. Ähnliche Aussagen waren beispielsweise im Zusammenhang mit den Streiks der GDL und Cockpit zu vernehmen. So meinte Christine Heuer im Deutschlandfunk doch tatsächlich: “Sie haben die Wahl, nicht zu streiken.”
Unheimlich ist dann auch weniger, dass Bürger auf die Straße gehen, um ihren Unmut und ihren Ängsten Ausdruck zu verleihen, sondern der Umgang, den Politik und Medien mit solchen Entwicklungen an den Tag legen. Dabei wäre es in der Tat von großer Wichtigkeit, mehr über die Organisatoren und deren Beweggründe zu erfahren, genauso wie über mögliche antidemokratische Gruppierungen, die diese “Bühne” für menschenfeindliche Ziele nutzen. Und selbstverständlich müsste ein unabhängiger Journalismus auch nach politischen, ökonomischen, sozialen Zusammenhängen suchen, die eine solche Entwicklung helfen zu erklären und die Politik damit konfrontieren. Warum passiert dies in den etablierten Medien nicht oder zumindest nicht in spürbarem Umfang? Eine Erklärung dafür ist eben sicherlich, dass sich diese Medien selbst zu einseitig entwickelt haben und nicht mehr in der Lage zu sein scheinen, problemorientierte Fragen zu stellen und Antworten zu geben. Die oben zitierten Aussagen Mayers aber weisen in die richtige Richtung. Würden sie ernst genommen und weiter verfolgt, müsste nicht zuletzt seine eigene Partei mit sich ins Gericht gehen.
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