Das Bundesverfassungsgericht hat das Erbschaftssteuergesetz gestern in Teilen für verfassungswidrig erklärt (siehe dazu hier). Wir haben schon bei anderen fragwürdigen politischen Entscheidungen (Hartz IV, Teilprivatisierung der Rente etc.) gefragt: Wer hat im Deutschen Bundestag dafür gestimmt? Dafür sind die Protokolle des Deutschen Bundestags ein wichtiger “Zeuge”. Nicht selten klafft eine gehörige Kluft zwischen der Außendarstellung der PolitikerInnen selbst – in Talkshows, Interviews und anderen öffentlichen Veranstaltungen – und ihren Reden und namentlichen Abstimmungen im Deutschen Bundestag (siehe dazu auch hier und hier). Und nicht selten handeln sie in der Opposition anders, als in der Regierung. Vor dem Hintergrund der sich jüngst erneut falsch kanalisierenden (PEGIDA) Unzufriedenheit, Existenzängste und zunehmenden Ungleichheit in der Gesellschaft, bekommt mehr Transparenz über politische Verantwortung einmal mehr Bedeutung zu. Hier daher einige Stimmen aus den Bundestagsprotokollen von denen, die an den “Reformen” des Erbschaftssteuergesetzes beteiligt waren, die das Bundesverfassungsgericht gestern in Teilen für grundgesetzwidrig erklärte, und die namentlichen Abstimmungen.
Gerda Hasselfeldt (CSU) zum Erbschaftssteuergesetz 1996
“Wir gehen deshalb mit dem Jahressteuergesetz 1997 – mit der Abschaffung der Vermögensteuer, mit einer schonenden Gestaltung der Erbschaftsteuer, mit der Stärkung der Eigenkapitalbasis von Existenzgründern und der Schaffung von neuen Arbeitsplätzen für Haushaltshilfen in privaten Haushalten – den richtigen Weg. Damit entlasten wir die Wirtschaft von überfälligem Ballast und geben Anreize für zusätzliche Arbeitsplätze…Hoffentlich werden die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer und die Einkommensteuerreform folgen. Bei all diesen Entscheidungen will ich Ihnen eines mit auf den Weg geben: Hier geht es nicht um vertei- lungspolitische Zusammenhänge.”
Hasselfeldt, Mitglied des deutschen Bundestages seit 1987, war von 2005 bis 2011 Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages; Mitglied des Ältestenrates, Vorsitzende der Kommission für Innere Angelegenheiten, seit März 2011 ist sie Vorsitzende der CSU-Landesgruppe und 1. Stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag.
Carl-Ludwig Thiele (FDP) zum Erbschaftssteuergesetz 1996:
Ferner haben wir die Freibeträge so angesetzt, daß die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes erfüllt werden und deshalb das persönliche Gebrauchsver- mögen durch eine erhebliche Erhöhung der Freibeträge von der Erbschaftsteuer freigestellt wird. Außerdem haben wir den ursprünglichen Gesetzentwurf dahin gehend geändert, daß der Erbe eines Betriebes, der diesen mindestens fünf Jahre lang fortführt – unabhängig von der verwandtschaftlichen Nähe zwischen Erben und Erblasser -, nach der Erb-schaftsteuerklasse I behandelt wird, also so wie Eltern und Kinder oder Ehepartner untereinander.”
Thiele saß von 1990 bis 2010 im Deutschen Bundestag. Von 2002 bis 2010 war er stellvertretender Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion. Seit Mai 2010 ist er Mitglied im Vorstand der Deutschen Bundesbank.
Siehe die vollständige Debatte im Protokoll des Deutschen Bundestages (.pdf). Damals in der Opposition stimmte die SPD (noch) gegen die “Reform” des Erbschaftssteuergesetzes. So auch Bündnis 90/Die Grünen und die damalige PDS (siehe im .pdf Seite 50/Protokoll-Seite 12074 ff.)
Florian Pronold (SPD) zur Reform der Erbschaftssteuer 2008
“Deswegen war für uns wichtig, die Befreiung von der Erbschaftssteuer an die Lohnsumme zu koppeln…weil wir eine verfassungsgemäße Ausnahme wollten…Dafür haben wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten uns besonders eingesetzt…Wir werden ab dem 1. Januar nächsten Jahres ein verfassungskonformes Erbschaftssteuerrecht haben. Wir haben eine deutliche Besserstellung für die Lebenspartner erreicht. Auch im Bereich der betrieblichen Nachfolge haben wir eine ganze Menge verbessert. Die große Koalition hat übrigens genua das Modell aufgegriffen …, das sich die Wirtschaft gewünscht hat…”
Pronold ist seit 2002 Mitglied des Bundestages seit 2002, von 2006 bis 2010 war er Vorsitzender der bayerischen Landesgruppe der SPD-Fraktion, seit Oktober 2009 stellvertretender Fraktionsvorsitzender, zuständig für Verkehr, Bau und Forschung. Seit 1996 Kreisrat in Deggendorf, seit 2010 Mitglied im Rundfunkrat des Bayerischen Rundfunks (KdÖR). Heute ist er Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, Rechtsanwalt.
Peer Steinbrück (SPD) zur Reform der Erbschaftssteuer 2008
Bisher musste die Vererbung von Betriebsvermögen selbstverständlich versteuert werden. Wir kommen jetzt zu der Regelung, dass bei einer bestimmten Option 85 Prozent oder bei einer anderen Option sogar 100 Prozent der Erbschaftssteuer gestundet werden oder dass das Erbe sogar keiner Besteuerung unterliegt…Alle wissen.., dass ein solches Erbschaftssteuerprivileg nur auf der Basis einer Gegenleistung gegeben werden kann, weil es sonst verfassungswidrig ist…Das heißt man kommt um die Konstruktion einer solchen Gegenleistung überhaupt nicht herum…Die Lösung wurde über die Lohnsumme gefunden…Ich stimme all denjenigen zu, die sagen: Nach Lage der Dinge werden wahrscheinlich 90 Prozent – ich weiß es nicht genau, ich glaube, Herr Pronold hat diese Zahl genannt – der Betriebe in Deutschland mit der Erbschaftssteuer nie wieder etwas zu tun haben – nie wieder. ”
Steinbrück war zuletzt Kanzlerkandidat der SPD und sitzt jetzt weiterhin als Abgeordneter für die SPD im Deutschen Bundestag.
Otto Bernhardt (CDU) zur Reform der Erbschaftssteuer 2008
Wir wollen heute das zweite große Steuerreformvorhaben der großen Koalition verabschieden, nachdem wir im letzten Jahr eine vernünftige Unternehmenssteuerreform gestaltet haben…
Otto Bernhardt war von 2005 bis 2009 Vorsitzender der Arbeitsgruppe Finanzen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und war von 1979 bis 1984 Parlamentarischer Staatssekretär im Kultusministerium des Landes Schleswig-Holstein. Heute ist Bernhardt als Politik- und Unternehmensberater.
In Regierungsverantwortung stimmte nur ein SPD-Abgeordneter in der namentlichen Abstimmung zur “Reform” der Erbschaftssteuer mit “Nein”: Otto Schily. Und der, weil er die Erbschaftssteuer für verfassungswidrig und (sic!) für leistungsfeindlich hielt (siehe seine abgesehen vom Verfassungsaspekt abstruse Erklärung am Ende des Protokolls, Seite 160/Protokoll-Seite 20594, die viel über die damals wie heute vorherrschende Geisteshaltung verrät). Auch alle als SPD-Linke geltende Bundestagsabgeordnete stimmten dafür (Klaus Barthel, Marco Bülow, Hilde Mattheis, Andrea Nahles, Florian Pronold, Ernst Dieter Rossmann, Hermann Scheer, Ottmar Schreiner, Rüdiger Veit). Keine Enthaltungen bei der SPD. Viele CDU/CSU Abgeordnete stimmten dagegen, viele, weil ihnen die Regelungen immer noch nicht weit genug gingen. Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke stimmten dagegen. Auch die FDP stimmte dagegen: Die FDP allerdings, weil ihr die Regelungen nicht weit genug gingen, wie die Debatte deutlich macht. Siehe die vollständige Debatte im Protokoll des Deutschen Bundestages (.pdf). Die namentliche Abstimmung findet sich auf Seite 34/Protokoll-Seite 20468 ff.).
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