Draghis Problem: Liquidität ist seit langem genug da

WuG hat am 1. Juni vergangenen Jahres einen Grundsatzbeitrag zur Geldpolitik veröffentlicht. Darin wurde methodisch und empirisch herausgearbeitet, welche geldpolitischen Indikatoren und gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Bewertung der Geldpolitik entscheidend sind und welches Kreditwachstum notwendig wäre, um ein Wirtschaftswachstum zu finanzieren, das ein Sinken der Arbeitslosenquote in der Europäischen Währungsunion (EWU) um jährlich zwei Prozentpunkte erlaubt. Zuletzt hat ein am 18. November 2014 erschienener Beitrag erneut die relevanten Indikatoren geprüft und Kreditwachstum und Liquiditätsversorgung auf Basis des Monatsberichts November 2014 der Europäischen Zentralbank (EZB) ausführlich untersucht. Die an diesem Donnerstag anstehenden geldpolitischen Entscheidungen der EZB, die eine weitere Erhöhung der Liquidität (Zentralbankgeld) erwarten lassen, werfen erneut die Frage nach Kreditwachstum und Liquiditätsversorgung auf.

Ein Blick in den zuletzt erschienenen Monatsbericht Dezember der EZB zeigt ein weiteres Mal: Liquidität ist seit langem genug da. Eine entsprechende Prüfung der Liquiditätsversorgung der Geldinstitute ergibt weiterhin eine sehr hohe Überschussreserve: Die Guthaben der Kreditinstitute auf Girokonten der EZB lagen zuletzt am 11. November 2014 um 82,6 Mrd. Euro über dem Mindestreservesoll. An Liquidität mangelt es den Banken also weiterhin nicht.

Solange das Wirtschaftswachstum aber schwach bleibt und die Unsicherheit über die weitere wirtschaftliche und politische Entwicklung der Europäischen Währungsunion hoch, wird auch das Kreditwachstum nicht im notwendigen Ausmaß zunehmen, um ein angemessenes Wirtschaftswachstum zu finanzieren. Die Banken scheuen das Risiko der Kreditvergabe, zu viele Unternehmen fragen aufgrund schlecht ausgelasteter Kapazitäten keine Kredite nach. Immerhin war das Kreditwachstum im zuletzt ausgewiesenen dritten Quartal 2014 das erste Mal seit langem nicht negativ, sondern mit 0,8 Prozent gegenüber Vorjahresquartal leicht positiv. Notwendig aber wäre ein Kreditwachstum von rund acht Prozent (siehe dazu unsere Berechnungen auf Basis der Überlegungen des Ökonomen und ehemaligen Sachverständigenratsmitglieds, Claus Köhler, zuletzt hier).

Die Geldpolitik Draghis, respektive der EZB, ist seit langem angemessen, sowohl, was den Leitzins anbelangt, als auch die Liquiditätsversorgung des Bankensystems (siehe dazu ausführlich zuletzt ebenda). Nicht angemessen aber ist der wirtschaftspolitische Kurs, den, neben den anderen politisch Verantwortlichen, auch Draghi seit jeher vertritt, und der seine geldpolitischen Anstrengungen bisher konterkariert hat: die das Wirtschaftswachstum belastende Austeritätspolitik. Die seit Frühjahr 2011 verordneten staatlichen Ausgabenkürzungen, Lohnsenkungen und der Abbau von Arbeitnehmerrechten werden auch von Draghi jedes Mal im Rahmen seines Statements zu den geldpolitischen Entscheidungen der EZB als “Strukturreformen” eingefordert. Deren verheerenden Auswirkungen auf Wachstum und Beschäftigung sind für ihn dagegen kein Thema (siehe dazu auch hier und hier und im Vergleich zur amerikansichen Notenbank-Präsidentin hier). Das wird voraussichtlich auch an diesem Donnerstag wieder der Fall sein.

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