Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser, bei einem Zauberkaffee – das ist bei mir ein Kaffee, der in der guten alten italienischen Kaffeekanne, allerdings nicht aus Aluminium, sondern aus Edelstahl, der Gesundheit halber, auf dem Herd gekocht wird -, bei selbst gebackenem Vollkornbrot – keine Backmischung, versteht sich, sondern aus selbst gemachtem Sauerteig -, bei geschenkt erhaltener, selbst gemachter Pfirsichmarmelade und vor einem Kaminofen sitzend, aus dem ein frisches Feuer Wärme spendet, spaziert die Weltpolitik der vergangenen zwei Tage noch einmal sonntäglich durch meinen Kopf. Und die entscheidende Wegmarke scheint mir in der Tat zu sein, dass Angela Merkel, die Bundeskanzlerin, die sonst so aristrokratisch kalt über großes Elend, von Hartz IV bis Griechenland, hinwegsieht, die sanktioniert, wo sie nur kann, gern auch innerhalb der eigenen Partei, dort vornehmlich unter männlichen Kollegen, dass diese Angela Merkel sich für den Frieden ausgesprochen hat.
Nicht nur, dass sie dafür höchst persönlich in das Reich des Bösen geflogen ist, das Politik und Medien in den vergangenen Monaten so phantasievoll und in solcher Pracht aufgebaut haben, dass ein Potemkin vor Neid erblasst wäre. Sie hat ihn, den Frieden, auch auf offener Bühne gegen das Reich des Guten verteidigt, das, zwar bestens vertraut mit eigenen verdeckten, völkerrechtswidrigen Interventionen in fremde Staaten, wohl zu unterscheiden und, in bewundernswerter Weise selbstvergessen, zu verurteilen weiß, wenn dies andere tun. Letztere gilt es dann, wie jetzt in der Ukraine, mit Waffengewalt zu bekämpfen. Und wenn da einer der wichtigsten europäischen Verbündeten nicht mitspielen will, ja, von ihm gar ein schon aus der Welt geglaubtes “Frieden schaffen ohne Waffen” herüberschwappt, dann wird auch das Reich des Guten schon einmal ungehalten und fährt gehörig aus der Haut.
Aber die Kanzlerin zeigt sich davon in ihrer ganz eigenen, unaufgeregten Art völlig ungerührt. Gewiss, die Bundesrepublik bleibt weiterhin auch unter Merkel, wie vorher unter Gerhard Schröder und Joschka Fischer, einer der größten Waffenexporteure weltweit, hält Europa unter der Knute der Austerität, macht die Reichen reicher und die Armen ärmer, so, wie es vorher Gerhard Schröder mit Mannen und Gesinde bis zur Vollendung kultiviert haben.
Aber anders als Schröder und Fischer setzt Merkel ein weiteres Mal Maßstäbe. Sie versucht es zumindest. Nach dem Ausstieg aus der Atomenergie will sie nun Frieden schaffen ohne Waffen. In der Ukraine zumindest. Sie will reden und nicht schießen. Spät, gewiss, aber vielleicht nicht zu spät. Die Sätze und Taten, in die sie das kleidet, sind eine Wohltat gegenüber den hohlen Phrasen des Außenministers. Während man bei Steinmeier nur noch weghören mag, hat Merkel sich ein gewisses Maß an Glaubwürdigkeit bewahrt. Das ist schon viel, sehr viel, in einer Welt der Gabriels, Steinmeiers, Göring-Eckhards, der “Welt”, des “Spiegel”, der “FAZ”… Sehr viel. Hoffen wir, dass es gelingt.
Die Widerstände sind so gewaltig, wie gewaltätig, vor allem aber sind sie unüberschaubar, das Misstrauen ist auf allen Seiten groß, die Atmosphäre vergiftet. Vielleicht ist schon zuviel Porzellan zerschlagen worden. Auf beiden Seiten. Längst ist der Konflikt zu einem geopolitischen Fukushima geworden. Merkel scheint dies gemerkt zu haben. Sie scheint geradezu die Katastrophe zu brauchen, um aufzuwachen. Nicht sie allein. Auch von der Leyen und andere, wie der österreichische Außenminister, der dem Deutschlandfunk erst gestern ein beeindruckendes Interview hierzu gab. “Neutralität”. Was für ein Wort. Er nahm es gestern in den Mund. Und prompt wurde mir warm ums Herz.
Damit mir auch jetzt nicht kalt wird, muss ich schleunigst Holz nachlegen und beende daher diesen kleinen gedanklichen Sonntagsspaziergang. Nicht ohne die Frage zu stellen: Wer braucht eigentlich noch die SPD? Ihre Führung trifft sich heute, um in Klausur zu gehen. Der Duden verrät die Herkunft des Wortes: spätlateinisch clausura = Einschließung, zu lateinisch claudere = (ab-, ver)schließen. Synonyme: Isolation, Weltabgekehrtheit, Weltabgeschiedenheit, aber auch Prüfungsarbeit, Test. Während erstere Synonyme den Ist-Zustand der SPD durchaus treffend beschreiben, werfen letztere die Frage auf: Wird die Sozialdemokratie noch einmal den Test bestehen, den Test der landes-, bundes-, europa- und weltpolitischen Herausforderungen? Die Hoffnung stirbt wie immer zuletzt. Solange aber müssen wir froh sein, dass Merkel wenigstens im grellen Licht der Katastrophe den richtigen Weg einzuschlagen versucht.
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