Blockupy, Gewalt, politische Reaktionen: Mit zweierlei Maß

Die Spur der Gewalt, die einige Demonstranten heute durch die Frankfurter Innenstadt gezogen haben, das Aggressionspotenzial, das sich darin Luft macht, und die fehlende Furcht davor, einen Mitmenschen zu verletzen, sind beängstigend. Nicht minder beängstigend aber ist der Umgang der Politik damit. Hervorstechen dabei ausgerechnet die zwei Protagonisten, ohne die es vielleicht gar nicht zu jenen Protesten gekommen wäre: Sigmar Gabriel und Wolfgang Schäuble.

Der SPD-Vorsitzende, Bundesminister für Wirtschaft und Energie und Vizekanzler Gabriel sieht ein “erschreckendes Bild von Gewaltbereitschaft, das durch gar nichts gerechtfertigt ist”. Und Bundesfinanzminister Schäuble setzt noch einen drauf, wenn er meint, man solle auch gar nicht anfangen, über mögliche Gründe für dieses Verhalten zu diskutieren. Diese Ignoranz gegenüber den herrschenden Verhältnissen, dieses Messen mit zweierlei Maß zwischen der Gewalt auf der Straße und der Gewalt der Obrigkeit kennen wir aus der Geschichte. Sie sind es aber nicht: Geschichte. Gabriel und Schäuble sind der lebende Beweis dafür, wie viele andere, die sich heute ähnlich unreflektiert äußerten. Was aber ist die auch in meinen Augen verabscheuungswürdige Gewalt, die heute von einigen wenigen auf den Frankfurter Straßen ausgeübt wurde, gegen die Gewalt, die Gabriel und Schäuble mit ihrer Politik gegen Millionen Menschen hierzulande und gegen ganze Länder in Südeuropa seit Jahren schon verüben?

Die Gewalt der einen sollte nicht die Gewalt der anderen rechtfertigen. Insoweit ist Gabriel und Schäuble zuzustimmen, wenn sie meinen, dass die Gewalt heute durch nichts zu rechtfertigen ist. Diejenigen aber, die zuerst Gewalt ausgeübt haben, sollten schon beim Namen genannt werden. Die Gründe für die heutige Gewalt gar nicht erst diskutieren zu wollen, den Ursachen der Gewalt also nicht auf den Grund gehen zu wollen, wie Schäuble es fordert, kann nur denjenigen in die Hände spielen, die Gewalt ausüben, ob staatlich legitimierte Gewalt, wie die Gabriels und Schäubles, oder gegen geltendes Recht verstoßende Gewalt, wie die der sie ausübenden Demonstranten heute in Frankfurt.

Gabriel und Schäuble haben mit ihren Politikvorstellungen hierzulande und in den Ländern Südeuropas Millionen Menschen arbeitslos gemacht, sie in die Armut getrieben, sie entrechtet, Verzweiflung und Perspektivlosigkeit in ihnen verankert. Nicht wenige, sondern viele haben aufgrund der Folgen dieser Politikvorstellungen den Selbstmord dem Weiterleben vorgezogen. Auf solche Selbstmorde angesprochen, antwortete Schäuble: “Es gibt leider immer in Einzelfällen schreckliche, auch falsche Entscheidungen und Verzweiflung.” Und zog sich flugs auf “Übertreibungen in der Medienberichterstattung” und Vermögensstatistiken zurück. Diese Unmenschlichkeit und Ignoranz ist nicht beispiellos, sondern beispielhaft für die Politik der Bundesregierung, der EU-Kommission und der ihnen folgenden Regierungen in den betroffenen Ländern.

Verzweiflung und Not aber führten in der Geschichte immer zu Gewalt. Niemand sollte das besser wissen als die Deutschen, jedenfalls diejenigen, die politische Verantwortung tragen. Politiker wie Schäuble und Gabriel aber erinnern eher an eine Marie Antoinette denn an demokratisch gesinnte Volksvertreter.

Wirtschaft und Gesellschaft – Analyse & Meinung finanziert sich ausschließlich über Abonnements und Spenden. Noch sind diese nicht Existenz sichernd. Guter Journalismus muss bezahlt werden, um zu überleben. Deswegen:

Abonnieren Sie Wirtschaft und Gesellschaft – Analyse & Meinung oder spenden Sie bitte an:




————————————————————-

Sie können helfen, unseren Leserkreis zu erweitern!

Wirtschaft und Gesellschaft hat jetzt auch eine und freut sich über jedes “Gefällt mir”.

————————————————————-


Dieser Text ist mir etwas wert


Verwandte Artikel: