Über den Autor: Michel Aglietta, Jahrgang 1938, ist Professor für Makroökonomie an der Universität Paris-Nanterre und am Pariser Institut HEC. Von 1997 bis 2003 war er Mitglied des dem französischen Premierminister zugeordneten Conseil d’analyse. Aglietta ist Mitglied des Institut universitaire de France und des Cercle des économistes; der in Frankreich sehr renommierte Aglietta ist Autor zahlreicher Bücher. Der Beitrag wurde von Gerhard Kilper ins Deutsche übersetzt und Michel Aglietta hat ihn zur Veröffentlichung in WuG autorisiert.
“Errare humanum est, sed perseverare diabolicum est.” Im Irrtum weitermachen scheint die Devise der politisch Verantwortlichen der Eurozone zu sein. Die Eurozone verharrt zurzeit in kümmerlichem Wachstum, das sich durch allseitige Resignation weiter fortschreibt. Eine Initiative von Staatsmännern, fähig, Energien für Investitionen zu bündeln, könnte ein Weg aus der Krise sein. Doch das heutige Europa hat keine gestandenen Staatsmänner. Ganz im Gegenteil, unsere Regierungen haben uns in die heute bestehende Situation hinein manövriert. Die Absenkung der Investitionen in der Eurozone beläuft sich seit Ende des Jahres 2007 auf 20 Prozent, erreicht jedoch einen Wert von mehr als 40 Prozent in den am meisten heruntergewirtschafteten südeuropäischen Ländern.
Wenn es eine Überzeugung gibt, die Keynes und Schumpeter verbindet, dann die, dass nur investive Zukunftsprojektionen krisengeschüttelten Gesellschaften die Chance geben, sich wirtschaftlich zu erholen bzw. zu regenerieren. Ein vertretbares Wirtschaftswachstum sollte zwei Ziele anstreben: einmal muss die Schaffung neuer Arbeitsplätze von beruflicher Bildung zur Erlernung neuer Kompetenzen begleitet werden, d.h. der Faktor Arbeit muss aufgewertet werden. Zweitens muss vertretbares Wachstum die existierende ökologische Schuld (der Industriegesellschaften) anerkennen, d.h. es muss die fortschreitende Umweltzerstörung stoppen bzw. den bestehenden Trend dazu umkehren.
Da die EU-Kommission durch Billigung des Juncker-Plans endlich das anti-interventionistische Tabu beiseite gelegt hat und die EZB auf expansive Geldpolitik umgeschwenkt ist, muss auf diese beiden “Beben” die Eindämmung der Untätigkeit und Passivität der Regierunen gebaut werden. Die beiden oben beschriebenen Ziele könnten durch eine in sich kohärente, von der EU gemeinschaftlich organisierte Finanzierung zur energetischen Transition zusammengeführt werden, die die Haushalte der EU-Staaten nicht belastet. Ein solcher Vorschlag würde im Übrigen die Verpflichtung des Europarates für das “Energie-Klima-Paket 2020″ unterstützen, das eine Reduktion der CO2-Emissionen um 20 Prozent, eine Zunahme der erneuerbaren Energien um 20 Prozent und die Steigerung der Energieeffizienz um 20 Prozent vorsieht – diese Ziele können bei einem weiteren Hinauszögern von Investitionen nicht erreicht werden.
Vier Typen von Investitionen zur energetischen Transition wären notwendig:
a) Investitionen in erneuerbare Energien,
b) Investitionen in intelligente Verteilungsnetze elektrischer Energie,
c) Investitionen in Gebäuderenovierungen zur Steigerung der Energieeffizienz und zur Verminderung des CO2-Ausstoßes, sowie
d) Investitionen in Schienen-Transportnetze und in Netze städtischer Mobilität.
Alle diese Investitionstypen sind Träger technologischer Innovationen und schaffen in großem Umfang Arbeitsplätze. Sie erfordern jedoch die Erlernung neuer beruflicher Kompetenzen. Bis 2020 müssten für solche Investitionen Summen von rund 1000 Milliarden Euro bereitgestellt und investiert werden – diese Geldsummen stellen den kritischen Wert für den Anstoß von Wirtschaftswachstum dar.
Damit die beschriebenen Investitionen einen Anschubeffekt auf den privaten Sektor ausüben können, muss der Carbon-Wert gesellschaftlich so hoch angesetzt werden, dass Investitionsanreize bestehen, d.h. der Carbon-Wert muss vom aktuell sehr niedrigen Carbon-Marktpreis abgekoppelt werden, darf wiederum aber auch nicht zu hoch angesetzt werden (eine zu starke Erhöhung des Carbon-Preises ist in der aktuellen Situation nicht verkraftbar). Das bedeutet, dass die zur Wachstums-Ankurbelung erforderlichen Investitionen aktuell nicht von den Märkten aus sich heraus im erforderlichen Umfang finanziert werden können. Andererseits scheidet auch eine ausschließliche Finanzierung durch eine sehr hohe Carbon-Steuer aus. Daher sollte ein anderer Finanzierungsmechanismus überlegt werden. Grundsätzlich könnte nur ein hoher, von der öffentlichen Hand garantierter Carbon-Wert es ermöglichen, Investitionen auf die oben beschrieben Projekte zu lenken.
Unabhängige Agenturen könnten die Verminderung des CO2-Ausstoßes von Unternehmen (infolge vorgenommener Investitionen) zertifizieren bzw. den betroffenen Unternehmen solche Zertifikate ausstellen. Diese Zertifikate könnten von den Unternehmen bei der Tilgung ihrer Investitions-Kredite verrechnet werden. Die finanzierenden Banken könnten ihrerseits diese Unternehmens-Verrechnungs-Zertifikate an die Zentralbank weiter verkaufen. Die Zentralbank könnte sie dann als Carbon-Aktiva in ihrer Bilanz im Umfang gewährter staatlicher Garantien zur Stützung des Wachstums aktivieren. Durch den Kauf von Carbon-Aktiva würde die EZB also private Papiere als Aktiva erwerben, die imstande sind, über Investitionen direkt Einkommen im privaten Sektor zu schaffen.
Diese Art monetärer Finanzierung neuer Investitionen könnte es ermöglichen, gleichzeitig das Wachstum anzuschieben und das Deflationsrisiko zu vermindern.
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