EU-Parlamentspräsident, Griechenland: Martin Schulz kuriert am Symptom – und die F.A.S. macht Politik

Der EU-Parlamentspräsident, der Sozialdemokrat Martin Schulz, hat der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (F.A.S.) ein Interview gegeben. Und die macht damit Politik: “Schulz: Tsipras muss Koalition aufkündigen“, ist die Ankündigung zum Interview überschrieben. Die F.A.S. hat diese Aussage wohl nicht ohne Grund nicht in Anführungszeichen gesetzt und damit nicht als tatsächliche Aussage von Schulz deklariert. Denn die im Text als Zitat von Schulz wiedergegebene Aussage rechtfertigt die Überschrift keineswegs. Die Worte von Schulz sind dann auch aus einem ganz anderen Grund problematisch. Sie bringen zum Ausdruck, dass der Präsident des EU-Parlaments am Symptom zu kurieren versucht, nicht aber gewillt oder in der Lage ist, die Ursachen in den Blick zu nehmen. Wie gut indes die Politik der F.A.S. funktioniert, zeigt der seit geraumer Zeit immer tiefer sinkende und als seriöser Nachrichtensender nur noch eingeschränkt anzusehende Deutschlandfunk, der die Überschrift der F.A.S. prompt in seine Nachrichten übernimmt: “Schulz: Tsipras soll Bündnis mit Rechtspopulisten beenden“.

Kein Journalismus, aber Politik

Wörtlich zitiert wird Schulz in der erwähnten Meldung zum Interview mit der F.A.S. mit diesen Worten:

“Ich halte die jetzige Koalition der Linkspartei mit diesen Rechtspopulisten für einen Fehler´, sagte Schulz der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (F.A.S.). Er habe dies Tsipras bei ihrem Treffen am Freitag in Brüssel deutlich gesagt, berichtete die F.A.S. weiter.”

Das ist, anders als die F.A.S. meint, keine Forderung oder, wie es sich in der F.A.S. liest und im Deutschlandfunk anhört, ein Befehl, die Koalition zu beenden, sondern lediglich eine politische Meinungsäußerung. Die Wendung, der die F.A.S. und der Deutschlandfunk dieser Meinungsäußerung geben, bringt jedoch den Tenor deutscher Leitmedien gegenüber Deutschland und Griechenland sehr treffend zum Ausdruck: Deutschland macht alles richtig, Griechenland macht alles falsch. Die gesamte Berichterstattung der F.A.S./FAZ und des Deutschlandfunks wie vieler anderer einflussreicher Medien ist von diesem Tenor bestimmt und durchzogen. WuG hat dies bereits sehr häufig an einzelnen Beispielen aufgezeigt.

Man mag in den Informationen am Morgen des Deutschlandfunks schon gar nicht mehr hinhören, wenn deutsche Regierungsmitglieder befragt werden, so vorhersehbar ist der journalistische An-Biedermeier. Da ist es geradezu symbolisch, wenn der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, Steffen Kampeter (CDU), die Moderatorin des Deutschlandfunks, Bettina Klein, mit den Worten begrüßt: “Guten Morgen, liebe Frau Klein.” Die Interviewführung wird dieser Anrede durchaus gerecht.

Schulz Symptom-Politik ist symptomatisch

Schulz wörtlich zitierte Aussage ist dann auch aus einem ganz anderen Grund problematisch und zugleich symptomatisch: Schulz kuriert am Symptom. Denn es kann gar kein Zweifel daran bestehen, dass die jetzige Regierungskoalition in Griechenland Ergebnis der Massenarbeitslosigkeit in Griechenland ist. Und Massenarbeitslosigkeit ist, wie wir spätestens seit Ende der 1920er Jahre wissen, die Grundlage für radikale Parteien. Ein deutscher Politiker, noch dazu ein Sozialdemokrat, sollte um diese Geschichte nicht nur wissen, sondern sie auch ernst nehmen und sein politisches Handeln danach ausrichten. Davon ist Schulz weit entfernt und mit ihm die gesamte deutsche sozialdemokratische Führung und die Bundesregierung, in der sie koaliert. Wäre sich Schulz jener wichtigsten Ursache für politische Radikalisierung bewusst, hätte er, wenn er sich schon anmaßt, sich in die Regierungsbildung eines anderen Landes einzumischen, doch zumindest mit einem Rezept aufwarten müssen, wie Griechenland und die Europäische Währungsunion die Massenarbeitslosigkeit in einem zeitlich vertretbaren Rahmen gezielt überwinden kann. Dazu müssten Schulz und seine KollegInnen allerdings erst einmal anerkennen, dass es vor allem ihre Politik gewesen ist, die seit dem Frühjahr 2011 die südlichen Euro-Länder mit Massenarbeitslosigkeit überzogen hat. Es kann wiederum kein Zweifel daran bestehen, dass die oktroyierten staatlichen Ausgabenkürzungen, Lohnsenkungen und die Aufkündigung von Arbeitnehmerrechten, denen Schulz im Europa-Parlament zugestimmt hat, zwingend zu dem Wirtschaftseinbruch führen mussten, der die Massenarbeitslosigkeit in Griechenland und anderswo hervorgerufen hat und mit ihr eine nicht nur in Griechenland zu beobachtende Radikalisierung der Politik. Radikal aber war und ist zuerst die Politik, die Schulz bis heute vertritt und befürwortet. Bis heute aber haben weder das EU-Parlament, noch die EU-Kommission, noch die deutsche Bundesregierung ein Wachstums- und Beschäftigungsziel (siehe dazu ausführlich zuletzt hier und hier). Das aber wäre notwendig, um die Arbeitslosigkeit gezielt zu senken und den davon betroffenen Menschen wieder eine Perspektive zu geben.

Dass dies bis heute nicht geschehen ist, liegt auch in der Verantwortung von Schulz und der deutschen Sozialdemokratie, die mit ihrer Politik Anfang der Jahrtausendwende überhaupt erst jenes Wettbewerbsgefälle eingeläutet hat, das die Eurokrise bis heute bestimmt (siehe dazu zuletzt hier). Dies auszublenden gelingt den politisch Verantwortlichen nicht weniger meisterhaft wie dem Deutschlandfunk, der FAZ und anderen Medien. Sollte sich Schulz nicht noch rechtzeitig besinnen, dürfen wir schon jetzt gespannt sein, was er einer französischen Regierung unter Le Pen empfiehlt.

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