Offener Brief an den Hörfunkrat des Deutschlandfunks: Ungleichbehandlung von im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien im Deutschlandfunk

Das folgende Schreiben ist soeben per E-Mail an den Deutschlandfunk und in Kopie an den Intendanten des Deutschlandfunks, Willi Steul, und das Bundesverfassungsgericht gesendet worden.

Sehr geehrte Damen und Herren,

Wirtschaft und Gesellschaft – Analyse & Meinung (WuG) wertet seit 2013 jeden Monat das Archiv des Deutschlandfunks aus, um festzustellen, wie häufig die im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien im öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Interviews zu Wort kommen. Nach der Bundestagswahl 2013 und der daraus hervorgegangenen Zusammensetzung des Deutschen Bundestags hat WuG diese Auswertung 2014 unter den neuen Vorzeichen fortgesetzt. Ein Ergebnis sticht aus dieser Auswertung regelmäßig hervor: Sowohl an der absoluten Anzahl der Interviews gemessen, als auch gewichtet nach der jeweiligen Stärke aller im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien und der Stärke der Oppositionsparteien, werden auffallend wenige Interviews mit PolitikerInnen der Linken geführt.

Das Bundesverfassungsgericht hat im März vergangenen Jahres festgestellt: “…Der in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG enthaltene Auftrag zur Gewährleistung der Rundfunkfreiheit zielt auf eine Ordnung, die sicherstellt, dass die Vielfalt der bestehenden Meinungen im Rundfunk möglichst breit und vollständig Ausdruck findet…Die Anforderungen an die institutionelle Ausgestaltung der Rundfunkanstalten sind von Verfassungs wegen am Ziel der Vielfaltsicherung auszurichten. Sie stehen in enger Wechselwirkung mit der Grundentscheidung des Gesetzgebers für eine duale Rundfunkordnung. In dieser Ordnung hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk zu inhaltlicher Vielfalt beizutragen, wie sie allein über den freien Markt nicht gewährleistet werden kann…”

Dieser Grundsatz der Vielfaltsicherung scheint mir dann nicht erfüllt, wenn eine demokratisch gewählte Partei regelmäßig und über einen längeren Zeitraum hinweg auffallend seltener zu Wort kommt, als andere. Es ist jedoch nicht allein die Zahl der Interviews, die eine Schieflage zeigt. Unsere Analysen haben ergeben, dass PolitikerInnen der Linken innerhalb eines Monats gleich wochenlang nicht zu Wort kommen. Das können wir bei den anderen Parteien nicht beobachten. Hinzu kommt, dass bei den anderen Parteien einzelne PolitikerInnen geradezu inflationär und noch dazu zum selben Thema interviewt werden. Vielfaltsicherung aber würde nicht nur erfordern, dass alle Parteien, wenn schon nicht gemessen an der absoluten Zahl der Interviews, so doch gemessen an ihrem Gewicht im Parlament und nach Regierungspartei und Opposition, annähernd gleich behandelt werden, sondern auch zu allen politisch relevanten Themen zu Wort kommen. Das ist nicht der Fall. Dabei ist mir bewusst, dass die Gleichbehandlung und Vielfaltsicherung nicht immer an einem Monat gemessen werden kann. Vielleicht auch nicht immer in einem Quartal. So kann beispielsweise ein Parteitag erfordern, dass sich die Auswahl der Interviews auf PolitikerInnen dieses Parteitags konzentriert. Auch gibt es spezifische Themen, die eher einer Partei zugerechnet werden, zum Beispiel die Ökologie Bündnis 90/Die Grünen. Diese Überlegungen sind in dieser Einschätzung also berücksichtigt.

Zwei Beispiele zur Konkretisierung des Problems:

In dem zurückliegenden Monat Februar 2015 hatte keine der angesprochenen Parteien einen Parteitag. Das herausragende Thema im Februar war wiederum eines, das alle Parteien beschäftigt: Europa (Griechenland). Nach meiner Auswertung hat der Deutschlandfunk im Februar dreizehn Interviews mit PolitikerInnen von Bündnis 90/Die Grünen geführt, aber nur drei mit PolitikerInnen der Linken. Bis zum 19. Februar hatte der Deutschlandfunk bereits zehn Interviews mit PolitikerInnen von Bündnis 90/Die Grünen geführt, aber keines mit PolitikerInnen der Linken. Es gab aber kein spezifisch “grün besetztes” Thema in diesem Monat. Sechs Interviews hat der Deutschlandfunk im Februar mit PolitikerInnen der FDP geführt. Da Europa das Kernthema im Februar war, erscheint es angemessen und wichtig, dass die im Europaparlament vertretene FDP zu ihrer Haltung befragt wird. Warum aber gleich doppelt so viele Interviews wie mit der Linken? Und warum gleich drei Mal im Februar Alexander Graf Lambsdorff als Stimme der FDP? Mit 13 Interviews haben PolitikerInnen der Grünen fast genauso viele Interviews mit dem Deutschlandfunk führen dürfen wie die Regierungsparteien CDU/CSU und SPD, die dem Deutschlandfunk im Februar respektive 19 und 15 Interviews gaben. Die Linke landete mit drei Interviews ein weiteres Mal weit abgeschlagen auf dem letzten Platz.

Oder nehmen wir das Jahresergebnis 2014: 162 Interviews hat der Deutschlandfunk mit PolitikerInnen von Bündnis 90/Die Grünen geführt, aber nur 60 mit PolitikerInnen der Linken, die ja als Oppositionspartei sogar, wenn auch nur marginal, stärker im Deutschen Bundestag vertreten sind als die Grünen. Selbst wenn man berücksichtigt, dass die Grünen im Europaparlament mit elf PolitikerInnen in der Grüne/EFA stärker vertreten sind, als die Linken mit sieben PolitikerInnen in GUE/NGL, kann diese Ungleichbehandlung wohl kaum gerechtfertigt werden. Mit den Regierungsparteien CDU/CSU und SPD hat der Deutschlandfunk 2014 respektive 285 und 206 Interviews geführt. Die unterschiedliche Zahl der Interviews bei CDU/CSU und SPD kann dabei durchaus mit ihrer unterschiedlichen Stärke im Deutschen Bundestag begründet werden. Demnach hätten CDU/CSU nach unseren Berechnungen sogar deutlich mehr Interviews zugestanden. Der entscheidende Punkt aber ist, dass die Zahl der Interviews allen Parteien viel zeitlichen Spielraum eingeräumt hat, um ihre Positionen über ein breites politisches Themenspektrum im Deutschlandfunk darzulegen, außer der Linken.

Im April 2014 hatte ich an den Intendanten des Deutschlandfunks, Willi Steul, hierzu die Frage gerichtet: “Können Sie mir erklären, warum der Deutschlandfunk im ersten Quartal des laufenden Jahres 43 Interviews mit Politikern der Grünen geführt hat, aber nur 11 Interviews mit Politikern der Linken?” Herr Steul antwortete mir: “Ich habe hierzu recherchieren lassen, für die Zeit von der letzten Bundestagswahl bis heute, bezogen auf aktuelle Sendungen wie ´Informationen am Morgen´ etc. Danach wurden mit Vertretern der Linkspartei in der Tat weniger Gespräche geführt als mit Politikern der Grünen bzw. der SPD oder der Union.” Weiter heißt es in dem Schreiben: “Ich weiß, wie gewissenhaft die Mitarbeiter der Kölner aktuellen Information arbeiten und ich kann Ihnen versichern, dass bei der Auswahl eines Interviewpartners rein inhaltliche Kriterien angelegt werden, z.B.: Zu welchem tagesaktuellen Thema kann wer zur weitergehenden Information etwas sagen? Welche Partei setzt welche tagesaktuelle Thematik? Und manchmal entscheidet sich alles an der Frage: Wer sagt am Ende zu und steht zu einem Gespräch zur Verfügung? Auch wenn wir im Deutschlandfunk aufgrund unserer langjährig nachgewiesenen Qualität der Information das Privileg haben, dass Politiker gerne Interviews mit uns führen, kommt es doch auch vor, dass wir eine Absage erhalten. Übergeordnetes Prinzip ist es, zu relevanten tagesaktuellen Themen die Bandbreite der Meinungen abzubilden, ohne dass dieses Prinzip jedoch auf jede einzelne ´Tagesausgabe´ angewendet werden kann. Dies wird immer wieder auch in den internen Besprechungen des Bereichs mit der Chefredakteurin und dem Programmdirektor thematisiert. Nichtsdestotrotz werde ich Ihre Anfrage zum Anlass nehmen, Ihr Anliegen noch einmal zu thematisieren.”

Diese Ausführungen konnten angesichts der Dimension der aufgezeigten Ungleichbehandlung schon damals nicht überzeugen. Sie können es erst recht nicht nach der seitdem geprüften und oben aufgezeigten Entwicklung.

Ich bitte daher den Hörfunkrat sich dieses Themas anzunehmen.

Mit freundlichen Grüßen,

Florian Mahler


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