Bündnis 90/Die Grünen, Eurokrise, Griechenland: Erschreckend substanzlose Grünen-Spitze

Simone Peter, Bundesvorsitzende der Partei Bündnis 90/Die Grünen, und Reinhard Bütikofer, Vorsitzender der Europäischen Grünen Partei, haben sich in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt zur “Griechenland-Krise” geäußert. Ihre Sicht auf Griechenland und die Eurokrise erweist sich dabei als erschreckend substanzlos. Nicht anders als die Bundesregierung, die sie als Oppositionspartei kritisieren, sparen sie die Rolle Deutschlands in der Eurokrise vollständig aus. Vielleicht ja nicht nur aus Unwissenheit, sondern in dem Wissen, als Grüne für eben jene Rolle maßgeblich mit verantwortlich zu sein.

Zwar erkennen beide immerhin an: “Sich aus der Krise herauszuschrumpfen, hat sich als fataler Irrweg erwiesen.” Warum aber haben die Grünen eben dieser Politik im Deutschen Bundestag über Jahre zugestimmt? Und warum gelingt es ihnen bis heute nicht, den Bezug zu der deutschen Politik herzustellen, der grüne Spitzenpolitiker bis heute anhängen und die Bündnis 90/Die Grünen gemeinsam mit der SPD entwickelt und durchgesetzt haben: die Agenda 2010?

Ein wesentlicher Grund dafür dürfte – neben dem gewohnten parteipolitischen Opportunismus bzw. einer entsprechenden Betriebsblindheit (hier sollte die Diskussion über “unsere Werte” vielleicht beginnen!) – das Ausklammern jedweder ökonomischen Analyse sein. Stattdessen meinen sich die beiden auf “die Glaubwürdigkeit unserer Werte” berufen zu dürfen. Beides wird ausgerechnet in ihrem Schlussplädoyer des Artikels deutlich:

“Zugespitzt gesagt: Wir in Deutschland müssen einen Grexit noch mehr fürchten als der Rest Europas. Nicht wegen der unmittelbaren wirtschaftlichen Folgen für uns, sondern wegen der strategischen Konsequenzen und der Auswirkungen auf die Glaubwürdigkeit unserer Werte.”

Indem Peter und Bütikofer meinen, die wirtschaftlichen Folgen für Deutschland ausklammern zu dürfen, geben sie gerade zu verstehen, dass sie die von Deutschland ausgehende Ursache der Eurokrise bis heute ignorieren: Eine der zu erwartenden “unmittelbaren wirtschaftlichen Folgen” wäre nämlich eine erhebliche Aufwertung des Euro. WuG hat seit langem auf Basis eigener Analysen darauf hingewiesen, dass Deutschland innerhalb der Europäischen Währungsunion (EWU) aufgrund seiner über einen langen Zeitraum unter dem Inflationsziel der Europäischen Zentralbank (EZB) liegenden Inflationsrate real (in Kaufkraftparitäten gemessen, siehe dazu zum Beispiel ausführlich hier und hier und mit direktem Bezug zu Griechenland hier) gegenüber anderen Mitgliedern der Europäischen Währungsunion abgewertet hat, also billiger geworden ist – nicht nur gegenüber Ländern, die sich unter umgekehrten Vorzeichen in die falsche Richtung entwickelt haben, sondern auch gegenüber der zweitgrößten Volkswirtschaft, Frankreich, das sich geradezu penibel an das Inflationsziel der EZB gehalten hat. Mittlerweile haben auch die OECD, der IWF und andere einflussreiche ökonomische und politische Institutionen auf diesen Sachverhalt hingewiesen. Immer wieder jedoch gelingt es den Deutschen, diese Kritik erfolgreich zu ignorieren und, schlimmer noch, sich als Musterland der EWU ins rechte Licht zu setzen und anderen Ländern entsprechende Rezepte zu diktieren, nicht nur Griechenland, auch Frankreich und anderen Staaten. Jene deutsche Entwicklung aber ist nachweislich eben jener Agenda 2010 geschuldet (siehe dazu bereits aus dem Jahr 2011 hier und aus dem Jahr 2013 ausführlich hier), die die Grünen gemeinsam mit der SPD entwickelt und durchgesetzt haben, und die die Spitze der Grünen nach wie vor nicht grundsätzlich in Frage stellt. Damit aber verstoßen Peter und Bütikofer gegen den wichtigsten “Wert”, der das Überleben der EWU gewährleistet: die Einhaltung des gemeinsamen Inflationsziels von “unter, aber nahe zwei Prozent”, die zugleich die zentrale Voraussetzung für einen fairen Wettbewerb und ein außenwirtschaftliches Gleichgewicht innerhalb der EWU ist.

Sich demgegenüber auf nicht näher definierte gemeinsame “Werte” zurückzuziehen ist politisch wohlfeil und unverantwortlich. Genauso wohlfeil und unverantwortlich ist es, nur die Jugendarbeitslosigkeit kurz zu thematisieren, wie es die beiden in ihrem Gastbeitrag für das Handelsblatt tun. Nein, es ist die Arbeitslosigkeit insgesamt, die nicht nur Ausdruck der unbewältigten Krise und ihrer Ursachen ist, die Peter und Bütikofer offensichtlich bis heute nicht verstanden haben oder nicht thematisieren wollen, sondern die längst an den Grundpfeilern der Demokratie in Europa nagt. Die Massenarbeitslosigkeit zu überwinden aber ist in entwickelten Volkswirtschaften, wie sie die EWU umfasst, kein ökonomisches Problem, sondern ein politisches. Solange sich Politiker wie Peter und Bütikofer allerdings weigern oder nicht dazu in der Lage sind, die zugrundeliegenden ökonomischen Ursachen und Zusammenhänge – maßgeblich den Zusammenhang von Konjunktur und Arbeitslosigkeit bzw. Beschäftigung – zu verstehen, anzuerkennen und zur Grundlage ihrer Politik zu machen, erhält Europa keine Chance, aus der Krise herauszuwachsen. Damit aber machen sich Peter und Bütikofer – nicht anders als Merkel, Gabriel und Schäuble – selbst schuldig an der Zerstörung der gemeinsamen Werte, die sie wohl erhalten wollen: Demokratie, Frieden und ein gemeinsames Europa, das seinen Bewohnern eine Lebensperspektive bietet. Damit aber sind die Grünen zugleich keine wirkliche politische Alternative zur Bundesregierung, sondern Teil des politischen Problems in Deutschland und in Europa.

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