Die Welt, Martin Greive, Eurokrise, Konjunkturlokomotive: Dummheit oder gezielte Irreführung?

Martin Greive, der für die Welt über Wirtschaft fantasiert, ist, ähnlich wie seine Kollegin Dorothea Siems, Dauergast bei WuG. Nicht etwa, weil dessen Texte irgendeinen Bezug zur Realität hätten, sondern, gerade umgekehrt, weil sie beispielhaft aufzeigen, wie Journalisten in etablierten, schwerreichen Medien, ohne Hemmungen an der Wirklichkeit vorbei schreiben, um nicht zu sagen: sie manipulieren.

Heute früh war es wieder soweit. Greive, der die Eurokrise bereits im Oktober 2013 (!) für beendet erklärte, schreibt über: die Eurokrise. Er meint tatsächlich: “Europa kennt die Antwort auf die Krise”. Und: “Die Wirtschaft in der Euro-Zone erholt sich – auch dank ihrer größten Volkswirtschaft Deutschland.” Es ist immer wieder interessant festzustellen, dass einschlägige Medien wie Die Welt, die FAZ oder die Süddeutsche Zeitung zwar regelmäßig die Pressefreiheit hochhalten, sie aber nicht nutzen, sondern einhellig so auf Linie mit der Regierung sind, wie es sonst nur in Staaten zu beobachten ist, die die Pressefreiheit gehörig einschränken.

Greive bezieht sich vor allem auf eine aktuelle Veröffentlichung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young. Die prognostiziert für Deutschland ein Wachstum von 1,5 Prozent in diesem und 1,8 Prozent im nächsten Jahr. Das ist alles nicht der Rede wert. Was der Rede wert ist, ist diese Botschaft Greives:

“Vor allem Deutschland erweist sich demnach als Konjunkturlokomotive für die Euro-Zone.”

Greive meint also aus der vermeintlich hohen Wachstumsrate schließen zu dürfen, dass Deutschland der Europäischen Währungsunion (EWU) als Konjunkturlokomotive dient. Ob aber ein Land als Konjunkturlokomotive dient, ist in keinem Fall aus der Wachstumsrate abzulesen, egal, wie hoch sie auch ausfällt. Entscheidend ist allein, woher das Wachstum kommt. Nur ein Land, das mehr importiert als exportiert, dient anderen Ländern als Konjunkturlokomotive: Es richtet dann nämlich mehr Nachfrage auf andere Länder als diese Nachfrage auf das Land richten und stimuliert so deren Konjunktur. Dieses Kriterium aber erfüllt Deutschland seit langem nicht. Erst vor wenigen Tagen, am 9. April, meldete das Statistische Bundesamt: “Die Außenhandelsbilanz schloss im Februar mit einem Überschuss von 19,2 Milliarden Euro ab. Im Februar 2014 hatte der Saldo in der Außenhandelsbilanz 16,2 Milliarden Euro betragen.” Auch die weiter gefasste Leistungsbilanz weist laut derselben Meldung auf Basis vorläufiger Berechnungen der Deutschen Bundesbank im Februar 2015 nicht nur hohe, sondern auch gegenüber Vorjahr gestiegene Überschüsse aus: “…die Leistungsbilanz (schloss) im Februar 2015 mit einem Überschuss von 16,6 Milliarden Euro ab. Im Februar 2014 hatte die deutsche Leistungsbilanz einen Aktivsaldo von 13,3 Milliarden Euro.”

WuG wertet jeden Monat die Außenhandelsdaten des Statistischen Bundesamts aus und zieht daraus Rückschlüsse auf die Konjunktur Deutschlands, der EWU und der Weltwirtschaft. Das Statistische Bundesamt stellt uns hierzu freundlicherweise ergänzende Daten zur Verfügung. Diese Datenbasis widerspricht ebenfalls der oben zitierten Aussage Greives. Die Ursprungsland-Daten, die, anders als die Versendungsland-Daten, ihrem Namen gemäß die Herkunft der von Deutschland importierten Waren nach ihrem ursprünglichen Versendungsort erfassen und nicht nach dem Land, von dem aus die Waren zuletzt nach Deutschland versendet wurden, belegen, dass Deutschland deutlich mehr in die EWU exportiert, als von dort importiert (siehe dazu zuletzt auch ausführlich hier und hier).

Es verhält sich also genau umgekehrt: Deutschland ist keine Konjunkturlokomotive, weder für die EWU noch für die Weltwirtschaft insgesamt, sondern lässt sich zu Lasten seiner Handelspartner von ihnen ziehen. Drei wesentliche Folgen davon: ein dem Handelsbilanzsaldo entsprechender Anstieg der Verschuldung der davon betroffenen Länder, eine Schwächung ihrer Konjunktur und eine damit verbundene hohe Arbeitslosigkeit. Aber auch die deutsche Konjunktur könnte wesentlich dynamischer wachsen und darüber mehr Menschen beschäftigen und den Wohlstand des Landes heben, wenn Deutschland endlich seine Binnennachfrage stärken und darüber Importe und Exporte ins Gleichgewicht bringen würde.

Genau das hat gerade erst wieder das US-Finanzministerium von Deutschland eingefordert (siehe dazu hier, hier und hier).

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