Energiewende – aber richtig: Französische Ademe-Studie – Der Umstieg auf 100 Prozent grünen Strom ist möglich

Deutsche Übersetzung der Meldung der französischen Tageszeitung Le Monde vom 11. April 2015 Seite 7 durch Gerhard Kilper, Berichterstatter Pierre Le Hir.

Fazit: Frankreich könnte bis 2050 ohne Kernenergie auskommen, und das zu Kosten, die denen der Aufrechterhaltung der Stromerzeugung aus Atomenergie vergleichbar sind.

Die dem französischen Umwelt- und Forschungsministerium zugeordnete Agentur für Umwelt und Energiebeherrschung Ademe entzündete – eher widerwillig und ungern – mit einer Studie einen wahren Brandsatz. Die von ihr in Auftrag gegebene Studie kommt zu dem Schluss, Frankreich könne bis 2050 ganz ohne Kernkraft seinen ganzen Bedarf an elektrischer Energie allein aus erneuerbaren Energien gewinnen.

Die ursprünglich für den 14. und 15. April 2015 für ein Kolloquium in Paris vorgesehene Präsentation des Dokuments wurde von der Agentur Ademe mit dem Argument verschoben, es sei noch nicht abgeschlossen und werde in den nächsten Monaten veröffentlicht.

Das Dokument ist der französischen Regierung unangenehm, ja lästig, weil ihr Gesetzesentwurf zur energischen Umsteuerung die Aufrechterhaltung eines Sockels von 50 Prozent Nuklearenergie vorsieht, und weil ihr Entwurf in der Nationalversammlung zur Debatte ansteht. Der Bericht wurde schließlich vorzeitig von der Online-Zeitung Mediapart.fr veröffentlicht.

Erste Schlussfolgerung der Ademe-Studie:

Unter Einbeziehung aller grünen Energiequellen – Windkraft, Solarenergie, Biomasse, Wasserkraft und Meeresenergie – verfügt Frankreich über ein Potential von 1268 Terrawattstunden (TWh) pro Jahr, d.h. dreimal soviel wie die für die Mitte des Jahrhunderts geschätzte jährliche Stromnachfrage von 422 TWh pro Jahr. Um auf einen elektrischen Mix von 100 Prozent erneuerbaren Strom zu kommen – der ein Viertel des gesamten Energieverbrauchs ausmacht – müssten umgehend alle Register zur Umsteuerung gezogen werden.

Die Studie schlägt 63 Prozent grünen Strom aus Windkraft (Land, Meer), 17 Prozent aus Solarenergie, 13% aus Wasserkraft und 7 Prozent aus thermischer Energie (geothermische Energie, Biomasse) vor.

Zweite Schlussfolgerung der Ademe-Studie:

Die zweite, nicht weniger bilderstürmerische Schlussfolgerung lautet, Strom aus 100 Prozent erneuerbaren Energien ist kaum teurer als ein Szenario aus der Kombination von 50 Prozent Nuklearstrom und 40 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien (Gesetzesentwurf der Regierung). Allerdings würde die Umsteuerung auf 100 Prozent grünen Strom eine gewaltige Anstrengung beim Bau von Windkraft- und Solarenergieanlagen erfordern. Aufgrund von Produktions-Leistungsschwankungen erneuerbarer Energien müsste die installierte Kapazität 196 Gigawatt (GW) betragen, d.h. vergleichsweise 55 Prozent mehr Kapazität als bei aktuell existierenden Anlagen. Gleichzeitig müssten die Speicher – und Netzausgleichsmöglichkeiten ausgebaut werden.

Anfangs würde sich ein Umsteuern spürbar auf die Stromrechnungen der Verbraucher auswirken. Ohne Steuern beliefen sich die Stromkosten auf 119 Euro pro Megawattstunde (MWh), d.h. 30 Prozent mehr im Vergleich zum aktuellen Strompreis. Doch diese Umstellungs-Rechnung entspricht fast den Zahlen für das von der Regierung anvisierte Umsteuerungsszenario mit 50 Prozent Atomstrom und 40 Prozent grünem Strom aus erneuerbaren Energien, das Stromkosten von 117 Euro pro MWh bringen würde (der fehlende 10-Prozent-Rest der Stromerzeugung käme von Gaskraftwerken). Denn: Die zu erwartenden Kosten für Aufrecht- und Unterhaltung des französischen Nuklearparks wären besonders durch dann erforderlich werdende Sicherheitsnormen für neue Reaktoren (wie z.B. ERP- Reaktoren) auch sehr hoch. Fast die Hälfte der zurzeit in Betrieb befindlichen frz. Atomreaktoren kommt zwischen 2019 und 2025 auf ein Alter von 40 Jahren und müsste – falls die Atomaufsichtsbehörde ihren Weiterbetrieb erlaubt – durch EPR-Modelle ersetzt werden.

Damien Siess, stellvertretender Direktor für Energieproduktion und erneuerbare Energien bei Ademe vertritt die Meinung, “erneuerbare Energien sind zwar heute teurer als Nuklearenergie, aber ihre Kosten werden auf Dauer sinken – ganz im Gegensatz zum Nuklearstrom, der zwar heute billiger ist, dessen Kosten aber aufgrund geltender Sicherheitsnormen der Atomenergiebehörde für neue ERP-Reaktoren ansteigen werden”.

Doch es erscheint sehr wenig wahrscheinlich, dass die als störend empfundene Ademe-Studie die Haltung der französischen. Regierung beeinflussen wird. Diese nimmt gegen jede Strategie eine feindselige Haltung ein, die das Ziel eines kompletten Ausstiegs aus der Atomstromerzeugung verfolgt.

Pierre Le Hir

© Le Monde


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