Eurostat bestätigt einseitige Ausrichtung der EWU auf Exportüberschuss und die Kritik des US-Finanzministeriums

Die monatlichen Meldungen des Europäischen Amts für Statistik (Eurostat) über die Entwicklung des Außenhandels, der Investitionen und der Unternehmensgewinne sind den deutschen Medien keine Meldung wert. Dabei offenbaren wohl keine anderen Statistiken so deutlich die zerstörerischen Auswirkungen der einseitig auf Exportüberschüsse ausgerichteten Politik der Europäischen Kommission und der Europäischen Zentralbank (EZB) auf die internationalen Wirtschaftsbeziehungen und die Binnenwirtschaft der Europäischen Währungsunion (EWU), die, ausgehend von Deutschland, auch erneut im Zentrum der Kritik des US-Finanzministeriums steht (siehe dazu hier, hier und hier).

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Die von Eurostat veröffentlichte Graphik zeigt seit 2012 für die EWU eine Entwicklung im Außenhandel auf, die wir aus Deutschland seit vielen Jahren nur allzugut kennen: eine sich öffnende Schere zwischen Exporten und Importen. Der daraus resultierende, zunehmende Außenhandelsüberschuss bedeutet für den Rest der Welt eine steigende Außenverschuldung, sinkende Wachstumschancen und damit auch sinkende Chancen für Beschäftigung  bzw. sinkende Chancen, die Arbeitslosigkeit zu überwinden.

Dieser Befund ist Ergebnis einer Politik, die nunmehr seit Jahren auf “Strukturreformen” (staatliche Ausgabenkürzungen, Lohnsenkungen und Abbau von Arbeitnehmerrechten) und in jüngerer Zeit auch gezielt auf eine Abwertung des Euro gegenüber dem US-Dollar setzt. Es ist die Politik, die Deutschland seit der Agenda 2010 in besonders vehementer Form eingeschlagen hat und die nunmehr – nicht zuletzt durch deutschen Druck und offensichtlich fehlende Eigenständigkeit und Einsicht in gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge der politisch Verantwortlichen in anderen Euro-Ländern – auch bestimmend für die EWU insgesamt geworden ist.

Infolge dieser Politik sind die Exporte weiter gestiegen, die Importe aber sogar gesunken, wie Eurostat festhält:

“Im Zeitraum Januar-Februar 2015 stiegen die Warenausfuhren des Euroraums in die restliche Welt auf 308,5 Mrd. Euro (ein Anstieg von 2% gegenüber Januar-Februar 2014), während die Einfuhren auf 280,6 Mrd. zurückgingen (ein Rückgang von 3% gegenüber Januar-Februar 2014). Infolgedessen verzeichnete der Euroraum einen Überschuss von 27,9 Mrd. Euro, gegenüber 14,5 Mrd. im Januar-Februar 2014. Der Intra-Euroraum-Handel verringerte sich auf 267,1Mrd. Euro im Januar-Februar 2015, dies entspricht einem Rückgang von 2% gegenüber Januar-Februar 2014.”

Diese Entwicklung müsste doch nicht nur den politisch Verantwortlichen, sondern auch jedem geschäftstüchtigen Unternehmer die Haare zu Berge stehen lassen: Nicht nur hat die Politik dafür gesorgt, dass sich die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte der EWU mit dem Rest der Welt verschärfen und damit auf zunehmenden Widerstand stoßen müssen; der kräftig gestiegene Exportüberschuss hat auch nicht – wie von der herrschenden politischen, journalistischen und ökonomischen Lehre erwartet – die Binnenwirtschaft stimuliert, sondern, im Gegenteil, sie weiter ins Minus rutschen lassen. Hintergrund dafür ist, dass die Binnenwirtschaft ein sehr viel höheres Gewicht an der Gesamtnachfrage hat, als der Export. Würge ich erstere durch “Strukturreformen” ab, kann dies niemals durch dadurch zulegende Exportüberschüsse kompensiert werden. Auch dafür steht die deutsche Entwicklung vor Ausbruch der Finanz- und Eurokrise; in dieser Periode viel das Wachstum Deutschlands hinter das Wachstums der EWU insgesamt und einzelner Volkswirtschaften zurück. Schon von daher hätte Deutschland nie zum wirtschaftspolitischen Vorbild für andere Euro-Länder werden dürfen.

So auch bei den Sachinvestitionen. Passend dazu publizierte einen Tag zuvor die Entwicklung der Investitionsquote, die sich im Euroraum bis heute nicht von ihrem Einbruch bei Ausbruch der Finanz- und Eurokrise erholt hat. Und so auch die Gewinne der Unternehmen, die aufgrund des kontraktiven Wirtschaftsverlaufs – für den die Unternehmensverbände mit verantwortlich zeichnen, indem sie auf niedrige Löhne und staatliche Ausgabenkürzungen setzen – ebenfalls eingebrochen und weiter rückläufig sind.

Politisch Verantwortliche, Medien und die versammelte etablierte deutsche Wirtschaftswissenschaft haben nichts, aber auch gar nichts in der Hand, was ihre Forderungen und bisherige Politik stützen könnte. Dass sie diese Entwicklung ignorieren können, zeigt, dass in unserer Demokratie etwas fundamental falsch läuft. Es fehlt nicht nur an wirtschaftlichem Grundwissen, es fehlt auch eine wirksame Machtkontrolle und politische Verantwortung, die ihren Namen verdient. Dafür spricht nicht zuletzt auch, dass der Autor dieses Beitrags und Herausgeber dieses Mediums trotz jahrelanger Analysen zu diesem Themenkomplex noch kein einziges Mal zu einem Presseclub, zu einem Interview im Deutschlandfunk oder zu einer Talk-Show eingeladen worden ist – obwohl es die hier publizierten Analysen sind, die bis zuletzt immer wieder durch die Wirklichkeit bestätigt worden sind.

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