“Der Überschuss der deutschen Leistungsbilanz wird weiter steigen auf einen neuen Rekordwert von 256,0 Milliarden Euro; das sind 8,5 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung. 2014 waren es knapp 220 Milliarden Euro oder 7,6 Prozent. Für 2016 werden sogar 266 Milliarden erwartet oder ebenfalls 8,5 Prozent.” So ist es in der Pressemitteilung des heute veröffentlichten Frühjahrsgutachtens der “führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute” zu lesen. Zur Begründung heißt es ebenda:
“Vor allem wegen der deutlich gesunkenen Importpreise steigt der Leistungsbilanzüberschuss in Relation zum Bruttoinlandsprodukt auf 8,5 Prozent.”
Das ist köstlich und gleichzeitig ein wissenschaftlicher Offenbarungseid: Als wären die – vor allem aufgrund des gefallenen Ölpreises – gesunkenen Importpreise im Rest der Welt, mit dem Deutschland Leistungsbilanzüberschüsse erzielt, nicht gesunken! Deutschland bzw. seine “führenden Wirtschaftsforschungsinstitute” wähnen sich wirklich allein zu Haus! Und sie machen sich lächerlich! Das sind keine Wirtschaftsforscher. Und es ist ein Skandal, dass solche Institute und deren Ideologen, denn um nichts anderes als Ideologie handelt es sich hier, durch Steuergelder finanziert werden.
Das zeigen auch die weiteren Ausführungen des “Gutachtens”, das diesen Namen wahrlich nicht verdient. So müssen sich die Autoren die Frage gefallen lassen, warum trotz des vermeintlich kräftigen Aufschwungs die Investitionen denn immer noch nicht angesprungen sind. Sie schreiben:
“Die Unternehmensinvestitionen dürften allmählich anziehen.”
Regelmäßig, so selbst eine im Gutachten veröffentlichte Tabelle, haben die “Wirtschaftsforscher” die Inlandsnachfrage in ihren Prognosen überschätzt – weil sie ebenso regelmäßig meinen, dass die Konjunktur über den Export anspringen müsste und dann ihre Dynamik über Investitionen und Konsum entfalte. Das ist aber nicht nur für die Handelspartner nicht hinnehmbar, sondern scheitert auch regelmäßig, weil die Binnennachfrage – darin vor allem die Löhne – das mit Abstand größte Nachfrageaggregat der Volkswirtschaft bildet. Von dieser Nachfrage hängt damit auch die Rentabilität von Unternehmensinvestitionen maßgeblich ab.
Auch unsere regelmäßige monatliche Konjunktureinschätzung auf Basis der vom ehemaligen Sachverständigenratsmitglieds Claus Köhler entwickelten Spannungszahl sieht den Aufwärtstrend der deutschen Wirtschaft und hat ihn zuverlässig vorweggenommen (siehe dazu zuletzt hier). Die Rahmenbedingungen dieses Aufschwungs aber nicht zu problematisieren, sondern das einleitend zitierte außenwirtschaftliche Ungleichgewicht einfach als selbstverständlich anzusehen und nicht zu hinterfragen, ist eine intellektuelle Unverschämtheit, die die daran beteiligten Ökonomen allesamt disqualifiziert. Sie waren es übrigens, die vor Jahren meinten, Länder wie Griechenland müssten sich aus der Krise “heraus schrumpfen” (siehe dazu den Beitrag vom 19. Oktober 2011).
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