Mit dem Folgenden steht Spiegel online in der deutschen Medienlandschaft sicherlich nicht allein, wir können es daher getrost als beispielhaft im negativsten Sinne jedweder journalistischen Arbeit thematisieren: Bereits gestern hat WuG auf seiner facebook-Seite auf die einseitige Berichterstattung in Spiegel online über den erneuten Bahnstreik hingewiesen (siehe ). Heute Vormittag hat das Magazin noch einmal nachgelegt. Spiegel online informiert nicht, es macht Stimmung. Ein weiteres Beispiel dafür, dass Pressefreiheit dann nichts bedeutet, wenn sie nicht in den Dienst der Aufklärung gestellt, sondern für Propagandazwecke im Dienst der Mächtigen, in diesem Fall des Unternehmens Bahn und der Bundesregierung, genutzt wird. Ein weiteres Beispiel dafür, dass es um den Journalismus in Deutschland nicht gut bestellt ist.
Und so sieht die Propaganda konkret aus. Spiegel online schreibt:
“Der Konfrontationskurs von GDL-Chef Claus Weselsky wird in der Politik zunehmend kritisiert, auch bei der gewerkschaftsnahen SPD.”
Damit wird, erstens, einseitig der Gewerkschaft die Schuld für den erneuten Bahnstreik in die Schuhe geschoben. Schlimmer noch, die Schuld wird, zweitens, personalisiert auf die Person des GDL-Vorsitzenden Claus Weselsky. Gleichzeitig wird, drittens, die GDL von den DGB-Gewerkschaften und der SPD isoliert. Letzteres wäre kein Problem, würde zugleich deutlich, dass SPD und DGB-Gewerkschaften in den zurückliegenden Jahren keineswegs die Arbeitnehmerseite überzeugend vertreten haben, sondern, im Gegenteil, sich den Positionen der Arbeitgeber allzu unterwürfig, ja, geradezu im vorauseilenden Gehorsam, untergeordnet haben.
Dazu passt, dass Spiegel online diesen Artikel mit der Überschrift aufmacht:
“Extrem-Streik der Lokführer: Deutschland rüstet sich für tagelangen Stillstand”.
Die Einordnung eines sechs Tage langen Streiks als “Extrem-Streik” unterstreicht die oben von mir ausgedrückte Kritik an den DGB-Gewerkschaften: Was ist an einem sechs Tage langen Streik extrem, angesichts der Zustände auf dem deutschen Arbeitsmarkt, die die SPD in führender Verantwortung geschaffen hat (Agenda 2010, Leiharbeit, Minijobs, Arbeitszwang und nicht existenzsichernde Sozialsysteme mittels Hartz-IV, etc.)? Zu dieser Einordnung kann man offensichtlich nur gelangen, wenn man das fünfzehn Jahre lange Einknicken von SPD und DGB gegenüber Arbeitgeberinteressen als richtig empfindet, ohne dies und die Folgen daraus zu hinterfragen. Hinterfragen aber ist eine Kernaufgabe eines freien und unabhängigen Journalismus, der seinen Namen auch verdient. Das gilt umso mehr angesichts der Auswirkungen dieser verheerenden Politik und deren Entwicklungen auf die Entwicklung in der Europäischen Währungsunion (siehe hierzu bereits 2011 hier).
Der hier beispielhaft für die deutsche Medienlandschaft herausgegriffene Artikel zieht weitere Register, die den Vorwurf der Propaganda rechtfertigen. So lautet die erste Zwischenüberschrift:
“Warum streiken die Lokführer schon wieder?”
Die unterschwellige Botschaft ist klar: Schon wieder ein Streik! Streik als Störfaktor. Streik aber ist ein fester Bestandteil und Garant jeder demokratischen Ordnung.
Dann wird als erstes auf das Angebot der Bahn verwiesen, nicht aber der Zeitraum genannt, auf den sich das Angebot erstreckt. Wir kennen dies zu Genüge selbst in den Informationen des DGB, wenn es um Tarifabschlüsse geht: Er verschweigt regelmäßig die Laufzeit eines Abschlusses, die sich häufig über ein Jahr hinaus erstreckt. Der Abschluss fällt daher häufig geringer aus, sobald man ihn auf einen vergleichbaren Zeitraum, in der Regel ein Jahr, bezieht.
Schließlich wird noch die Belastung “der Wirtschaft” durch den Streik hervorgehoben. Dass die schlechte Lohnentwicklung bei ausbleibenden Streiks die überwiegende Zahl der Unternehmen belastet, weil sie ihnen Nachfrage entzieht, ist für Spiegel online kein Thema.
Angesichts der sich von Spiegel online bis zum Deutschlandfunk erstreckenden, einseitigen Berichterstattung zu den vergangenen GDL-Streiks überrascht diese erneut einseitig gegen die GDL gerichtete Stimmungsmache freilich nicht (Hintergrund hierzu siehe zuletzt hier, hier, hier und hier). Das mindert jedoch nicht die Relevanz, immer wieder auf solche Fehlentwicklungen aufmerksam zu machen.
—
Wirtschaft und Gesellschaft – Analyse & Meinung finanziert sich ausschließlich über Abonnements und Spenden. Noch sind diese nicht Existenz sichernd. Guter Journalismus muss bezahlt werden, um zu überleben. Deswegen:
Abonnieren Sie Wirtschaft und Gesellschaft – Analyse & Meinung oder spenden Sie bitte an:
Sie können helfen, unseren Leserkreis zu erweitern!
Wirtschaft und Gesellschaft hat jetzt auch eine und freut sich über jedes “Gefällt mir”.
————————————————————-
Dieser Text ist mir etwas wert
|
|