Da ist in der Tat etwas Wahres dran: “Je weiter man sich von Europa entfernt, desto mehr spürt man die Strahlkraft, die von der europäischen Idee ausgeht, desto mehr sind die Menschen begeistert von der europäischen Einigung.” So gestern der amtierende Präsident des Europäischen Parlaments und Sozialdemokrat, Martin Schulz, in seiner Rede anlässlich des an ihn verliehenen Karlspreises. Man muss den Satz nur richtig lesen und verstehen, anders also, als Martin Schulz ihn versteht und verstanden wissen möchte. Der Inhalt seiner Rede ist dann auch auf seine Art weit, sehr weit von Europa entfernt.
Richtig gelesen, das heißt die wirtschaftliche und soziale Situation in der Europäischen Währungsunion berücksichtigend, kann man die Aussage von Schulz nur so begreifen, dass man nur weit genug von Europa entfernt leben muss, um auf das weltfremde Geschwafel der politischen Eliten in Europa hereinzufallen, das er mit Strahlkraft verwechselt. Für letzteres hat Schulz mit seiner Rede gestern ein weiteres im buchstäblichen Sinne blendendes Beispiel geliefert. Nichts kann wohl den katastrophalen Zustand Europas besser ausdrücken. Die Elite feiert sich selbst (siehe hierzu auch die Rede zum selben Anlass von Donald Tusk, hier) – und phantasiert sich ein Europa, das mit der Lebenswirklichkeit der darin lebenden Menschen nichts gemein hat. Schlimmer noch: dessen Lebenswirklichkeit und Lebensperspektive sie ohne Rücksicht auf Verluste seit nunmehr fünf, sechs Jahren nachhaltig zerstört hat. Schulz ist nur einer von ihnen. Allerdings ein besonders einfältiger.
Ein “Instinkteuropäer” zu sein, als den sich Schulz in seiner Rede selbst begreift, reicht eben nicht, um Verantwortung für ein komplexes Gebilde einer Währungsunion und für die darin lebenden Menschen zu übernehmen. Immerhin bringt es aber die Provinzialität von Schulz zum Ausdruck, die in einem merkwürdigen, ja, erschreckenden Widerspruch zu seinem Palaver über “die Öffnung von Grenzen” steht. Schulz:
“Als Bürger einer Grenzregion ist man so etwas wie ein Instinkteuropäer. Für uns alle, die wir nach dem Krieg in diesem deutsch-niederländisch-belgischen Dreiländereck aufgewachsen sind, in diesem europäischen Mikrokosmos, war die Erfahrung mit Grenzen prägend…Dabei war die Öffnung der Grenzen doch nur der Schlusspunkt der langandauernden Überwindung von anderen Grenzen – kulturellen, wirtschaftlichen und sprachlichen.”
Man ist geneigt zu fragen, wann Schulz zuletzt als “normaler” Mensch durch Europa gereist ist, oder ob er eine solche Reise in seinem Leben überhaupt schon einmal unternommen hat. Denn nichts wird bei einer solchen Reise deutlicher, als die kulturellen, wirtschaftlichen und sprachlichen Unterschiede, die Schulz offensichtlich als Grenzen begreift. Und warum auch sollten sie überwunden werden? Davon ist ein geeintes, friedliches und prosperierendes Europa nicht abhängig. Wohl aber davon, dass die Volkswirtschaften so organisiert werden, dass sie den Menschen Arbeit und soziale Sicherheit, eine Lebensperspektive gewährleisten. Genau diese Grundlagen aber haben Schulz und seine KollegInnen in den vergangenen Jahren nachhaltig zerstört. Sie haben mit ihrer zerstörerischen Politik Millionen Menschen die Lebensgrundlage entzogen. Daraufhin darüber zu lamentieren, wie Schulz es in seiner Rede unternimmt, dass Menschen dann schließlich doch wieder ihr Heil in nationalen Grenzen suchen, zeigt nur, dass Schulz seine Verantwortung weder begreift noch ausüben kann. Man müsste ihn politisch für unmündig erklären, wie so viele seiner KollegInnen. Das muss man sich einmal vorstellen: Da hat jemand das höchste demokratische Amt im Staate und ist doch politisch nicht trocken hinter den Ohren! Und dafür erhält er auch noch einen Preis, mit Lobeshymnen versehen, die nur zeigen, dass dem materiellen Untergang Europas der intellektuelle Untergang vorausging. Schulz:
“Wir überwanden das Trennende, um das Einende zu schaffen. Das ist die Botschaft Europas: das Trennende zu überwinden, um das Einende zu schaffen. Deshalb stelle ich mich auch jedem energisch in den Weg, der uns diese Freiheit nehmen will! Wer Grenzen wieder einführen will, der will uns erneut trennen!”
Auf welchem Kontinent lebt dieser Mann! Wo hat Schulz, wo haben er und seine KollegInnen irgendetwas vollbracht in den Jahren nach Ausbruch der Eurokrise (und davor), dass dieses Staatengebilde und die in ihm lebenden Menschen geeint hätte? Das genaue Gegenteil ist der Fall. Sie haben gespalten. Und sie spalten weiter. Indem sie Europa die wirtschaftliche und soziale Grundlage nehmen, die jenen vorausgegangenen Einigungsprozess überhaupt erst ermöglicht hat. Das eigentliche Wunder dabei ist, dass immer noch so viele Menschen an der europäischen Idee festhalten, schöner noch: sie leben. Die Offenheit, die Großzügigkeit, die Hilfsbereitschaft, die Gastfreundschaft, die ich während meiner Reise zu Fuß, trampend und mit der Bahn durch Europa derzeit erfahre, existieren jedoch trotz und nicht wegen der wirtschaftlichen und sozialen Lage, mit der Politiker wie Schulz Europa drangsalieren und zerstören. Den Nationalismus, den bringen erst Politiker wie Schulz zurück auf die politische Bühne, indem sie die Folgen ihrer zerstörerischen Politik vollständig verkennen.
Nimmt man die folgenden Sätze von Schulz hinzu, kann man gar nicht anders, als diesem Mann zumindest jedweden politischen Verstand abzusprechen:
“Viele Jahre war ich Bürgermeister der Aachener Nachbarstadt Würselen und hatte so das große Privileg, Europa im Alltag kennenzulernen. Damals ist in mir die feste Überzeugung gereift, dass politische Entscheidungen immer so nah an den Menschen wie möglich getroffen werden müssen, dass Politik ein menschliches Gesicht braucht, dass Politik greifbar und begreifbar sein muss.”
Dass “die Menschen sich immer mehr von Europa entfremden, sich abwenden und sich in dem Haus Europa nicht mehr wohlfühlen”, fällt dabei selbst Schulz auf. Das ist für ihn aber nicht etwa Anlass seine Verantwortung dafür zu suchen. Nein, für ihn zählt die Idee, nicht die Wirklichkeit. Genau das ist der Kern einer jeden Ideologie: die Idee bestimmt die Wirklichkeit. Und genau diese Denkweise hat die Menschheit immer wieder in die Katastrophe geführt. Schulz:
“Dabei ist die Idee Europa – das Trennende durch die Zusammenarbeit von Staaten und Völkern über Grenzen hinweg zu überwinden – diese Idee ist unbestritten. Aber immer weniger Menschen verbinden sie mit ´der EU´. Die Frage ist jetzt: Geben wir deshalb die Idee auf oder machen wir die EU verständlicher und leistungsfähiger? Ich bin dafür, die EU verständlicher und leistungsfähiger zu machen, um diese großartige Idee voranzubringen.”
Für mich redet Schulz – und das ist das eigentlich beängstigende – wie ein Irrer, ich muss das so deutlich schreiben. Schulz meint tatsächlich, die Menschen, die sich von der europäischen Idee abwenden, hätten sie nur nicht richtig verstanden. Deswegen ist er angetreten, “die Türen und Fensters des Hauses Europa zu öffnen”:
“Deshalb bin ich als Präsident des Europarlamentes angetreten, um die Türen und Fenster des Hauses Europa zu öffnen. Damit die Menschen hinein schauen können, und verstehen, was drinnen passiert – wer was, wann, wo und warum macht. Nur so kann das verloren gegangene Vertrauen wiedergewonnen werden.”
Für Schulz ist die Alternative zu dieser von ihm in maßgeblicher Verantwortung ausgeübten Politik die “Re-nationalisierung”. Schulz:
“Die Alternative zur EU lautet: Re-nationalisierung. Deshalb stehen wir vor der Frage: Wollen wir jeder für sich allein gestellt oder wollen wir gemeinsam unser Gesellschaftsmodell und unsere Wettbewerbsfähigkeit in der Globalisierung verteidigen?”
Schulz begreift einfach nicht, dass die “Re-nationalisierung” nicht zuerst “die Alternative” zur gegenwärtigen Politik ist, sonder das Ergebnis der gegenwärtigen Politik. Schulz ist in jeder Hinsicht auch intellektuell überfordert. Daran kann spätestens angesichts seiner Rede zur Verleihung des Karlspreises überhaupt kein Zweifel bestehen. Sein Weltbild ist so schlicht, dass es schlichtweg fassungslos macht, dass dieser Mann politisch Karriere machen konnte. Und er steht mit dieser erschütternden Bilanz ja nicht allein. Es sind die Parteien, die solche Karrieren erlauben. Das zeigt, dass der Eurokrise auch ein fundamentales parteipolitisches Demokratie- und Soazialisierungsproblem zugrundeliegt. Schulz weiter:
“Zusammen aber sind wir Europäer eine starke Gemeinschaft von Staaten und Völkern, die ihren Bürgern Rechte garantieren; Rechte für die in anderen Teilen der Welt Menschen auf die Straße gehen, ja, ihr Leben aufs Spiel setzen.”
Glaubt Schulz im Ernst, dass die Spanier, Griechen, Portugiesen, die nicht zuletzt aufgrund seiner Politik von ihren Gläubigern auf die Straße gesetzt werden, ihren Arbeitsplatz verloren haben, hungern, deren Rechte zu demonstrieren massiv eingeschränkt wurden, ohne das Schulz darüber je ein Wort verloren hätte, glaubt Schulz ernsthaft, diese BürgerInnen meinen, ihrer Rechte würden garantiert? Was für ein unerhörter Dummkopf oder was für eine unerhörter politischer Scharlatan! Schulz weiter:
“…wer mit uns Handel und Wandel betreiben will, der muss unsere Rechte und unsere Standards respektieren. Unsere Wirtschaftskraft entsteht aus dem Binnenmarkt, aus dem Zusammenschluss von Ökonomien, diegerade durch ihre Verbundenheit stark sind.”
Wann war Schulz zuletzt in Deutschland, möchte man fragen. Hat er noch nie etwas vom deutschen Leistungsbilanzüberschuss gehört? Hält er etwa das deutsche Lohndumping, das bis heute die Eurokrise bestimmt, für einen erstrebenswerten Standard, so wie sein Parteivorsitzender, Sigmar Gabriel? Wie könnte Schulz sonst von “wirtschaftlicher und sozialer Gerechtigkeit” phantasieren!
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