Alle SpanierInnen, die ich unterwegs gesprochen habe, erwarten sich von den gestern stattgefundenen Regionalwahlen nichts. In 13 der 17 spanischen Regionen sind am Sonntag regionale Parlamente und im ganzen Land neue Stadträte und Gemeindevertretungen gewählt worden. “Ich werde mit meiner Stimme nichts ändern, aber ich gehe zur Wahl.” Diese Stimme eines Spaniers, Mitte dreißig, Vater von Zwillingen, mit seiner Frau und Kinderwagen unterwegs zur Wahlurne im Stadtteil Kansas City, Sevilla, ist natürlich nicht im statistischen Sinne repräsentativ. Und doch trifft sie den Kern der Aussagen, die mir in den vergangenen Wochen auf der Straße in Spanien unterwegs im Gespräch gegeben wurden. Seine Frau: “Wir werden doch ohnehin von Merkel regiert.” Auch mit dieser Aussage wurde ich in den vergangenen Wochen in Spanien und in Portugal immer wieder konfrontiert. Viele hassen Merkel regelrecht und sagen dies auch. Dieselben Menschen aber, so meine Erfahrung, versprechen sich auch nichts von den Sozialisten (PSOE) – und von der neuen linken Partei Podemos. Sowohl die Ängste konservativer als auch die Hoffnungen linker Medien und politischer Entscheidungsträger in Deutschland dürften daher gleichermaßen daneben liegen, bzw. erscheinen sie verfrüht.
Der Bayerische Rundfunk (BR) meldet zum Thema:
“Da die großen Parteien PP und Sozialisten (PSOE) offenbar fast nirgendwo absolute Mehrheiten gewonnen haben, dürften neue Parteien wie Podemos oder Ciudadanos in vielen Regionen und Kommunen bei der Regierungsbildung künftig eine Schlüsselrolle spielen. Die Abstimmung am Sonntag galt als wichtiger Test für die landesweite Parlamentswahl im Herbst.”
Die regierenden Konservativen (PP) aber sind im ganzen Land bzw. in den meisten Regionen stärkste Kraft geblieben. Und die Partei Ciudadanos (Bürger), nicht Podemos, ist drittstärkste Kraft geworden. Einige Punkte des Programms von Ciudadanos lesen sich zwar links, ihre Wähler aber stufen die Partei wie sich selbst in der Mitte des Parteienspektrums ein. Auch ist sie in national-konservative Aktionen und Korruptionsaffären verstrickt (siehe hierzu auch die Zusammenfassung zur Partei in wikipedia). Sie könnte bei den Parlamentswahlen im Herbst der neue Mehrheitsbeschaffer für die Konservativen werden. So wie die Podemos für die Sozialisten. Beide großen Parteien haben Verluste erlitten, die PP hat landesweit mehr als zehn Prozentpunkte verloren, die PSOE rund drei Prozentpunkte.
Ein “Linksruck”, wie das Handelsblatt meint, ist das nicht, allenfalls ein Linksrückchen. Einen möglichen Machtwechsel in Spanien oder gar Europa herbeizuschreiben, wie es einige konservative und auch linke Medien tun, die einen angst-, die andern hoffnungsvoll, erscheint vor diesem Hintergrund verfehlt bzw. verfrüht.
Mein unterwegs aus vielen Gesprächen gewonnener Eindruck ist vielmehr, dass die Menschen nach anfänglichen Protesten – und den daraufhin verschärften Gesetzen gegen Demonstrationen – und aufgrund der nunmehr über Jahre anhaltenden wirtschaftlichen Depression nahezu aufgegeben haben. Sie haben sich mit ihrer Not in ihr Privatleben zurückgezogen. Sicher, sie gehen noch aus, weil es ihrer Tradition entspricht. Aber sie müssen sich dann auf andere Weise einschränken, versteckt hinter den eigenen vier Wänden. Von keinem Spanier, von keiner Spanierin habe ich in den Gesprächen vernommen, dass sich irgendetwas verbessert habe. Die Krise hat sich tief in die Gesellschaft hineingefressen, sie ist die alte; allenfalls der Umgang mit ihr hat sich gewandelt, wohl nicht zuletzt aufgrund der verschärften Gesetze gegen Demonstrationen und der Hoffnungslosigkeit, der Erschöpfung, die sich wohl notgedrungen nach mehr als fünf Jahren Krise einstellen. Dafür spricht auch die Wahlbeteiligung, die wohl – so die letzten Angaben bei Veröffentlichung dieses Beitrags – unter 50 Prozent gelegen hat.
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