Ich bin gerade in Ionnanina angekommen. Es ist noch früh am Morgen. Um 20 Uhr abends hat die Fähre von Brindisi abgelegt, um vier Uhr morgens in Igoumenitsa angelegt. Ich bin in Griechenland, dem letzten Land, das ich – nach Frankreich, Spanien, Portugal und Italien – im Rahmen meiner Tour durch den Süden Europas von der Straße aus in den Bick nehmen möchte. Ein deutscher Spediteur, dem ich gestern am Ticket-Schalter des Fähr-Terminals geholfen hatte, indem ich übersetzen half, und der sich dann später an Bord noch einmal dafür bedankte, hat mich in seinem Transporter kurzerhand mitgenommen. Auf seinem Weg in die Nähe Thessalonikis steuerte er für mich das Zentrum von Ionnanina an. Ich habe ihn dafür zu Kaffee und Gebäck eingeladen. Gerade habe ich ihn verabschiedet, meinen Rechner herausgeholt und zu schreiben begonnen, da höre ich es hinter mir unangenehm schmatzen.
Ich wende meinen Blick hinter mich und erkenne, dass eine Person mir direkt über die Schulter und auf meinen Rechner starrt, während sie laut schmatzend ein Brötchen ist. Ich bin verärgert, ignoriere ihn aber. Kurze Zeit später höre ich seine aggressive Stimme: “Was machst Du da?” Da er auf deutsch fragt, antworte ich auf deutsch: “Ich reise und schreibe darüber.” Als ich mich ihm zuwende, erkenne ich eine ganze Schar junger Männer hinter mir. Sie rücken mir auf die Pelle. Ich merke, wie der Ärger in mir hochkocht. Weniger auf diese jungen Männer, sondern auf Merkel, Schäuble, Gabriel und wie sie alle heißen, diese deutschen Zerstörer Europas. Diese Nazis in christdemokratischem und sozialdemokratischem Gewand. Das denke ich in diesem Augenblick. Diese Unterdrücker. Dieser Herrscher-Typen. Herren-Menschen. Das ist ihr Werk. Natürlich auch das von Samaras und all der anderen rücksichtslosen Sparschweine, die Europa an den Abgrund geführt haben. Schon auf der Fähre hat es mich beschäftigt, wie wohl die Reaktionen ausfallen, wie wohl die GriechInnen auf mich reagieren, wenn sie erfahren, dass ich Deutscher bin. Ich habe mir so etwas durchaus vorstellen können. Und bin dennoch schockiert.
“Griechenland ist die Nr. 1. Griechenland ist das beste Land”, faucht mich der junge Mann jetzt an, als wolle er mir diktieren, was ich zu schreiben habe. Ich reagiere nicht. Schaue ihn nur kurz an. Und wende mich wieder meiner Arbeit zu. Einen Augenblick später drehe ich mich um, um sie einzuladen: “Können wir miteinander reden?” Aber sie sind weg. Zuvor hatte ihn einer der anderen Männer gedrängt von mir abzulassen.
Da das Café kein funktionierendes Internet hat, und ich dringend Hundefutter kaufen muss, breche ich wenig später auf. Vor einer Bäckerei frage ich nach einem Supermarkt. Eine liebenswerte Griechin weist mir strahlend den Weg. Er liegt um die Ecke, hat aber noch nicht geöffnet. Immer noch unter Schock spaziere ich zum See hinunter und setze mich auf einen der Steine dort, denn die Holz-Bänke sind noch feucht vom Tau. Die Kulisse ist umwerfend. Märchenhafte Berge rahmen den See ein. Über ihnen leuchtet ein wolkenfreier Himmel. Schon der Weg hierher hat Griechenland von seiner besten Seite gezeigt. Rauhe Berglandschaft, kräftige Vegetation, eine Autobahn, wie gestern fertig gestellt. Spontan denke ich: das landschaftlich schönste Land, der bisher auf dieser Tour bereisten Länder.
Um acht öffnet der Supermarkt. Ich gehe zurück und erstehe Hundefutter für Hilka. Dann spaziere ich durch das Tor der alten Schlossmauern und stoße auf ein kleines, liebevoll zurecht gemachtes Café. Ich frage die Dame, ob schon geöffnet ist, und ob sie auch eine Internet-Verbindung habe. Sie bejaht beides. Ich lasse Hilka vor dem Café Platz machen und trete ein.
Gerade habe ich obige Zeilen nieder geschrieben, da serviert mir die Tochter des Hauses zwei gezuckerte Feigen als Geschenk. Hausgemacht. Von der Tante. Sie sind eine Delikatesse. Ich bestelle einen zweiten griechischen Kaffee, medium gezuckert.
Und ich erzähle der Tochter von diesen beiden Gegensätzen, die ich so heute früh erfahren habe. “Es ist jetzt überall hier so”, sagt sie. Noch jedoch scheint nicht alles verloren. Aber die Saat von Merkel, Schäuble, Gabriel und all den anderen ist längst aufgegangen. Die Saat des Hasses, eines neuen Hasses zwischen den Völkern.
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