Wirtschaft und Gesellschaft – Analyse & Meinung (WuG) hat unmittelbar vor der Wahl in Griechenland im Januar drei Szenarien für die Zeit nach der Wahl herausgegeben. Das darin für am wahrscheinlichsten gehaltene dritte Szenario, der erzwungene Austritt Griechenlands aus der Europäischen Währungsunion (EWU), konkretisiert sich nicht nur immer stärker, sondern auch die von uns dafür vorhergesagten, auch in den anderen beiden Szenarien entwickelten Zusammenhänge: vor allem die Uneinsichtigkeit der EU-Kommission, des IWF, der EZB und der Bundesregierung.
Am 23. Januar war in WuG entsprechend in Szenario 3 zu lesen:
“Obwohl Tsipras den Griechen gesagt hat, auch er wolle den Euro behalten, und das durchaus glaubwürdig, sieht er sich nach gescheiterten Verhandlungen am Ende gezwungen, die Europäische Währungsunion zu verlassen.”
In Szenario 2 hieß es wiederum:
“Die ausklingende Woche hat gerade noch einmal bewiesen, dass alle derzeit relevanten politischen Entscheider einer politischen Kehrtwende eine Absage erteilen würden.”
Als durchaus zutreffend erweist sich auch unserer kritischer Blick auf Tsipras in Szenario 2, den wir – auch durch Varoufakis unklare Haltung und Konzeptlosigkeit – in anschließenden Analysen bereits immer wieder bestätigt gefunden haben.
“Tsipras Schwäche. Seine Politik trägt, zumindest nach außen, keine klaren Konturen. Eine klare Kontur wäre, ein Wachstums- und Beschäftigungsziel für Griechenland festzulegen und mit der EU-Kommission, dem IWF und der EZB zu verhandeln. Damit bekämen seine Wähler nicht nur unmittelbar eine Perspektive, sondern ein solches Ziel würde tatsächlich eine Wende bedeuten, nämlich die Abkehr von einer Politik, die die Misere den Strukturen der Wirtschaft zuschreibt (Austerität), hin zu einer Politik, die auf die Konjunktur setzt, um die Arbeitslosigkeit zu überwinden. Die Voraussetzungen dafür zu schaffen, könnte in eine gesamteuropäische Politik münden.”
Hier zeigt sich auch eine große Schwäche “alternativer” oder “linker” Medien, die zwar zurecht die Politik und Medien in Deutschland kritisieren, weil sie mehrheitlich, wenn nicht ausschließlich unsachlich über Griechenland wie die Eurokrise insgesamt berichten, sich aber bei Politikern wie Tsipras und Varoufakis bisher nicht zu einer Analyse ihrer Defizite durchringen konnten. Dieses Phänomen ist auch bei der Berichterstattung über Podemos in Spanien festzustellen, worauf wir an anderer Stelle bereits hingewiesen haben (siehe hier).
Unter dem Strich zählt aber vor allem, dass die buchstäblich herrschende – über Griechenland herrschende – Politik der Regierung von Tsipras zu keinem Zeitpunkt eine Chance gegeben hat.
Man stelle sich nur einmal vor, Tsipras wäre unserem Vorschlag gefolgt und hätte die amerikanische Notenbank-Präsidentin besucht und zu einer Rede ins Europäische Parlament wie vor die Europäische Kommission eingeladen. Es hätte kein Weg daran vorbei geführt, dass Yellen die Arbeitslosigkeit und das Beschäftigungsziel der amerikanischen Notenbank in den Mittelpunkt ihrer Analyse gestellt hätte. Das Europäische Parlament, die Europäische Kommission, die EZB, die Bundesregierung wie die versammelte Mehrheit der Medien wären unweigerlich vorgeführt worden (siehe hierzu auch unsere vergleichenden Analysen der Reden Draghis, Yellens und Merkels, hier und hier), und die unerträglich hohe Arbeitslosigkeit hätte eine Chance erhalten, von renommiertester Stelle in den Mittelpunkt der europäischen Krisenbewältigung gestellt zu werden. So aber rangelten sich alle um die Finanzierung der Schulden und “Rettungsprogramme”. Die Regierung Tsipras nur von der entgegengesetzten Richtung. Das haben wir von vornherein zum Scheitern verurteilt. Mit WuG wären Tsipras und Varoufakis besser beraten gewesen. Die griechische Botschaft in Berlin hat ihnen – wie sie uns per twitter mitteilte – bereits im Januar unsere entsprechenden Beiträge (in englischer Sprache und die deutschen sogar eigens übersetzt) weitergeleitet. Über diesen Kontakt habe ich Varoufakis auch dazu eingeladen, in einem Gastbeitrag für WuG hierzu zu schreiben. Auch der Abgeordnete Costas Lapavitsas kannte die entsprechenden Analysen bereits vor der Wahl und hat sogar sehr positiv darauf reagiert. Doch der Politikbetrieb scheint für einen weiteren Austausch keine Zeit mehr gelassen zu haben. Warum aber suchen Politiker wie Varoufakis – noch dazu mit wenig überzeugenden Beiträgen – ihr Heil in den Medien, die sie regelmäßig verreißen, und zwar nicht auf Basis einer inhaltlichen Auseinandersetzung, sondern diffamierend und inhaltslos?
Schon vor geraumer Zeit und des Öfteren habe ich auf meiner Reise durch den Süden Europas im Gespräch geäußert: Wer weiß, wenn ich Griechenland erreiche, hat es vielleicht gar nicht länger den Euro. Jetzt liegen, von Italien kommend, vor meiner Ankunft in Griechenland allenfalls noch wenige Wochen. Ich glaube es nicht. Ich mag es nicht glauben. Wissen kann es im Moment niemand. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass auch dieser Gedanke zur bitteren Realität wird, ist ebenfalls gestiegen.
Aber was heißt vor dem Hintergrund der gegebenen Verhältnisse schon bitter? Wäre es nicht längst begrüßenswert, dass dem Terror von EU-Kommission, EU-Parlament, IWF, EZB, Bundesregierung gegen Griechenland, gegen Portugal, Spanien, Italien, Frankreich (wenn in den zuletzt genannten Ländern auch noch im Einvernehmen mit den nationalen Regierungen) Einhalt geboten wird? Ja, unbedingt! Schlimmer kann es nicht werden. Jedenfalls dann nicht, wenn Tsipras unsere in Szenario 3 genannten politischen Ratschläge beherzigt. Nur ungern würde ich meine Reise durch den Süden Europas verkürzen. Aber wenn Tsipras und Varoufakis mich als unabhängigen Berater nach Athen einladen würden. Ich würde ihrem Ruf folgen.
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