English Summary: The reporting on real growth in Greece in the second quarter and on the depreciation of the Chinese currency Yuan – two main topics in the recent days – shows again that German journalism in the most established private and public media is in a precarious condition. The article confronts the main messages with official statistics and refers to further analysis.
Was ist bloß aus dem deutschen Bäckerei-Handwerk geworden – und aus den deutschen Medien? Beide backen nur noch auf! Die meisten jedenfalls. Erstere sollten sich nicht länger Bäckerei nennen, sondern nur noch den Titel Aufbäckerei tragen dürfen. Letztere nicht Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), sondern Frankfurter Abschreiber oder Frankfurter Aufbäcker Zeitung, nicht Tagesschau, sondern Aufback- oder Abschreibschau, Aufback- oder Abschreib-Welle statt Deutsche Welle und so weiter. Die zwei großen Aufmacher der vergangenen Tage aus den deutschen Wirtschaftsredaktionen, die bis tief in die Politik-Redaktionen, allgemeinen Nachrichten und Kommentare hineinwirkten, unterstreichen den prekären Zustand deutscher Medien noch einmal so sehr wie der morgendliche Gang zum Bäcker den prekären Zustand der Bäcker-Innung. Was letztere anbelangt, backe ich mittlerweile selbst. Der prekäre Zustand der Medien wiederum zeigt einmal mehr, wie wertvoll die eigene Analyse ist.
“Griechische Wirtschaft wächst”, schreibt die FAZ und erklärt ihren Lesern: “Aus Griechenland selbst kommen unterdessen positive Nachrichten. Die Wirtschaft ist im zweiten Quartal trotz zugespitzter Schuldenkrise kräftig gewachsen. Das Bruttoinlandsprodukt stieg von April bis Juni um 0,8 Prozent zum Vorquartal, wie das Statistikamt am Donnerstag in Athen mitteilte. Auch der Jahresauftakt fiel revidierten Daten zufolge besser aus als angenommen. Statt des zunächst gemeldeten Rückgangs um 0,2 Prozent blieb die Wirtschaftsleistung stabil.”
Ein kurzer Blick in die leicht zugängliche Original-Meldung des griechischen Amts für Statistik – dafür wenigstens sollte in einer “Qualitätszeitung” doch trotz aller Einsparungen Zeit sein – zeigt: dem realen (preisbereinigten) Wachstum von 0,8 Prozent steht ein nominales Wachstum von -0,7 Prozent zur Seite. Wenn das nominale Wachstum negativ ausfällt, die Wirtschaft aber dennoch real wächst, heißt das, dass das Wachstum ausschließlich einem sehr negativen Faktor zur verdanken ist, der zugleich ausdrückt, wie sehr die Wirtschaft am Boden liegt: das reale Wachstum ist offensichtlich nur fallenden Preisen geschuldet, also einer Deflation. Das drücken auch die nicht-saison- und kalenderbereinigten Ursprungswerte aus, die üblicherweise für den Vergleich mit dem Vorjahreswert herangezogen werden. Nach diesen Werten ist die griechische Wirtschaft in den zurückliegenden drei Quartalen nominal geschrumpft, real aber gewachsen (wir haben dies bereits frühzeitig an anderer Stelle thematisiert und vertieft, siehe ausführlich hier; zusammenfassend auch hier). Ein kurzer Blick in google news zu den Stichworten Griechenland, BIP, ergibt, dass viele deutsche Medien ins selbe Horn stoßen wie die FAZ: Stuttgarter Nachrichten, “Griechenland: Bruttoinlandsprodukt gestiegen”; Stern, “Griechenland überrascht mit Wirtschaftswachstum im zweiten Quartal”; T-Online, “Griechenland ist wieder auf Kurs: Wirtschaft wächst überraschend wieder”… Darüber hinaus zu erkennen, dass die “Schuldenkrise” selbst vor allem dieser wirtschaftlichen Abwärtspirale geschuldet ist, wäre nun wirklich zu viel verlangt!
Ein anderes Beispiel ist die Aufregung um die Abwertung der chinesischen Währung Yuan. Fast schon komisch die über Zwangsgebühren finanzierte Deutsche Welle auf dem Nachrichtendienst twitter: “Hört das denn nie auf? Yuan wertet weiter ab”. Alle einschlägigen, tonangebenden Medien, ob öffentlich-rechtlich oder privat, schneiden nicht besser ab. Vielleicht sind sie Opfer ihrer eigenen Börsenberichterstattung – in Medien wie der Tagesschau leider auch über Zwangsgebühren finanziert – und ihrer eigenen privaten Börsengeschäfte und Kapitalanlagen.
Auch hier zeigt selbst ein kurzer Blick in leicht zugängliche, offizielle Statistiken, dass die Abwertungen bis gestern eine geradezu vernachlässigbare Größe sind. Eine ausführlichere Analyse erlaubt weitergehende Einsichten und Schlussfolgerungen (siehe unsere Analyse hier). Dass die Aufregung an den Börsen und in der deutschen Wirtschaft dennoch so groß ist, wirft vor diesem Hintergrund ganz andere Fragen auf, als sie die Medien wie in einem großen Chor unter dem Schlagwort “Währungskrieg” erschallen lassen. Gibt es überhaupt noch Wirtschaftsredakteure in den etablierten Medien, die diesen Namen auch verdienen? Ich lese und höre sie jedenfalls nicht. Das mag zum Teil den Sparanstrengungen geschuldet sein, mit denen sich nicht nur Manager von privaten, sondern auch öffentlich-rechtlichen Medien zu profilieren suchen und sich dabei eine goldene Nase verdienen – während sie ihre Redakteure und andere Mitarbeiter “Lohnzurückhaltung” üben und predigen und in befristeten Verträgen schmoren lassen. Es kann aber auch etwas nicht mit der Einstellung und den Ansprüchen jener Journalisten stimmen, mit der der Herausgeber ohnehin nicht.
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