English Summary: Hakkı Keskin is professor in political science and a former member of the German parliament. In his article he presents a comprehensive analysis on the development in Turkey comprising the new escalation of the conflict with the PKK, the concentration of power in the hands of president Recep Tayyip Erdoğan and the different national and international parties being involved.
Eskalation des Kurdenkonfliktes
Am 20. Juli 2015 erschütterte ein Bombenattentat in Suruc/Sanliurfa den Südosten der Türkei. Ein ISIS-Militant namens Seyh Abdurrahmen Alagöz zündete in seinem Rucksack eine Bombe. Er tötete 32 Menschen (zwei weitere kamen inzwischen dazu), sich selbst und verletzte 29 Menschen.
Rund 300 Menschen waren zuvor aus weiten Teilen der Türkei zusammengekommen, um beim Wiederaufbau Kobanis zu helfen, das durch den Krieg zwischen ISIS und Kämpfern der Kurden zerstört wurde.
Die Bombe war offensichtlich ein Racheakt der Terrorvereinigung ISIS. Bekanntlich wurden die Eindringlinge des ISIS in Kobani nach lang andauernden Kämpfen geschlagen, die sich daraufhin aus der zerstörten Stadt zurückgezogen hatten.
Nach dem Selbstmord-Terrorakt in Suruç bombardierten Jets der türkischen Armee Stellungen von ISIS an der syrischen Grenze.
Die PKK-Führung nahm unerklärlicherweise den Selbstmordanschlag in Suruç zum Anlass, die mit der Regierung der AKP seit Juni 2012 andauernden Gespräche über die Lösung der Kurdenfrage für beendet zu erklären. Es folgten seitdem fast täglich Terroranschläge der PKK vor allem in der Süd- und Osttürkei, bei denen binnen fünfzig Tagen insgesamt mehr als hundert Polizeibeamte, Offiziere und Soldaten und weitere elf Zivilisten getötet sowie viele Dutzende Zivilisten verletzt wurden. Diese Mord- und Terroranschläge erfolgten nicht etwa bei den bewaffneten Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften. Nein, zwei Verkehrspolizisten wurden in ihrer Wohnung beim Schlafen, ein Soldat beim Telefonieren mit seinen Eltern, ein Offizier im Beisein der Familie und weiterer Soldaten getötet. Bei einem Selbstmordanschlag der PKK mit zwei Tonnen Dynamit auf eine Wachestation von Soldaten in der Ost-Türkei und bei einem ähnlichen Anschlag auf eine Polizeiwache in İstanbul wurden weitere acht Sicherheitskräfte getötet.
Bei dem aktuellsten und schwersten Terroranschlag der PKK seit dem Ende des mehr als zwei Jahre andauernden Waffenstillstands zwischen der Türkei und der PKK, am 6. September 2015 in Dağlıca in der Provinz Hakkari, war ein Militärkonvoi in eine Sprengfalle geraten. Dabei kamen sieben Soldaten ums Leben. Eine weiteres zu Hilfe kommendes gepanzertes Militärfahrzeug wurde ebenfalls mit Sprengstoff angegriffen. Dabei wurden weitere acht Soldaten, darunter ein hochrangiger Offizier, getötet. Die Armee bombardierte in den Morgenstunden Stellungen der PKK. Dabei sollen laut offiziellen Angaben mehr als 35 PKK-Militante getötet worden sein.
Am 8. September verübte die PKK zwei weitere Terroranschläge. In İğdır, an der Ostgrenze des Landes, wurde beim Passieren eines Polizeibusses unter der Straße deponierter Sprengstoff zur Explosion gebracht und 14 Polizeibeamte getötet. Am gleichen Tag wurden im Südosten der Türkei in Cizre weitere drei Polizisten getötet. So fielen seit dem 20. Juni dieses Jahres mehr als hundert Mitglieder der Sicherheitskräfte Anschlägen der PKK zum Opfer.
Die Armee wiederum fliegt seit 20. Juni 2015 Luftanschläge auf PKK-Stellungen im Nordirak und der Türkei. Laut offiziellen Angaben sollen bei Angriffen der Armee mehr als 1000 PKK-Kämpfer in der gleichen Zeit getötet worden sein. “Die US-Regierung stuft die jüngsten türkischen Luftangriffe auf die kurdische PKK als einen eindeutigen Akt der Selbstverteidigung ein. (…) Washington hatte mehrfach betont, man betrachte die PKK als Terrororganisation.” (Washington –dpa-, 29.7.2015).
Unmittelbar nach den ersten Terroranschlägen der PKK begann die Bombardierung der PKK-Zentralstellungen durch die türkische Luftwaffe in den felsigen Kandil-Bergen an der Grenzregion zum Irak. Laut offiziellen Angaben sollen bei dieser, von der PKK-Führung unerwarteten Bombardierung viele Hunderte PKK-Kämpfer getötet worden sein. Die AKP-Regierung begründete diese Bombardements damit, dass die PKK die Gespräche über die “Lösung der Kurdenfrage” selbst aufgekündigt habe und – trotz der Vereinbarungen mit der Regierung – den bewaffneten Kampf gegen die Türkei nicht aufgegeben habe, und die PKK-Militanten die Türkei nicht verlassen hätten. Im Gegenteil, nicht nur in den letzten Wochen, sondern bereits im Laufe des Jahres wären von der PKK eine Vielzahl von Terroranschlägen verübt worden, denen viele Menschen zum Opfer gefallen wären. Die Regierung habe keine Gegenangriffe unternommen, um die laufenden Gespräche mit der PKK und Öcalan zur Lösung der Kurdenfrage nicht zu gefährden. Die PKK habe die mit der Regierung vor zweieinhalb Jahren vereinbarte Zeit “Stopp der Waffen” genutzt, um ihre Anhänger auch innerhalb der Türke mit schweren Waffen aufzurüsten. Dies wurde jetzt als Versäumnis auch von Davutoğlu und Erdoğan bestätigt. Der kürzlich pensionierte Generalstabschef der türkischen Armee hat den damaligen Ministerpräsident Erdoğan im Februar 2014 darüber informiert, dass die PKK diese Zeit nutzte, ihrer Anhänger in ländlichen Gebieten, aber auch in den Städten zu bewaffnen und Waffen zu deponieren (Sözcü, 29.8.2015).
Seit den ersten Terroranschlägen am 15. August 1984 in Şemdinli und Eruh wurden bis Ende August 2015 insgesamt 83.500 Terroranschläge registriert. Dabei wurden 6.741 Zivilisten und 7.230 Sicherheitskräfte getötet. 14.257 Zivilisten und 21.128 Sicherheitskräfte wurden verletzt. In der gleichen Zeit wurden 22.474 PKK-Militante getötet und 1.480 verletzt gefangen genommen. Bei den Operationen der türkischen Armee wurden dabei 79.648 Handgranaten, 43.120 Gewähre und 5.780.562 Kugeln sichergestellt (Milliyet, 28.8.2015). Laut Angaben der “Behörde zur Drogenbekämpfung” erzielte die PKK in den Jahren 1984-2015 im Jahresdurchschnitt 1,5 bis 3 Milliarden Dollar über Drogengeschäfte (ebd.). Offiziellen Schätzungen zur Folge kostete der seit 30 Jahren andauernde Krieg mit der PKK die Türkei rund 350 Milliarden Dollar (Haberler.com, 28.2.2015). Diese beängstigende Bilanz belegt, welch enorme Bedeutung eine rasche und friedliche Lösung dieses Konfliktes für die Türkei hat.
Erdogan und seine Partei haben seit 2012 zur Lösung der Kurdenfrage Gespräche mit der PKK-Führung und vor allem mit dem zur lebenslänglicher Haft verurteilten Öcalan geführt, ohne das Parlament und die Öffentlichkeit zu informieren, worum es bei dem sogenannten “Lösungsprozess” geht. Bei den geheim gehaltenen Gesprächen mit Öcalan und der PKK-Führung hat die AKP von Anbeginn jedoch nicht darauf bestanden oder es gar zur Voraussetzung für den Beginn der Gespräche gemacht, dass die PKK ihren bewaffneten Kampf gegen die Türkei aufgeben muss.
In einer von türkischen Intellektuellen in Deutschland ausgiebig diskutierten und von mir verfassten Veröffentlichung, “Der Kurdenkonflikt, Ursachen und Lösungswege”, hatten wir bereits 1996 konkrete Lösungsvorschläge formuliert: “Diesem blutigen Krieg muss so schnell wie möglich ein Ende bereitet werden und wir glauben, dass dies möglich ist. Die Grundvoraussetzung dafür ist allerdings, dass die PKK ihre Waffen niederlegt und überzeugend dem Terror abschwört. Die türkische Regierung wiederum müsste auf diesen Schritt mit einer Generalamnestie reagieren, um der PKK nun zu ermöglichen, einen demokratisch-parlamentarischen Weg einzuschlagen und ganz legal und offen mit den anderen politischen Parteien und gesellschaftlichen Kräften in einen Dialog zu treten mit dem Ziel, eine friedliche Lösung zu finden. (…) Keinem Staat, auch nicht der Türkei, kann zugemutet werden, sich mit einer Terrororganisation an einen Tisch zu setzen.“ (Landeszentrale für politische Bildung Hamburg in Zusammenarbeit mit dem Institut für türkisch-europäische Beziehungen, April 1996, 3.Auflage).
Inzwischen ist im türkischen Parlament die von der PKK direkt beeinflusste Kurdenpartei HDP (Demokratische Partei der Völker) mit 80 Abgeordneten vertreten. Spätestens mit dem Einzug ins Parlament hätte die PKK ihre Waffen gegen die Türkei niederlegen und dem Terror und der Gewalt abschwören müssen. Dies ist leider bislang nicht der Fall. Im Gegenteil, es wird heute deutlich, dass die PKK die Gesprächszeit von 28 Monaten dazu genutzt hat, vor allem in den von Kurden bewohnten Regionen des Landes ihre Anhänger zum Teil mit schweren Waffen aufzurüsten.
Eine Reihe von Reformen zur Befriedung der Kurden und der PKK wurde durch die AKP-Regierung inzwischen umgesetzt. Eine 24-stündige Sendung in kurdischer Sprache in öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten, zahlreiche kurdische Privatsendungen, das Erlernen der kurdischen Sprache (allerdings nur in Privatschulen), die Gründung von Universitäts-Instituten zur Ausbildung kurdischer Lehrer, Publikationen in kurdische Sprache, Rückbenennung von Dorf- und Städtenamen in die kurdische Sprache etc. Vor allem in vielen Städten und Dörfern des mehrheitlich von Kurden bewohnten Südostanatoliens sind kurdische Bürgermeisterinnen und -meister seit längerem im Amt.
Die PKK fordert jedoch eine grundlegende Änderung der Verfassung der Türkei dahingehend, dass die Republik Türkei verfassungsmäßig und namentlich auf dem türkischen und kurdischen Volk basiere, und dass die kurdische Sprache neben Türkisch offiziell als Amtssprache anerkannt und in den Schulen in beiden Sprachen unterrichtet werden soll. Dies ist für die Türkei, in der neben Kurden auch andere zahlenmäßig starke Ethnien leben, nicht möglich. Bekanntlich leben in fast allen Ländern dieser Erde neben dem Gründungsvolk des Landes auch zahlreiche andere Ethnien. Dennoch stehen in den Verfassungen dieser Länder nur die Namen des Gründungsvolkes, beispielsweise Russland, Frankreich, Italien, Deutschland, China.
Das langfristige Ziel der PKK ist bekanntlich, wie auch das der Kurden im Irak, in Syrien und im Iran, die Gründung eines gemeinsamen kurdischen Staates. Dieses Ziel wird vor allem von USA, Israel und mit unterschiedlichen Intentionen auch von den meisten westlichen Staaten unterstützt. Mit dem Sturz Saddams im Irak ist das Land de facto zwischen Kurden, Sunniten und Schiiten geteilt. So entstand dort ein kurdischer Teilstaat. Der seit Jahren andauernde Krieg gegen Assad in Syrien verfolgt das gleiche Ziel, so dass auch hier ein kurdischer Teilstaat im Entstehen ist. Seit Längerem bestehen in den USA Landkarten, in denen auch Süd-Ostanatolien als Teil eines geplanten kurdischen Staates gezeigt wird.
Ziel der USA ist bekanntlich die Kontrolle der reichlichen Erdölvorkommen in den mehrheitlich von Kurden bewohnten Gebieten. Israel dagegen wünscht sich die Schwächung der arabischen Nachbarstaaten Irak und Syrien, wie dies bereits geschehen ist, und die Entstehung eines kurdischen Staates, der auf Hilfe der USA und möglicherweise auch von Israel angewiesen ist.
Das Hauptproblem in der Türkei ist jedoch, dass die kurdische Bevölkerung längst mehrheitlich in westlichen Teilen und überall in der Türkei lebt, und diese nicht gewillt wären, in einen entstehenden kurdischen Staat auszuwandern. Hinzu kommen noch die millionenfachen Mischehen, die auf rund vier Millionen zwischen Türken und Kurden geschätzt werden. Dies scheint längst auch die Kurdenpartei HDP verstanden zu haben. Daher versucht sie eine Partei für die Gesamttürkei zu werden. Die Vorsitzende Selahattin Demirtaş hat die Terroranschläge der PKK verurteil. Wie die aktuellen Terroranschläge der PKK zeigen, nimmt die PKK-Zentrale in den Kandil-Bergen auf die HDP keine Rücksicht und verfolgt ihre eigene Politik. Dies wurde von der PKK-Führung mehrmals offen kundgetan. Die jüngste Eskalation des PKK-Terrors hat bei der Bevölkerung zu Empörung, Verärgerung und zu unermesslichen Leid geführt. Ziel der PKK scheint es hierbei zu sein, zwischen der türkischen und kurdischen Bevölkerung Zusammenstöße zu provozieren, und so eine Spaltung der kurdischen und türkischen Bevölkerung herbei zu führen. Dies gelingt der PKK jedoch seit 30 Jahren nicht, dank der Besonnenheit beider Teile der Bevölkerung. Leider wurden in den letzten Tagen in einigen Städten der Türkei Parteibüros der HDP von aufgebrachten Jugendlichen beschädigt.
Die USA scheinen aus ihren Fehlern nicht zu lernen
Die imperialistische “Teile-und-herrsche-Politik” der USA erntet heftigen Widerstand in der türkischen Bevölkerung. In den Medien der Türkei wird seit Jahren über zahlreiche Hinweise gesprochen, dass die USA – als ein Verbündeter der Türkei und NATO-Staaten – seit Jahrzehnten die PKK als eine separatistische Terrororganisation unterstützt. So wird behauptet, dass nicht nur die Taliban und Alkaida in Afghanistan, sondern auch ISIS im Irak und Syrien anfänglich von den USA aufgebaut und unterstützt wurden, bis sie außer Kontrolle gerieten. Ziel der USA soll es hierbei sein, den kurdischen Staat im Irak, aber auch die vom Westen unterstützte kurdische Partei PYD, eine Ableger-Organisation der PKK, in Syrien zu legitimieren. Die USA und ihre Verbündeten Saudi-Arabien, die Staaten des Golf-Kooperationsrates und auch die Türkei sind für den Sturz Assadsin Syrien.
Auch Deutschland unterstützt die Kurden im Irak und Syrien zum Teil mit schweren Waffen, allerdings bei dem Kampf gegen ISIS. Kürzlich wurden jedoch bei Terroranschlägen der PKK in der Türkei deutsche Waffen sichergestellt. Dies sorgte in der türkischen Öffentlichkeit für großes Aufsehen und Erstaunen. So entsteht zunehmend der Eindruck, auch Deutschland unterstütze die Terrororganisation PKK bei ihrem Kampf gegen die Türkei. Dies würde die guten Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei, vor allem bei der türkischen Bevölkerung, sicherlich ganz erheblich belasten.
Als Hunderttausende vom ISIS Terror aus Syrien in die Türkei geflüchtet waren, sich die ISIS-Milizen aber schließlich geschlagen zurückzogen, wollten viele in die von der PYD kontrollierten Gebiete nach Syrien zurückkehren. Die PYD nahm die Kurden auf, die Turkmenen und Araber jedoch nicht. Die PYD versucht in den von ihr kontrollierten Gebieten die Turkmenen und Araber zu vertreiben, damit eine nur von Kurden bewohnte Region an dem türkisch-syrischen Grenzgebiet entstehen kann.
Die Ziele der USA im Nahen Osten sind seit Jahren wohl bekannt. Bei dem Israel-Besuch der damaligen USA-Außenministerin Condoleezza Rice im Dezember 2006 wurde der anglo-amerikanisch-israelische Plan über den “neuen Nahen Osten” der Weltöffentlichkeit präsentiert. “Premierminister Olmert und Aussenministerin Rice hatten die internationalen Medien informiert, dass ein Projekt für einen ´neuen Nahen Osten´ von Libanon aus gestartet würde. Diese Ankündigung war eine Bestätigung einer ´militärischen Road map´ im Nahen Osten. Dieses Projekt, das sich schon seit mehreren Jahren in der Planung befand, betrifft die Herstellung eines Bogens der Instabilität, des Chaos und der Gewalt, der sich von Libanon, Palästina und Syrien über den Irak, den Persischen Golf und den Iran bis an die Grenzen des von der Nato besetzten Afghanistan erstreckt. (…) Der anglo-amerikanisch besetzte Irak, besonders das irakische Kurdistan, scheint das Versuchsfeld für die Balkanisierung (Teilung) und Finnlandisierung (Befriedung) des Nahen Ostens zu sein. Der gesetzgeberische Rahmen für eine Teilung des Irak in drei Teile wird schon durch das irakische Parlament unter dem Deckmantel der Föderalisierung des Irak ausgearbeitet. (…) Darüber hinaus scheint die anglo-amerikanische ´Road map´ den Zugang zu Zentralasien über den Nahen Osten zu suchen. Der Nahe Osten, Afghanistan und Pakistan sind Zwischenschritte für eine Ausdehnung des US-Einflusses in die ehemalige Sowjetunion und die ehemaligen zentralasiatischen Republiken hinein.” (Mahdi Darius Nazemroay, in: Global Research Newsletter, 18.11.2006). Diese Politik der USA wird ganz aktuell von Eric Edelman (ehemaliger Botschafter der USA in der Türkei und ehemaliger Staatssekretär im Verteidigungsministerium) in seinem Beitrag in der New York Times unterstrichen. Für Edelman “sind die syrischen Kurden die vertrauenswürdigsten Verbündeten der USA.” ( 27.8.2015).
Hier wird mehr als deutlich, welche Politik die USA für den “neuen Nahen Osten” seit vielen Jahren verfolgt. Die Ergebnisse dieser Strategie im Irak und in Syrien sind für die Länder und für große Teile der Bevölkerung beängstigend und im höchsten Maße dramatisch. Millionen von Menschen wurden im Irak in Folge der Besetzung der USA getötet, viele Millionen haben das Land verlassen müssen. Irak ist in weiten Teilen zerstört und die Menschen leiden tagtäglich an dem Terror und der Gewalt zwischen den verfeindeten Bevölkerungeteilen. Syrien befindet sich in der gleichen dramatischen Lage. Hunderttausende Syrer wurden getötet, mehr als vier Millionen Menschen sind aus dem Lande geflüchtet, darunter zwei Millionen in die Türkei. Viele, auch historische Städte sind zerstört worden. Auch in Libyen herrscht Gewalt, Terror und Bürgerkrieg nach dem gewaltsamen Sturz Gaddafis. “In Libyen gibt es nach dem Sturz Gaddafis nur noch Chaos – und den Terror der Miliz IS.” So das Handelsblatt, vom 20.4.2015.
Die USA scheinen aus ihrer himmelschreienden imperialistischen Politik und den Fehlern in Vietnam, Afghanistan, Pakistan, in manchen lateinamerikanischen und afrikanischen Staaten und zuletzt im Nahen Osten nichts dazu gelernt zu haben. Die USA haben seit 1945 oft unter dem Deckmantel “im Namen der Demokratie” gegen 48 Staaten Kriege geführt. Manche dieser Länder wurden bombardiert oder es wurden in ihnen militärische Interventionen durchgeführt. Hierbei sind nicht einmal mitgerechnet die über die CIA gelenkten und unterstützten Militärputsche gegen Regierungen, die der USA nicht als freundlich galten. Allein in der Türkei hat das türkische Militär 1960, 1971 und 1980 dreimal die Regierungen gestürzt mit mittelbarer oder unmittelbarer Beteiligung der CIA. Wenn heute große Teile der Bevölkerungen dieser Länder Aversionen gegen die USA haben, so nur deshalb, weil sie erleben mussten, was die US-Politik für ihre Länder bedeutet.
Erdogan und seine Mitläufer sind keine Demokraten
Erdogan hat sich als einer der engsten Verbündeten auf der Seite der USA positioniert und sich erstaunlicherweise gegen seine früheren, auch persönlich gut befreundeten Länder Syrien und Libyen am Krieg beteiligt. Vor allem mit dem syrischen Präsidenten Assad waren die Beziehungen so freundschaftlich, dass es gemeinsame Kabinettsitzungen zwischen beiden Regierungen gab. Es fanden sogar gemeinsame familiäre Urlaube Erdogans mit der Familie Assads statt.
Auch zur Gaddafi hatte Erdogan sehr gute Beziehungen. Er erhielt “Gaddafis Menschenrechtsauszeichnung” am 29. November 2010 in Libyen. Beim Empfang der Ehrung drückte Erdogan seine “große Zufriedenheit” aus und betonte: “Wir kehren Euch niemals den Rücken.” (Hürriyet, 29.11.20102). Am 5. November 2012 wurde Gaddafi in Folge der NATO Angriffe, auch mit Beteiligung der Türkei, gestürzt und getötet.
Die AKP (Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung) genoss seit ihrer Gründung 2001 politisch große Unterstützung der USA. Erdogan wurde, bevor er Ministerpräsident war, bereits als Vorsitzender der Parte im Weißen Haus empfangen. Die AKP als eine islamisch orientierte liberale Partei, sollte Vorbild für die radikal islamischen Länder sein. Erdogan und seine Partei haben sich stets als engste Verbündete der USA verstanden und sich in jeder Hinsicht der USA dienlich gezeigt. In der EU haben sie sich als demokratische Erneuerer der Türkei präsentiert, die an einer vollen EU-Mitgliedschaft großes Interesse hätten.
Diese Vortäuschung der AKP habe ich als Mitglied des Bundestages und des Europarates persönlich aus nächster Nähe beobachtet. Trotz meiner Skepsis gegen eine islamistisch orientierte Partei hatte auch ich selbst den Bekundungen und Erklärungen der AKP in den ersten Jahren ihrer Regierungszeit geglaubt, dass sie möglicherweise notwendige Reformen in der Türkei durchführen und die EU Mitgliedschaft zum Ziel haben würden.
Nach den ersten vier Jahren wurde mir jedoch klar, dass die AKP sogar den erreichten Stand der Türkei an Demokratie, Rechtsstaat, Gewaltenteilung, Laizismus, Presse- und Meinungsfreifeit und Menschenrechten Schritt für Schritt in Richtung eines totalitären Staates minimieren, ja sogar wenn möglich abschaffen wollten. Wie Erdogan einmal selbst sagte: Die Demokratie sei lediglich ein Mittel zur Macht und kein Ziel in seiner Politik. Durch die massive verbale Polarisierung Erdogans wurde zunehmend der soziale Frieden in der Gesellschaft gefährdet. Eine Vielzahl von Gesetzesänderungen, Verordnungen und die politische Praxis Erdogans und seiner engsten Parteiverbündeten belegen mehr als deutlich, dass sie nicht als Demokraten im Sinne des westlichen Demokratieverständnisses verstanden werden können.
Die Türkei hat sich seit der Regierungsübernahme durch die AKP im Jahres 2002 zunehmend von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Laizismus und Menschenrechten entfernt. Eine verfassungsmäßig verankerte säkulare Staatsform ist gerade in einem islamischen Land für das Entstehen und den Bestand einer echten Demokratie und eines Rechtsstaats unumgänglich. Laizismus ist der Grundstein, auf dem die Republik Türkei erbaut wurde. “Die Türkei ist ein demokratischer, laizistischer und sozialer Rechtsstatt.” So lautet Artikel 2 der Verfassung der Republik Türkei. Dieser Artikel ist unveränderlich. Wie auch Art. 20 des Grundgesetzes unveränderlich ist. Die unentbehrliche Bedeutung des Laizismus für die Länder, in denen große Mehrheiten muslimisch sind, wird in den westlichen christlich geprägten Ländern sehr oft unterschätzt. Das Fehlen einer säkularen Staatsform ist jedoch der wahre Grund, weshalb in fast allen islamischen Ländern keine echte Demokratie und Rechtsstaat existieren. Laizismus, also der säkulare Staat, wird von islamistischen Kräften vehement bekämpft. Denn sie wollen die Staatsform nach ihren religiösen Auslegungen, zumeist nach der sogenannten Scharia, festlegen. Ein solcher Staat erlaubt keine echte Demokratie, Gewaltenteilung, Presse- und Meinungsfreiheit, Vielfalt von Meinungen und Opposition und keinen Rechtsstaat. Mehr als fünfzig islamistische oder auch islamisch orientierte Staaten sind deutliche Belege hierfür. Wer aufrichtig in der Türkei und in anderen muslimischen Ländern für eine Demokratie und einen Rechtsstaat im westlichen Sinne ist, müsste ohne Wenn und Aber für den Laizismus sein. Mustafa Kemal Atatürk hat aus der lehrreichen Geschichte des Osmanischen Reiches, welches 620 Jahr existierte, die zwingend erforderlichen Lehren gezogen und den Laizismus als unveränderliche verfassungsmäßige Ordnung proklamiert. Die alles besser wissenden westlichen Intellektuellen sollten diese Lehre gründlich studieren. (unter anderem, Glasneck, Johannes, Kemal Atatürk und die moderne Türkei, Berlin 1971; Keskin, Hakki, Die Türkei vom Osmanischen Reich zum Nationalstaat, Berlin 1978).
Die islamistisch orientierte AKP hat es nicht leicht, die auf Laizismus fest verankerte Türkei mit ihren unveränderlichen Verfassungsgrundlagen, die auf das Gedankengut von Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk zurück gehen, so rasch zu ändern. Deshalb gehen sie den langen Marsch durch die Institutionen. Dazu gehört das Schul- und Bildungswesen, das sie längst in ihrem Sinne in Angriff genommen haben. Die Kinder sollen bereits im Kindergartenalter und in den Schulen nach ihrem politischen Verständnis über den Islam getrimmt werden.
Gleichzeitig wird versucht, Oppositionelle mit massiver Unterdrückung, Einschüchterung und Verunsicherung mundtot zu machen. Rund 300 oppositioneller Journalisten Wissenschaftler, Studierende und 192 Offiziere wurden mit völlig haltlosen, ja sogar erfundenen Behauptungen und gefälschten Belegen inhaftiert und saßen vier bis fünf Jahre in Silivri ein, wo die Prozesse unter dem Namen “Ergenekon” und “Balyoz” stattfanden. Der Hauptvorwurf gegen sie lautete: Sturz der Regierung Erdogans. Viele von ihnen wurden sogar zu lebenslänglichen Strafen verurteilt. Unter ihnen befanden sich namhafte Wissenschaftler, Journalisten, gewählte Abgeordneten und hochrangige zum Teil bereits vor Jahren pensionierte Offiziere, darunter 139 Generale und Admirale, unter ihnen der ehemalige Generalstabschef der Arme der Türkei İker Başbuğ. Es kam soweit, dass es in der Marine keinen Generaloberst mehr gab, der zum befehlenden Oberst der Marine gewählt werden konnte.
Erst nach dem Zusammenbruch der engen Kollaboration zwischen der AKP und der islamistischen Gülen-Bewegung (genannt auch Gülen-Gemeinde), mit Sitz in Pennsylvania in USA, kam es an den Tag, dass alles eine künstlich organisierte Falle war, um Oppositionelle dauerhaft zum Schweigen zu bringen. Das Vorgehen gegen die zum Teil pensionierten Generäle hatte einen anderen Hintergrund. Sie alle waren strikt gegen den Einmarsch der US-Armee zum Sturz von Saddam Hussein im Jahre 2003 unter Präsident Bush. Zugleich sollten 30.000 Armee-Angehörige der USA im Südosten der Türkei stationiert werden. Die damalige Armeeführung der Türkei lehnte eine Beteiligung der Türkei an einem Krieg gegen den Irak ab. Diese Offiziere haben sich zugleich als Wächter der laizistischen Türkei verstanden und waren ein Dorn im Auge der Islamisten, sowohl der AKP als auch der Gülen-Bewegung. Genau deshalb wurden sie mit anderen namhaften Oppositionellen inhaftiert und jahrelang schikaniert.
Alle inhaftierten Journalisten, Wissenschaftler, Politiker, Offiziere, die größtenteils zum Tode verurteilt waren, wurden durch Urteile des Verfassungsgerichtes nach und nach freigesprochen.
Die Staatsanwälte Zekeriya Öz und Celal Kara sind durch die Zuhilfenahme von gefälschten Anklageschriften und Manipulationen für die Inhaftierung hunderter von Oppositionellen verantwortlich. Insbesondere Zekeriya Öz wurde von Erdogan mit einem gepanzerten Wagen belohnt und von Medien, die der Regierung näher standen, als großer Held gefeiert. Inzwischen ist bekannt geworden, dass er und andere Staatsanwälte sowie die Richter nicht nach Recht und Gesetz gehandelt, sondern mit politischen Ambitionen gegen die Oppositionellen die Justiz instrumentalisiert haben. Wie es die Ironie des Schicksals will, wurden Öz und Kara wegen dieses Rechtsmissbrauchs als Staatsanwälte entlassen, und es wurde Haftbefehl gegen sie erlassen. Daraufhin flohen sie am 12.8.2015 über Georgien nach Deutschland. Dies ist ein unwiderlegbarer Beleg dafür, dass die Justiz, von wenigen Ausnahmen abgesehen, unter der AKP-Regierung ihre Unabhängigkeit weitestgehend verloren hat und politisch instrumentalisiert wurde und weiterhin wird.
Aus Wikileaks-Veröffentlichungen wird bekannt, dass sich der ehemalige Landesvorsitzende der Republikanischen Volkspartei (CHP) Deniz Baykal, als damaliger Oppositionsführer ganz massiv gegen einen Einmarsch der USA über die Türkei gegen den Irak einsetzte. Deshalb stand er auf der Liste der unbeliebten Politiker für die USA. Nach einer Videoveröffentlichung, in der er angeblich bei Liebesbeziehungen mit einer Frau gefilmt wurde, gab Baykal seinen Parteivorsitz auf. Auch hierbei soll die USA, laut vielseitiger Erklärungen, aktiv mitgewirkt haben.
Erdogan sprach sich als Ministerpräsident offen gegen die “Gewaltenteilung” aus, die ja Fundament einer parlamentarischen Demokratie ist. Er beklagte, dass Justiz und Opposition gegen manche seiner Regierungsbeschlüsse und -projekte Widerstand leistete. Mit unglaublichen Behauptungen und Verboten versucht er, die Fundamente der laizistischen Republik Türkei, die nicht-religiösen Festtage als Symbole der nationalen Unabhängigkeit und Mustafa Kemal Atatürk als Befreier und Gründer der zeitgenössischen Republik Türkei aus dem Geschichtsgedächtnis zu löschen.
In den letzten Jahren und während des Wahlkampfes im Juni dieses Jahres hat Erdogan das Thema “Präsidialsystem” zum beherrschenden Thema gemacht und wiederholt behauptet, nur mit einem vielfältig gestärkten Präsidenten könne das Land reibungslos regiert werden. Er will ein spezifisch nach seiner Vorstellungen organisiertes “Präsidialsystem”, ein neues Modell der Türkei haben, in dem er de jure und de facto allein regieren kenn. Schritt für Schritt will er die Türkei in eine Ein-Mann-Diktatur verwandeln. Einige wenige Beispiele belegen eindeutig, wie sehr sich die Türkei bereits heute von den Fundamenten einer Demokratie und eines Rechtsstaates entfernt hat.
Die unabhängige Justiz, Grundlage einer Demokratie, wird sehr stark unter der Kontrolle des Justizministers gestellt. Wie im Prozess “Deniz Feneri” (Leuchtturm-Verein e.V) wurden die Staasanwälte nicht nur abgesetzt, sondern es wurde gegen sie ermittelt, weil sie die als verdächtig geltenden Personen verhaften ließen (Vgl. Keskin, Hakki, Yüzyilin Yolsuzluklari (Korruptionen des Jahrhunderts), in: Aydinlik Gazetesi, 21.5.2015).
Studierende, die bei einer ihrer Veranstaltungen ein Plakat mit dem Schrift “Wir wollen ein gebührenfreies Studium” entfalteten, wurden verhaftet. Der Staatsanwalt, der für Freispruch plädierte, weil die Studenten “von ihrem Verfassungsrecht Gebrauch gemacht hätten”, wurde abgesetzt. Die Studierenden erhielten je achteinhalb Jahre Gefängnisstrafe, weil sie angeblich “terrorverdächtig” wären.
Eine freie Presse gehört zu den Grundelementen einer Demokratie. Viele kritische Journalisten wurden auf mittelbaren und ummittelbaren Druck der Regierung inhaftiert, entlassen oder ihre TV-Sendungen abgesetzt.
In den wöchentlichen und von den Medien stark beachteten Fraktionsitzungen forderte Erdogan indirekt die Eigentümer der Medien auf, regierungskritische Journalisten nicht zu beschäftigen. Sonst drohten ihnen in verschiedener Art und Weise Repressalien. So wurden unter anderem nahmhafte Kolumnisten und TV-Programm-Inhaber Emin Çolaşan, Bekir Coşkun, Uğur Dündar, Oktay Ekşi, Ruhat Mengi, Nuray Mert, Banu Güven, Cüneyt Ülsever, Can Dündar, Ruşen Çakır entlassen. Gegen viele kritische Jourlanisten und Karikaturisten laufen hunderte Strafanzeigen von Erdogan.
Manche Zeitungen und vor allem TV-Anstalten wurden von Firmen, die der AKP-Regierung nahe stehen, gekauft. Viele andere wurden unter vielfältigen Einflussnahmen oder Repressalien durch die Regierung zu Jubelmedien degradiert, so dass heute rund 76 Prozent der Medien der AKP wohlgesonne Sendungen machen. Jede Rede Erdogans und des jetzigen Ministerpräsidenten Davutoğlu wird von rund 10-20 Fernsehanstalten in Gesamtelänge live und zum Teil mit Wiederholungen der Bevölkerung serviert.
Die Journalisten entgegnen diesen Repressalien auf ihre Weise. Viele von ihnen gründeten gemeinsam eine neue regierungskritische Zeitung unter dem Namen “Sözcü”, die inzwischen eine der auflagenstärksten Zeitung der Türkei geworden ist. Auch Aydinlik, Yurt, BirGün gehören zu den regierungskritischen Zeitungen. Zugleich entstanden neue oppositionsnahe Fernsehanstalten, die trotz massiver finanzieller Schwierigkeiten, weil sie wegen der Einflussnahme der Regierung Anzeigen erhalten, ihre Arbeit fortsetzen.
Am 1. September dieses Jahres blieben in der Zeitung “Sözcü” die Stellen von 10 Kolumnisten leer, um gegen die Repressalien Seitens Erdoğan und der Regierung zu protestieren. Innerhalb eines Jahres laufen gegen diese oppositionelle Zeitung 57 und gegen ihre Kolumnisten 67 Prozesse mit sehr hohen Geld- und Haftstrafen. Am 6.9 und 8.9.2015 wurden die Fenster der Zeitung Hürriyet von organisierten Erdoğan-Anhängern, angeführt von einem AKP-Abgeordneten, mit Steinen beworfen. Das ist eine neue Dimension der Repressalien gegen die Medien.
Zu einer Demokratie gehört auch die freie Wissenschaft und Kunst. Selbst die Kunst aber will die AKP nach ihrem Geschmack gestalten lassen. Der Stadtrat der Stadt Kars ließ nach einer demokratischen Entscheidung eine Skulptur als Geste der Versöhnung zwischen der Türkei und Armenien errichten. Erdogan bezeichnete diese als “ucube” (Monster) und verlangten deren Abriss, was auch geschah. In keinem demokratischen Land hat es je so etwas gegeben.
In den Hochschulen müssten die Rektoren frei und unabhängig arbeiten können, sie werden jedoch zumeist nach ihrer politischen Gesinnung nominiert, selbst wenn sie bei der Wahl die wenigsten Stimmen erhalten haben, und sie nehmen ihre Tätigkeit daher als Befehlsempfänger der Regierung wahr.
Die Hochschulen müssen jedoch als Zentren der Wissenschaft und Forschung frei von jeglicher Bevormundung über die Probleme und Fragen des Landes und der Welt nach Lösungen suchen, diskutieren und die Regierung und Öffentlichkeit informieren und aufklären. Dies müsste zu ihren zentralen Aufgaben gehören. Das ist jedoch inzwischen bei den meisten Hochschulen nicht mehr der Fall.
Größte Korruptionsskandale in der Geschichte der Türkei
Korruption ist in der Türkei nichts Außergewöhnliches. Was jedoch das Land im Dezember 2013 an Korruptionsskandalen, Bestechungen und Geldwäsche erlebte, übertraf alles in der bisherigen Geschichte der Türkei.
Bei der ersten Verhaftungswelle am 17. Dezember 2013 ging es laut den untersuchenden Staatsanwälten und ermittelnden Beamten um Geldwäsche in Höhe von vielen Milliarden Euro und um Bestechungsgelder in Höhe von 139 Millionen Euro. Daran sollen vier Minister, zwei von ihnen mit ihren Söhnen, Geschäftsleute und ein Bankdirektor beteiligt gewesen. In der Wohnung des Direktors der Staatsbank (Halk Bankası) wurden in Schuhkartons 4,5 Mio. Euro, in der Wohnung des Sohnes des zurückgetretenen Innenministers u.a. 1,5 Mio. Euro sichergestellt. Laut Ermittlungen soll ein iranischer Geschäftsmann für die Unterstützung seiner Geldtransporte dem Wirtschaftsminister Zafer Çağlayan umgerechnet 37,5 Mio. Euro, dem Generaldirektor des Ministeriums Süleyman Aslan 8,8 Mio. Euro und dem ehemaligen Europaminister Egemen Bağış mehr als 1 Mio. Euro Bestechungsgelder gezahlt haben.
Im Zusammenhang mit der zweiten Verhaftungswelle, die bereits am 25. Dezember 2013 laufen sollte, jedoch von der Regierung verhindert wurde, wurden 41 der Regierung nahestehende Unternehmen und Personen genannt, darunter auch ein Sohn Erdoğans. Dabei soll es laut Zeitungsberichten um einen weiteren Korruptionsskandal, ebenfalls Milliarden Euro umfassend, gehen. Hierbei kam es zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen der Staatsanwaltschaft, die die Verhaftungen anordnete, und der Polizei, die der Anordnung nicht folgte.
In landesweiten Massenprotesten in allen größeren Städten der Türkei wurde der Rücktritt der Regierung gefordert. Mit massiven Polizeiaufmärschen gegen die Demonstranten, bei denen auch Wasserwerfer, Tränengas und Plastikgeschosse eingesetzt wurden, versuchte die Regierung, der Lage Herr zu werden. Für Erdoğan schien es zunehmend schwieriger zu sein, bis zu den Wahlen im Juni 2015 im Amt zu bleiben. Der Innenminister Güler, der Wirtschaftsminister Çağlayan und der Umwelt- und Städtebau-Minister Bayraktar mussten unter dem massiven Druck der Öffentlichkeit zurücktreten. Diese drei Minister sollen vom iranischen Geschäftsmann Reza Zarrab insgesamt 63,5 Millionen Dollar Bestechungsgelder erhalten haben (Sözcü, 24.8.2015). Minister Bayraktar forderte jedoch auch den Ministerpräsidenten auf, sein Amt niederzulegen, weil “alles mit seinem Einverständnis geschah”. Erdogan bildete das Kabinett um und tauschte 10 Minister aus, darunter auch den an der Korruption verwickelten EU-Minister Bağış. Mit ihrer Regierungsmehrheit hat die AKP im Parlament eine parlamentarische Untersuchung von vier entlassenen Ministern verhindert.
Darüber hinaus hat die Regierung mit allen Mitteln verhindert, dass diese und möglicherweise weitere Korruptionsskandale von den ermittelnden Staatsanwälten und Kriminalbeamten sowie durch die Gerichte untersucht werden konnten. 7500 Ermittlungsbeamte, Polizeichefs, Polizeibeamte und 1500 Staatsanwälte und Richter wurden durch Versetzungen und Amtsenthebungen kaltgestellt, so dass eine weitere mögliche Bekanntmachung von Korruption, Bestechung und Geldwäsche gänzlich blockiert wurde. Nach einem Polizeidekret wurde sogar den zuständigen Staatsanwälten und Ermittlungsbeamten verboten, ohne Genehmigung der zuständigen Minister und Regierungsbehörden ihre Ermittlungsarbeiten weiterzuführen. Das bedeutete, die Ermittlungen sollten beispielsweise erst nach der Genehmigung des Innenministers gegen ihn selbst unternommen werden. Dies ging selbst den meisten von der Regierung ernannten Richtern beim “Hohen Rat der Richter und Staatsanwälte” und beim “Staatsrat” zu weit. Ein entsprechender Antrag der Anwaltskammer der Türkei wurde durch ein Polizeidekret vom Staatsrat gestoppt. Wie üblich griff Ministerpräsident Erdoğan in den von der AKP schnell organisierten Jubelkundgebungen die Justiz daraufhin massiv an. Ungerechtfertigte Attacken mit unwahren Behauptungen gegen Kritiker gehören zu Erdoğans Strategie.
Erdoğan bagatellisiert diesen, das Land erschütternden größten Korruptionsskandal aller Zeiten mit der Behauptung, das Ganze sei eine Verschwörung gegen seine Regierung, gegen das Land und gegen ihn selbst. Die islamistische Gülen-Bewegung, bislang engste Verbündete seiner Regierung, und sogar ausländische Kräfte, stünden hinter diesen “Machenschaften” gegen seiner Regierung.
Vielen Beobachtern erschien es sehr unwahrscheinlich, dass der Ministerpräsident bei den größten Korruptionen des Landes unbeteiligt sein sollte. Oppositionsführer Kiliçdaroğlu fordert Erdoğan seit langem auf, sein Vermögen offenzulegen. Erdoğan gilt inzwischen als einer der reichsten amtierenden Politiker der Welt. Höchst bemerkenswert war, dass die AKP mit ihrer Parlamentsmehrheit verhinderte, dass bei den Haushaltsverhandlungen die Berichte des Rechnungshofes über den Haushalt dem Parlament vorgelegt wurden.
Die Beeinflussung, ja sogar die Manipulation der religiös orientierten Teile der türkischen Bevölkerung mittels falscher Angaben und unwahrer Behauptungen seitens Erdoğan und seiner Partei sind weiterhin in vollem Gange. Erdoğan wird zu Recht nachgesagt, die Kunst der Demagogie bestens zu beherrschen.
Das türkische Volk stoppt vorerst die Ambitionen Erdoğans zu einer Alleinherrschaft
Die Wähler haben sich am 7. Juni für neue Mehrheiten im Parlament der Türkei entschieden. Erdoğan und seine Partei haben rund zehn Prozent ihrer Stimmen verloren, erlitt eine klare Niederlage und büßte die Mehrheit im Parlament ein. So wurde der immer schneller zu einer Diktatur führende Zug Erdoğans gestoppt. Die AKP, die Partei Erdoğans, verdankt ihre dreizehn Jahre andauernde Regierungszeit vor allem der weltweit einmaligen Zehn-Prozent-Hürde bei den Parlamentswahlen und der ständigen Propaganda, eine Koalitionsregierung führe das Land in die Instabilität. Die Entscheidung der türkischen Wähler, diese bedrohliche Entwicklung zu stoppen und für die Demokratie zu votieren, verdient Respekt und Beachtung. Das türkische Volk hat in einer Situation der ernsthaften Bedrohung für die Demokratie bewiesen, dass kein Grund zur Hoffnungslosigkeit besteht, in die bereits viele Menschen verfallen sind. Die im Parlament vertretenen Oppositionsparteien und vor allem ihre Vorsitzenden werden jedoch ihrer Verantwortung nicht gerecht; sie versagen bei der Bildung einer Regierung.
Erklärungen Erdogans und der AKP-Führung unmittelbar nach den Wahlen deuteten darauf hin, dass sie bald Neuwahlen haben wollen. Die Wahlergebnisse vom 7. Juni in der Türkei machten jedoch verschiedene Möglichkeiten einer Koalitionsregierung möglich, vorausgesetzt die Parteien wären hierzu fähig. Vorerst bestand die Möglichkeit einer Koalitionsregierung von drei Oppositionsparteien, nämlich der Republikanischen Volkpartei (CHP), der Nationalen Bewegungspartei (MHP) und der Demokratischen Partei der Völker (HDP). Nur eine solche Regierungsmehrheit der Oppositionsparteien könnte Erdoğan und seine Partei AKP für die Demontage von Demokratie, Rechtsstaat und Laizismus, die Verstöße gegen Verfassung und Gesetze sowie für ihre Rolle bei den Korruptionsskandalen gründlich zur Rechenschaft ziehen.
Jedoch hat die MHP eine Koalition mit der Kurdenpartei HDP, die als PKK Vertreterin im Parlament gesehen wird, von vornherein ausgeschlossen. Auch eine Minderheitsregierung mit der CHP, die möglicherweise von der Kurdenpartei HDP toleriert werden könnte, lehnte die MHP kategorisch ab.
Deshalb bestand nur die Möglichkeit einer Koalitionsregierung zwischen AKP/CHP oder AKP/MHP. 30 Tage lang wurden detaillierte Sondierungsgespräche über eine Regierungsbildung zwischen AKP und CHP geführt. Dann kamen es zu einem ausführlichen Spitzengespräch zwischen Ministerpräsident Davutoğlu und dem Oppositionsführer Kılıçdaroğlu. Es schien, als ob eine große Koalition möglich wäre. Wie vermutet, hat sich Staatspräsident Erdogan jedoch ganz offensichtlich gegen eine solche Koalition eingeschaltet, so dass im Gespräch zur Koalitionsbildung am 14.8.2015 Davutoğlu der CHP nur eine Regierungsbildung für drei Monate, bis zu vorgezogenen Neuwahlen vorschlug. Die sozialdemokratisch orientierte CHP hat dagegen von vornherein eine Koalition für eine Legislaturperiode vorgeschlagen, um dringend erforderliche Reformen im Land durchführen zu können. Diese Politik der AKP und Erdogans sorgt bei der Bevölkerung für große Verärgerung, die angesichts der schweren politischen und ökonomischen Lage des Landes auf eine starke Regierung hofften. Somit ist nicht nur die Bildung einer großen Koalition gescheitert, sondern Neuwahlen scheinen bald bevor zu stehen.
Auch die Koalitionsgespräche zwischen dem Ministerpräsidenten und AKP-Vorsitzenden Davutoğlu und dem MHP-Vorsitzenden Bahçeli über eine Regierungsbildung am 17. August führten zu keinem Ergebnis. Auch Bahçeli sprach sich im Voraus definitiv gegen vorzeitige Wahlen und gegen eine von ihm tolerierte Minderheitsregierung aus. Davutoğlu war somit bei der Bildung einer Regierung gescheitert. Nun müsste der Präsident den Oppositionsführer Kiliçdaroğlu für die Bildung der Regierung beauftragen, was Erdoğan jedoch willkürlich verweigerte.
Es ist nicht zu glauben, aber wahr, dass die AKP sich einen Koalitionspartner suchte, um innerhalb von wenigen Monaten die vorgezogenen Wahlen abhalten zu können, in der Erwartung, dabei erneut allein die Regierung bilden zu können. Sollte laut Verfassung innerhalb von 45 Tagen, 40 Tage davon waren bereits abgelaufen, keine Regierungsbildung zustande kommen, so kann der Staatspräsident Neuwahlen anordnen, was ja von Anfang an das Ziel Erdogans war. Vor den Augen der Bevölkerung wurde seit den Parlamentswahlen am 7. Juni dieses Theater vollzogen. Die der AKP nahe stehenden zahlreichen Medien machen bereits jetzt für das Nichtzustandekommen der Regierungsbildung mit der AKP die Oppositionsparteien CHP und MHP verantwortlich, obwohl die AKP und Erdogan dieses Scheitern geplant hatten, in dem sie eine Koalitionsregierung für nur 3 Monate haben wollten. Erdoğan hat nun für die vorgezogenen Wahlen den 1. November 2015 angekündigt, obwohl dies die Zuständigkeit der Obersten Wahlleitung ist.
Mit der gescheiterten Regierungsbildung wollen Erdogan und die AKP der seit Jahren andauernden Propaganda der AKP, nur eine von einer Partei getragene Regierung könne für politische und ökonomische Stabilität sorgen, Nachdruck verleihen. Dies wird jedoch von den Ergebnissen der dreizehnjährigen Einpartei-Regierung klar widerlegt. Die Türkei wurde sowohl innen- als auch außenpolitisch in jeder Hinsicht in eine Sackgasse geführt. Demokratie, Rechtsstaat, unabhängige Justiz, Laizismus, Achtung der Verfassung und Gesetze, Presse- und Meinungsfreiheit, Menschenrechte und gesellschaftlicher Frieden wurden rücksichtslos mit Füßen getreten.
Beinahe mit allen Nachbarstaaten sind die Beziehungen der Türkei beschädigt oder gar mit einigen Ländern, wie mit Syrien, Israel, Libanon, Ägypten und Libyen abgebrochen. Die Lage mit Syrien ist so kritisch, dass ein provozierter Krieg jeder Zeit ausbrechen könnte. Außen- und innenpolitisch ist das Ansehen der Türkei erheblich beschädigt worden.
Die anfänglich als erfolgreich angesehene Wirtschaftspolitik der AKP steht vor großen Herausforderungen
Vor allem die an Konsum, Infrastruktur und Auslandsverschuldung orientierte Wirtschaftspolitik, die in den Jahren 2002-2007 zu einer Steigerung des Bruttosozialprodukts von sieben Prozent im Jahresdurchschnitt führte, betrug laut offiziellen Angaben in den Jahren 2007-2014 lediglich noch 3,3 Prozent im Jahresdurchschnitt. Aber auch diese Zahlen sollen weit über der tatsächlichen Entwicklung liegen.
Die AKP Regierung hat zur Finanzierung von Straßenbau, Flughäfen und sonstigen Infrastrukturinvestitionen im Laufe der Jahre fast alle staatseigenen Unternehmen weit unter ihrem realen Wert privatisiert, nicht selten an die Klientel der AKP verkauft. Viele dieser Unternehmen waren für das Land von enormer strategischer Bedeutung; zum Teil auch arbeiteten diese rentabel und waren in industriell wenig entwickelten Regionen des Landes angesiedelt. Insgesamt sollen hierdurch rund 60 Mrd. US Dollar in die Staatskasse geflossen sein.
Das Außenhandelsdefizit stellt seit Jahren für die Wirtschaft des Landes ein immer größer werdendes Problem dar. 2014 betrug es fast 100 Mrd. Dollar. Mit acht Prozent des BIP hat das Land ein sehr hohes Leistungsbilanzdefizit. Dadurch sind die Inlandsschulden des Landes 2002 von 275,1 Mrd. Dollar auf 2013 609,5 und die Auslandsschulden im gleichen Zeitraum von 129,6 Mrd. Dollar auf 402 gestiegen.
Der Kurs der türkischen Lira hat seit 2002 gegenüber dem US Dollar bis Ende August 2015 ein Rekordtief erreicht. 2002 war ein US Dollar 1,65 türkische Lara Wert, am 8. September 2015 dagegen 3,38 türkische Lira. Die türkische Lira (TL) verlor gegenüber dem Dollar in diesem Zeitraum rund 60 Prozent an Wert (Milliyet, 28.8.2015 und Sözcü, 8.9.2015).
Die AKP hat die Arbeitslosigkeit in ihrer 13-jährigen Alleinregierungszeit nicht mindern können, sie betrug in ihrer Regierungszeit 2002-2015 im Jahresdurchscnitt 9,6 Prozent.
Sehr auffallend ist auch die Umverteilung von unten nach oben in diesem Zeitraum. Verfügte 2002 ein Prozent der Bevölkerung über 40 Prozent des gesammten Vermögens, so waren es 2015 54 Prozent (Mesut Karip, Milliyet, 5. 8.2015).
Die ökonomische Lage sieht für breite Teile der Bevölkerung nicht so rosig aus, wie es in der stark auf Konsum ausgerichteten Türkei scheint. In der Türkei befinden sich 56,7 Millionen Kreditkarten im Umlauf, weit mehr als eine Millionen der Inhaber von ihnen werden von Gerichtsvollzieher aufgesucht, weil sie ihre Schulden nicht begleichen können. (Taraf, 10.8.2015). Die Schulden der Kreditkarteninhaber sind von 47 Milliarden Lira im Jahr 2002 auf 890 Milliarden Lira im Jahr 2013 gestiegen.
Während reichlich vorhandene Energiequellen des Landes wie Sonne und Wind weitgehend ungenutzt bleiben, wurden sogar in Erdbebengebieten der Bau von Atomkraftwerken geplant, obwohl viele Länder, darunter die Bundesrepublik Deutschland, dabei sind, diese aus dem Betrieb zu nehmen. Noch dazu soll ein AKW von Russland gebaut werden, obwohl die Türkei wegen Erdöl- und Gasimporten, bereits heute in einer zu hohen Energieabhängigkeit von Russland steht.
Die Privatisierungs- und Liberalisierungspolitik der AKP, die in der USA und in den westlichen EU-Staaten sehr geschätzt wird, kennt keine Grenzen. In der Schwarzmeer-Region werden Flüsse und Bäche, die die natürlichen Lebensgrundlagen vieler Dörfer und kleiner Städte sind, trotz großer Widerstände der Einwohner, verkauft. Im Naturschutzgebiet Idagebirge, dem zweit-sauerstoffreichsten Gebiet der Welt, werden mit Zyanid Gold und andere Metalle ausgegraben. Dies stellt mittel- und langfristig für Trinkwasserquellen, Wälder und die Landschaft eine erhebliche Vergiftungsgefahr dar. Städtische Seeverkehrs-Firmen werden ohne Ausschreibung und weit unter ihrem realen Wert verkauft, und danach werden die Transportpreise nahezu verdoppelt. Es wurde zuletzt damit begonnen, die Brücken von İstanbul und die Autobahnen zu verkaufen, ohne Preisschutz-Vorkehrungen für die Bürger.
Trotz zahlloser Ermahnungen seitens der Gewerkschaften und von Fachkräften blieben Sicherheitsvorkehrungen aus, so dass in den letzten zehn Jahren mehr als 12.000 Arbeiter bei Arbeitsunfällen ums Leben kamen
Diese besorgniserregende und zunehmend bedrohliche Lage des Landes wird von einer großen Mehrzahl der Medien, die der Regierung AKP nahe stehen, und zugleich von zahlreichen öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten, die zu Regierungssendungen degradiert wurden, Tag für Tag schön geredet.
Erdogan und die AKP versuchen, den zunehmenden Widerstand und die Proteste der Bürger, Dorfbewohner, Arbeiter, Studenten, Gewerkschaften und Intellektuellen für den Erhalt ihrer Flüsse, Bäche, Böden, Wälder, für die gewerkschaftlichen Rechte, für eine zeitgenössische Bildung und Erziehung und für Demokratie und Rechtsstaat, fast immer mit Einsatz von Wasserwerfen, Pfefferspray und Schlagstöcken der Polizei gewaltsam zu unterdrücken.
Erdogan versucht mit allen Mitteln, sogar offen mit Verstößen gegen die Verfassung, die Macht noch mehr an sich zu reißen. Er will sich vor einer Klage im Parlament wegen seiner vielseitigen Verfehlungen in Schutz nehmen. Kürzlich erklärte er offen, dass er, als vom Volk direkt gewählter Präsident, faktisch die Befugnisse eines von ihm priorisierten allmächtigen Präsidenten habe. Die Verfassung solle dieser faktischen Lage entsprechend angepasst werden. Auch konservative namhafte Verfassungsrechtler und Oppositionsparteien bewerteten dies als einen offenen Verfassungsbruch (Sözcü, 17.8.2015).
Erdogan und der von ihm gelenkten AKP geht es stets um die Wahrnehmung eigener Interessen und am wenigsten um das Wohlergehen des Volkes und des Landes.
Ich bin jedoch äußert zuversichtlich, dass das türkische Volk dieser totalitären Herrschaftsform und den Repressalien gegen die Bevölkerung in nicht allzu ferner Zeit mit demokratischen Mitteln ein Ende setzen wird. Denn das Volk hat in seiner Mehrheit erkannt, dass es der AKP lediglich darum geht, sich selbst in vielfältiger Weise zu bereichern und dafür mit allen Mitteln an der Macht zu bleiben.
Prof. Dr. Hakkı Keskin ist Politologe und ehemaliges Mitglied des Deutschen Bundestages.
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