English Summary: I reached today some people I met just a couple of weeks ago in Greece and asked them what they think about the result of the elections yesterday. The article presents their answers. One is that many people vote for Tsipras not because they still trust him but to avoid a government of Meimarakis.
“Die griechischen Wähler vertrauen Alexis Tsipras”, berichten David Böcking und Giorgos Christides aus Athen für Spiegel online. Sie zitieren allerdings keine Griechen. Folglich ziehen die beiden diese Schlussfolgerung wohl aus dem Wahlergebnis. Ich bin vor wenigen Wochen erst vielen Menschen in Athen begegnet. Meine Reise durch den Süden Europas hatte mich auch dorthin geführt. Just genau zu dem Zeitpunkt, als das von Tsipras initiierte Referendum stattfand. Eine überwältigende Mehrheit hatte in ganz Griechenland gegen die Politik gestimmt, auf die sich Tsipras nach dem Referendum dann doch eingelassen hat: weitere Ausgabenkürzungen und Privatisierungen. Ich habe gestern und heute einige der Menschen erreichen können, die mir damals auf den Straßen Athens begegnet sind und sie nach ihrem Eindruck gefragt. Es sind allesamt Menschen, die dem politischen und auch dem journalistischen Betrieb fernstehen. Hier einige Dialoge, Zitate, von mir ins Deutsche übersetzt.
“Wie denkst Du über das Wahlergebnis?”, habe ich eine junge Frau gefragt, die mir das erste Mal in Athen auf dem Syntagma-Platz begegnet ist. Sie war auf einer der Demonstrationen, die zu einem Nein (Oxi) aufgerufen hatten. Sie hat noch einen Arbeitsplatz, einen qualifizierten sogar, aber darüber nicht den Blick auf das Ganze verloren. “Es war genauso zu erwarten”, antwortet sie mir (It was totally expected.). Und weiter: “Jedenfalls für mich.” (At least for me.) “Herr Meimarakis war keine gute Wahl für eine neue Demokratie.” (Mr. Meimarakis was not a good choice for new democracy.) “Das ist einer der Gründe, warum viele Menschen Herrn Tsipras erneut ihre Stimme gegeben haben: Um eine Regierung Meimarakis zu verhindern.” (That is one of the reasons that many people voted again for Mr. Tsipras: To avoid the government of Meimarakis.)
Diese Aussage stellt das Wahlergebnis und mit ihm die eingangs zitierte Aussage der Journalisten von Spiegel online natürlich in ein ganz anderes Licht bzw. in einen dunklen Schatten. Viele Wähler hätten demnach Tsipras nicht länger vertraut, hatten aber keine Alternative.
Und die junge Frau merkt noch etwas an, das unsere bisherigen Analysen zu Griechenland unterstreicht:
“Alles ist eine Frage von Entwicklung. Egal wie viele Kredite wir bekommen, wenn sich die Industrie nicht entwickelt, wird die Arbeitslosigkeit nicht sinken.” (Everything is a matter of development. No matter how much money we get from loans, if we do not have industrial development the unemployment rate won´t get down.)
Das ist in meinen Augen eine brilliante bzw. vielsagende Analyse. Von einer Frau, die nicht für diese allgemeinen Einschätzungen und Entwicklungen zuständig oder gar verantwortlich ist. Und doch habe ich so etwas substantielles noch nie von einem Wolfgang Schäuble, von einem Sigmar Gabriel, von einem Martin Schulz oder einem Jean Claude Juncker gehört. Nicht im Ansatz.
Hier ein anderer Dialog mit einer jungen Frau aus Patras:
“Was denkst Du über das Wahlergebnis?”, habe ich auch sie gefragt. “Dass da keine Hoffnung ist!” (That there is no hope!). “Was hätte Hoffnung gebracht?”, frage ich weiter. “An diesem Punkt gibt es nichts, was mir Hoffnung geben könnte.” (At this point there´s nothing that could bring me hope!)
Das klingt für mich wiederum nach einem Hilfeschrei – wie er, kennt man die Bedingungen, unter denen so unzählig viele Menschen in Griechenland seit einigen Jahren leben müssen, niemanden überraschen kann und noch weniger ungerührt lassen sollte. Auch dies übrigens eine Frau, die meines Wissens nach mit beiden Beiden im Leben steht. Und doch gilt eben, die Grenze des menschlich Erträglichen ist bereits so unendlich weit überschritten worden. Diesen Eindruck habe ich allein durch das Reisen in Griechenland, aber auch in Portugal, in Spanien, in Italien, ja selbst in Frankreich gewonnen. Die Analyse der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse deckt sich mit diesem Eindruck. Die Situation kann niemanden, der sich mit diesem Thema befasst, überraschen – schockieren aber doch.
Noch einmal zurück nach Athen. Ein alter Mann, im Geiste aber jung und aufgeschlossen geblieben, schrieb mir auf meine Frage hin:
“Die Situation wird jeden Tag schlimmer. Jetzt haben wir auch noch das Problem mit den armen Flüchtlingen.”
Dann erzählt er mir noch, dass seine Tochter gerade einen gesunden Jungen zur Welt gebracht hat.
Ich habe nicht nur in Griechenland, auch in Italien, Portugal, Spanien und Frankreich so viel Menschlichkeit erfahren, dass es besonders schmerzhaft ist zu sehen, wie ungerührt die Politik über so viele Schicksale hinweggeht, sie in den Trümmern, die sie mit ihrer Politik hinterlassen hat, hilflos sich selbst überlässt. Merkel, Schäuble, Gabriel, Schulz, Juncker und viele viele mehr.
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