“Ich bin nur eine schnöde Krankenschwester”, sagt die herzerfrischende junge Frau, die neben mir auf dem Boden hockt. Gestern abend. Eine Geburtstagsfeier. Nur das Geburtstagskind, das nun auch schon länger kein eigentliches Geburtstagskind mehr ist, sich aber sicherlich viel von dessen Neugierde bewahrt hat, ist mir bekannt, und ihr Kind. Um den Wohnzimmertisch herum hat eine überschaubare Zahl von Gästen Platz genommen. Nun verhält es sich an diesem Abend zum Glück nicht so, dass sich, wie so häufig, jeder genötigt fühlt, erst einmal zu sagen, was er macht, oder dies den anderen zu fragen, was ja für sich genommen zumeist mehr verrät, als alleinige Neugierde an der Person. Zumindest folgt dem, bewusst oder unbewusst, doch häufig eine Verortung des Menschen, die nicht zuletzt das Interesse an diesem positiv oder negativ beeinflusst oder, vorsichtiger ausgedrückt, um nur ja niemandem zu nahe zu treten, beeinflussen kann. An diesem Abend aber ist das nicht so.
Mit ungezielter Leichtigkeit weben sich die Gesprächsfäden ineinander. Ich bin kein Freund des Small-Talks, aber hier lerne ich eine positive Variante kennen. Die Gastgeberin bewirtet uns mit einer Kürbiscreme-Suppe und mit einer Chili con Carne, die in Wirklichkeit eine sin Carne ist, wie sie uns wenig später verrät. Beide sind vorzüglich gekocht, alles hausgemacht. Käse wird gereicht. Aus dem Bio-Laden. Auch letzteres lässt mich in der einen oder anderen Umgebung unwohl fühlen. Das hat damit zu tun, dass gewisse Leute so etwas so erhaben zelebrieren. Das hat dann etwas von feiner Gesellschaft. Ich frage mich dann immer – und manchmal auch diese Personen direkt -, ob der nächste Fernflug schon gebucht ist, oder, ob das ihr großräumiger Jeep ist, der da vor der Tür steht. Nicht aber an diesem Abend. Hier passt alles ganz natürlich zusammen. Nichts wirkt aufgetragen oder antrainiert.
Weil zwei Foto-Alben der Eltern meiner Gastgeberin nun aber einmal das Thema auf das Reisen lenken und gleichzeitig immer wieder Fragen über Hilka, meine vierbeinige Kollegin laut werden, lasse ich irgendwann fallen, dass wir gerade auf ganz einfache Weise – jedenfalls was die Verkehrsmittel anbelangt – durch den Süden Europas gereist sind. Und darüber lenkt sich das Gespräch schließlich auch auf das Warum dieser Reise und damit auf meinen Beruf, das Schreiben. Ich wiederum erfahre über die Foto-Alben und das Gespräch darüber, dass meine Sitznachbarin und ihr Freund jüngst in einem Land des Nahen Ostens waren. Im Urlaub. Es gibt also auch noch Flecken in dieser Region, wo man urlauben kann, denke ich, und finde das positiv. Sie aber sagt, “nur” im Urlaub. Kann man aber im Urlaub nicht genauso viel entdecken, wie ich auf meiner beruflichen Reise? Ich meine schon. Und selbst, wenn nicht, haben die Arbeitnehmer in Deutschland vielleicht jetzt schon ein schlechtes Gewissen, zu urlauben oder meinen, sich dafür entschuldigen zu müssen. So schlimm geht es dieser Urlauberin bestimmt nicht. Aber vielen bestimmt.
Neugierig geworden durch die angeregte Unterhaltung, frage ich sie schließlich, was sie denn beruflich macht. “Ich bin nur eine schnöde Krankenschwester.” Da erntet sie – zum Glück nicht nur von mir – sogleich Widerspruch. Und ich bin mir sicher, hier, in dieser Runde, wissen alle, oder können es sich vorstellen, was für ein besonderer Beruf es ist, Krankenschwester zu sein. Nicht nur wegen der enormen Verantwortung, die sie trägt. Ist sie etwa geringer als die vom Arzt und Chefarzt getragene? Ich meine nicht. Häufig verspricht eine besorgte und sorgende Krankenschwester sicherlich mehr Heilung, als eine komplexe Operation durch einen Chefarzt oder auch nur dessen Besuch am Krankenbett, wenn er sich denn mal blicken lässt. Wobei es natürlich auch beim Chefarzt, wie überall, immer solche und solche gibt. Aber diese Selbsteinstufung des eigenen Berufs denke ich, als ich nachhause radel, nicht zu spät, weil immer noch geschwächt durch meinen Wochenendvirus, verrät doch sehr viel über die Anerkennung, die Wertschätzung von Beruf und Mensch in unserer Gesellschaft.
Bewusst oder unbewusst basiert diese Wertschätzung doch auf der beruflichen und universitären Ausbildung, vor allem aber dem Einkommen, das die Ausübung des Berufes ermöglicht und die soziale Stellung, die das mit sich bringt. Was nicht heißt, dass die davon profitierenden Menschen, dies auch zwingend so leben oder ausstrahlen. Aber die entsprechende Sozialisierung hinterlässt doch ihre Spuren, nicht weniger als vor hundert oder zweihundert Jahren möchte ich meinen. Vielleicht ist es sogar wieder schlimmer geworden, mit den wachsenden Einkommensunterschieden und der damit auch einhergehenden Auf- und Abwertung von Berufen im Bewusstsein der Menschen. Verkehrte Berufswelt!
Kurz nachdem jener Satz gefallen war, musste die Krankenschwester plötzlich aufbrechen. Sie hatte auf die Uhr geschaut. gerade noch rechtzeitig, um pünktlich zur Spätschicht zu kommen.
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