Warum man besser nicht an der Henri-Nannen-Schule Journalismus studieren sollte, erklären keine geringeren als deren Schulleiter, Andreas Wolfers, und Wolf Schneider, ehemaliger Leiter und langjähriges Mitglied der Prüfungskommission. Warum es seit geraumer Zeit schon so schlecht um den deutschen Journalismus bestellt ist, erklären sie auch. Wir verdanken das einem Interview mit Schneider, das heute erschienen ist. Geführt hat es Takis Würger, Spiegel-Redakteur im Ressort Gesellschaft. Es soll offensichtlich der Werbung für dessen Buch dienen, das da heißt und verspricht: “Journalistenschule klarmachen – Insider verraten ihre Tipps für die Bewerbung”. Mit Aufmachung und Interviewführung zeigt Würger eindrucksvoll, dass er selbst kein guter Journalist ist – vielleicht hat er ja an der Henri-Nannen-Schule studiert.
Auf den Punkt bringt es Wolfers, den Würger im Vorspann zum Interview zitiert: “Wir suchen eben keine Experten mit Inselbegabung´, sagt Schulleiter Andreas Wolfers, ´sondern junge Leute mit fundiertem Halbwissen in ganz vielen Themenwelten.”
Wenn das keine exakte Beschreibung des deutschen Journalismus ist: “junge Leute mit fundiertem Halbwissen in ganz vielen Themenwelten.” Glückwunsch, Herr Wolfers! Nur schade, dass Sie keine entsprechende Selbstreflexion an den Tag legen und eben diese Verbindung zwischen Ihrem Anspruch und der Qualität des deutschen Journalismus herstellen. Denn das die etwas mit der abfälligen Haltung gegenüber “Inselbegabungen” zu tun hat, liegt auf der Hand. Wer sich nämlich nicht immer wieder in ein und denselben Gegenstand gräbt, tiefer und tiefer, der wird auch nicht in der Lage sein, aus dem Stadium des “fundierten Halbwissens” herauszuwachsen. Tut er dies jedoch, ist er in der Regel auch dazu befähigt, sich andere Inhalte zu erschließen und Verbindungen zu den zuvor erschlossenen herzustellen, in ursächlichen und zeitlichen Zusammenhängen zu denken und zu schreiben oder zu senden.
Da ist der ehemalige Leiter der Journalistenschule immerhin schon weiter, als sein Nachfolger. Zum Beispiel wenn er darüber spricht, was seiner Ansicht nach eine gute Bewerbungsreportage ausmacht. Das ist lesenswert und zeigt, was Schneider kann und guter Journalismus können muss. Schneider widerspricht darüber hinaus seinem Nachfolger, wenn er angehenden Journalisten empfiehlt: “Man studiere etwas, das im Journalismus häufig gebraucht wird, das wären dann die drei königlichen Studien: Volkswirtschaft, Jura und Naturwissenschaften – über Atomkraftwerke mit Verstand schreiben und nicht nur mit Schaum vor dem Mund, das wäre mal was.”
Haarig aber werden Schneiders Aussagen, wenn er auf den Wissenstest der Henri-Nannen-Schule zu sprechen kommt. Wer etwas nicht weiß, so Schneider, sei eben im Nachteil, weil er langsamer sei, als jemand, der weiß. Hier seine vollständige Aussage zum Thema, die gleich in mehrfacher Hinsicht defizitär ist:
“Sie können zwar alles bei Google fragen, aber wenn Sie alles fragen müssen, sind Sie leider langsamer als einer, der die Hälfte nicht fragen muss, und obendrein müssen Sie wissen, ob Sie eigentlich fragen sollten. Weiß ich, dass der Amerikanische Bürgerkrieg von 1861 bis 1865 stattfand, oder muss ich das erst noch googeln? Wenn ich erst noch googeln muss, bin ich schlechter als der, der nicht googeln muss, ich habe nämlich kein Tempo. Und Tempo war noch nie so wichtig wie in der Zeit des Online-Journalismus. Das heißt, bürgerliche Allgemeinbildung zählt. Sie entstammen hoffentlich einer bücherfreundlichen Familie und haben unheimlich viel gelesen. Sonst ist das nicht mehr erlernbar.”
Erstens, weiß jeder, der googelt, dass dies in der Regel sehr schnell geht. Der Unwissende verliert also kaum Zeit gegenüber dem Wissenden. Wichtiger aber noch: Durch das Suchen entdeckt der Unwissende meist viel mehr, als er ursprünglich gesucht hat, und er tauscht darüber die Rolle mit dem Wissenden, der plötzlich weniger weiß. Der Unwissende ist häufig auch gar nicht unwissender, sondern unsicherer. Er will sich nur seines Wissens versichern. Immer wieder. Das wiederum ist eine wichtige Voraussetzung für guten Journalismus. Genauso, wie die Neugierde, die mit diesem Zustand zumeist einhergeht. Denn das Wissen erweitert sich, heute vielleicht so schnell wie nie zuvor. Der, der zu wissen meint und deswegen nicht googelt bzw. recherchiert, reproduziert im Zweifelsfall nur althergebrachtes, längst überholtes. Er ist nicht auf dem neuesten Stand. Er ist ein schlechter Journalist.
Und dann Schneiders Aussage, dass Tempo noch nie so wichtig war wie in der Zeit des Online-Journalismus. Wäre Schneider ein guter Journalist, würde er genau diesen Zustand hinterfragen. Hinterfragen ist dann auch ein bei weitem wichtigerer Qualitätsfaktor für den Journalismus als vorhandenes Wissen. Letzteres wird durch ersteres ständig erweitert, korrigiert, neu gedacht. Dafür lässt das Tempo des Online-Journalismus, auch das der im Aussterben begriffenen Print-Medien keine Zeit. Gerade Spiegel online veranschaulicht jeden Tag, wie dadurch guter Journalismus durch “fundiertes Halbwissen” ersetzt wird. Die Henri-Nannen-Schule wird vom Spiegel mit getragen. Das gilt wohl auch umgekehrt.
Schneider bringt aber noch etwas sehr wichtiges zum Ausdruck: Die auf “bürgerliche Allgemeinbildung” abstellende Überheblichkeit, die einen wesentlichen Beitrag leisten dürfte zur Bequemlichkeit, zur Denkfaulheit, zur Einseitigkeit, zur fehlenden Meinungsvielfalt, zur Oberflächlichkeit, zur Arroganz, kurzum, zur Unwissenheit des Journalismus in Deutschland. Zu meinen, bürgerliche Allgemeinbildung sei “nicht mehr erlernbar”. Wer also aus keiner bücherfreundlichen Familie stammt und unheimlich viel gelesen hat, kann demnach kein guter Journalist werden. Wie viele Talente wohl dadurch der Henri-Nannen-Schule schon verloren gegangen sind und dem Journalismus generell? Und wieviele unbeschlagene, untalentierte Schüler die Henri-Nannen-Schule dadurch wohl schon zu journalistischen Weihen verholfen hat? Dabei steht außer Frage, dass das Lesen, die Begeisterung dafür, in der Regel eine wichtige Voraussetzung dafür sind, das Wissen, die Phantasie, das Denken, den Ausdruck auszubilden und zu schulen. Aber der elitäre Duktus, den Schneider an den Tag legt, scheint mir dennoch allzu einstudiert, allzu selbstgefällig, allzusehr Ausschlusskriterium, so sehr, dass er Gefahr läuft Blind zu machen gegenüber den Schätzen, die der ein oder andere zum Beispiel aus seiner Biographie heraus in diesen Beruf mit hineinnehmen könnte und die ihn zu einem ganz großen der Branche werden lassen könnten, anders als all die vermeintlich allgemein gebildeten, die am Ende doch nur Allgemeinplätze verbreiten, weil sie meinen, schon genug zu wissen und den Dingen nicht noch weiter auf den Grund gehen zu müssen. Mit Schneiders Geisteshaltung wird der miserable Status quo in Bildung und Journalismus doch nur zementiert.
Was macht schießlich Würger zum schlechten Journalisten und Spiegel online zu einem schlechten Medium? Dass Würger die Aussagen von Wolfers und Schneider nicht hinterfragt. Schlimmer noch, er und Spiegel online zelebrieren die schwachsinnige Aufnahmeprüfung der Henri-Nannen-Schule. Wie? “Der härteste Aufnahmetest”, “das schwierigste Auswahlverfahren”, “Altmeister Wolf Schneider”. Es steht nicht gut um den deutschen Journalismus. Ein Grund dafür ist wohl, dass es auch nicht gut um eine der führenden deutschen Journalisten-Schulen bestellt ist. Auf der Internet-Seite der Henri-Nannen-Schule heißt es:
“Der Journalist und Sachbuchautor Wolf Schneider hatte 1979 die Henri-Nannen-Schule gegründet und 16 Jahre lang geleitet. Bis heute haben 671 Journalistinnen und Journalisten unsere Ausbildung durchlaufen. Viele von ihnen sind in Spitzenpositionen deutscher Medien gelangt, so in die Chefredaktionen von Spiegel, Stern, GEO, Zeit, Faz.net, RTL und Brand Eins.”
Das klingt fast bedrohlich.
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