Die Wirtschaftsweise – so die populäre Bezeichnung für Mitglieder des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, ein Beratungsgremium der Bundesregierung -, Isabel Schnabel, hat Anja Ettel von der Tageszeitung “Die Welt” ein Interview gegeben. Die fragwürdige Kompetenz beider war schon häufiger Gegenstand in WuG (siehe zu Isabel Schnabel hier, zu Anja Ettel, ehemals “Miss Makro”, hier). Insbesondere zwei Themen sind es wert, hinterfragt zu werden – eine Aufgabe, die an sich ja Anja Ettel zugefallen wäre, die aber vor lauter Zustimmung – vielleicht ja schon entscheidend für die Auswahl ihrer Interview-Partner – wohl ihren Beruf vergessen hat.
Zunächst einmal gilt es jedoch positiv zu vermerken, dass Schnabel in der Flüchtlingsfrage nicht zu Schnellschüssen neigt, sondern sorgfältig abwägt. Angenehm auch ihre Feststellung, dass wir die Flüchtlinge ja nicht aus ökonomischen Gründen aufnehmen, sondern aus humanitären. Ihre ökonomische Argumentation zeigt dann aber, dass sie keinen Zusammenhang sieht, zwischen ihrem ureigensten Feld als Wirtschaftsweise – der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung – und der mit der Zuwanderung verbundenen Herausforderung der Integration in den Arbeitsmarkt. Gesamtwirtschaftlich stellt sich dieser Zusammenhang dabei recht einfach aber grundsätzlich so dar: Steigt durch die Zuwanderung die Zahl der Erwerbspersonen (Erwerbstätige+Erwerbslose) muss – die Produktivität je Beschäftigten berücksichtigend – die Zuwachsrate des realen Bruttoinlandsprodukt entsprechend zulegen, damit die Arbeitslosigkeit nicht steigt. Soll die Arbeitslosigkeit sinken – was wünschenswert ist angesichts der auch in Deutschland hohen Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung und der damit schon jetzt verbundenen politischen Spannungen -, muss die Zuwachsrate des realen Bruttoinlandsprodukts (Erwerbstätige*Produktivität je Erwerbstätigen) höher ausfallen als die Zuwachsrate des Produktionspotenzials (Erwerbspersonen*Produktivität je Erwerbstätigen). Wir verdanken diese grundsätzlichen Überlegungen einem ehemaligen Mitglied des Sachverständigenrats, dem Ökonomen Claus Köhler, und haben sie an anderer Stelle bereits häufiger ausführlich thematisiert. Nur unter dieser Voraussetzung lassen sich zusätzliche Erwerbspersonen in den Arbeitsmarkt integrieren, was zurecht als entscheidend angesehen wird, um den Zugewanderten eine Lebensperspektive in Deutschland zu bieten und sie insgesamt erfolgreich gesellschaftlich zu integrieren.
Diese grundsätzliche Notwendigkeit aber scheint Schnabel nicht zu berücksichtigen, wenn sie stattdessen dafür plädiert, dass die Löhne für Geringqualifizierte fallen müssten, um zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen. Schnabel: “Wenn es darum geht, die Flüchtlinge langfristig zu integrieren, gibt es noch Nachbesserungsbedarf, insbesondere auf dem Arbeitsmarkt. Dort verhindert der vor einem Jahr eingeführte Mindestlohn, dass die Löhne von Geringqualifizierten fallen. Genau das wäre jedoch nötig, um auf das gestiegene Angebot an ungelernten Arbeitskräften reagieren zu können.”
Durch das Fallen von Löhnen aber entstehen keine neuen Arbeitsplätze. Es steigt lediglich die (Lohn-)Konkurrenz zwischen den neu hinzugekommenen Arbeitskräften und den bereits vorhandenen. Warum aber ist der Mindestlohn überhaupt eingeführt worden? Um Beschäftigten wieder zu ermöglichen, von ihrer Arbeit zu leben. Dass das bei einem Mindestlohn von 8,50 Euro kaum möglich ist, haben wir an anderer Stelle analysiert. Wenn die Löhne für Ungelernte wieder unter diese gesetzliche Lohnuntergrenze fallen, ist ihnen aber garantiert kein Leben durch eigene Arbeit möglich. Damit ist aber das auch von Schnabel angestrebte Ziel nicht erreichbar, “die Flüchtlinge langfristig zu integrieren”, sondern wird von Beginn an konterkariert.
Das ist jedoch nicht die einzige negative Konsequenz, die die Realisierung von Schnabels primitivem Wirtschaftsverständnis zur Folge hätte. Schnabel selbst verweist darauf: “Allerdings wird Deutschland viel früher an seine politischen Grenzen stoßen, als an seine ökonomischen. Erste Anzeichen dafür gibt es ja bereits.” Was aber werden sich wohl die deutschen Arbeitnehmer denken, die eben noch den Mindestlohn für ihre Arbeit erhielten und jetzt, nach Schnabels Vorstellung, plötzlich ersetzt werden durch Flüchtlinge, die die Arbeitgeber weniger kosten als der Mindestlohn? Diese Frage mag sich jeder Leser selbst beantworten. Schon diese kurze Skizze zeigt meines Erachtens wie verantwortungslos hier eine aus Steuermitteln finanzierte, hoch dotierte Ökonomin agiert – unwidersprochen von der Journalistin, die sie interviewt.
Umso gruseliger die Vorstellung, dass auch noch das bisschen Meinungsvielfalt innerhalb des Sachverständigenrats nach Auffassung von Schnabel der Vergangenheit angehören sollte: “Was ich mir allerdings wünschen würde, ist, dass wir öfter mit einer Stimme sprechen. Die Minderheitsvoten werden meist über Gebühr wahrgenommen, das schwächt unsere Position.” Einmal abgesehen davon, dass die Minderheitsvoten – zumeist vom seinerseits äußerst zurückhaltenden Peter Bofinger getragen – nicht im Ansatz die Öffentlichkeitswirksamkeit entfalten (wenn sie denn überhaupt wahrgenommen werden) wie die Mehrheitsmeinung des Sachverständigenrats: Was ist das für ein Wissenschafts-, Demokratie- und Politikverständnis, das Schnabel hier vermittelt?
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