Krise des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, Krise der etablierten Parteien = Demokratiekrise – Symbolisiert jetzt auch durch Hannelore Kraft

Hannelore Kraft hat, im Gegensatz zu Malu Dreyer und anderen Genossinnen und Genossen von ihr in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt, wo am 13. März gewählt wird, noch etwas Zeit: In Nordrhein-Westfalen wird erst im Frühjahr 2017 ein neuer Landtag gewählt. Kraft weiß aber schon jetzt: Auch sie würde sich nicht mit der AfD an einen Tisch setzen (siehe zur vorangegangenen und grundsätzlichen Problematik des Themas hier). Auch nicht, wie Spitzen-Politiker der SPD und Bündnis 90/Die Grünen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, mit FDP und Linken? Das hat der Deutschlandfunk sie leider nicht gefragt. Das Interview, das der Sender mit Kraft geführt hat, offenbart dennoch eine weitere Einsicht, die unterstreicht, dass es um den Realitätssinn führender Politiker unseres Landes nicht gut bestellt ist. Um Kraft in dieser Gemengelage einordnen zu können, lohnt sich darüber hinaus ein Blick zurück. Er zeigt, dass Kraft die Krise der Demokratie geradezu symbolisiert.

In dem Interview mit dem Deutschlandfunk betrachtet Kraft die wachsenden Erfolge der AfD zwar “schon als Alarmsignal”, ihr Umgang damit aber ist derselbe wie der von SPD und Bündnis 90/Die Grünen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Kraft: “Ich habe für mich auch entschieden: Ich gehe nicht in Fernsehsendungen mit Vertretern der AfD. Das muss aber jeder für sich selbst entscheiden in seiner Situation.” Der Moderator des Deutschlandfunks, Moritz Küpper, hinterfragt dies nicht weiter.

So, wie er auch folgende Aussage Krafts nicht weiter hinterfragt, die meines Erachtens dazu geeignet ist, auch den letzten Bürger den Glauben an den Realitätssinn regierender Politiker verlieren zu lassen. Kraft: “Wir wissen, dass es keine einfachen Zeiten sind. Das weiß Sozialdemokratie und damit können wir auch gut umgehen.”

Wie aber kann man nur ernsthaft meinen, dass die Sozialdemokratie mit den fürwahr schwierigen Zeiten “gut umgeht”? Ein solches Verständnis setzt voraus, die politische Verantwortung der SPD für die herrschenden Verhältnisse auszublenden. Darin allerdings ist die SPD seit langem unschlagbar. Wieso aber überhaupt “keine einfachen Zeiten”? Malen führende Politiker der SPD doch seit Jahren die Situation am Arbeitsmarkt schön und sind stolz auf Schuldenbremse und schwarze Null. Mit “keine einfachen Zeiten” kann Kraft also nur meinen, dass trotz der Verhältnisse, die die SPD geschaffen hat und die nach Auffassung führender SPD-Politiker nicht nur ganz hervorragend sind, sondern auch beispielhaft für Griechenland, Frankreich und ganz Europa, nun doch tatsächlich eine politische Konkurrenz am rechten Rand entstanden ist. Nur so lässt sich wohl auch erklären, dass der Parteivorsitzende der SPD diejenigen, die diese Partei wählen oder Bewegungen wie PEGIDA hinterherlaufen, als “Pack” und als “Arschlöcher” beschimpft (siehe hier).

Vielleicht sind unter den vielen Wählern der AfD aber auch diejenigen Lanzeitarbeitslosen, denen Kraft in ihrem Landtagswahlkampf 2010 die Rolle zugesprochen hatte, “die Straßen sauber zu halten.” (siehe dazu hier; ein Beitrag, der sich gerade vor dem Hintergrund der aktuellsten Entwicklung einmal mehr lohnt zu lesen). Vielleicht sind unter den vielen Wählern der AfD auch diejenigen, denen noch der Satz Sigmar Gabriels in den Ohren klingelt: “Die SPD war nie die Partei der Arbeitslosen.” (siehe dazu hier; ein Beitrag der an Aktualität ebenfalls nicht eingebüßt, sondern, im Gegenteil, hinzugewonnen hat)

Die SPD – ein Sachverhalt, der sich nicht erst durch die jüngste Verweigerungshaltung, sich der AfD in der Diskussion zu stellen, bestätigt – scheint nicht fähig, sich ihrer politischen Verantwortung für die herrschenden Verhältnisse zu stellen. Ihr Umgang mit diesen “nicht einfachen Zeiten” kann schon deswegen nicht “gut” sein. Es ist auch nicht so, dass Politiker wie Gabriel und Kraft jenes Verhaltensmuster nur gegenüber der AfD zeigen. Sie haben sich gegenüber der Linken über viele Jahre bis heute nicht anders aufgestellt. DIE LINKE aber ist auch erst dadurch entstanden, dass die SPD ihren Wählerauftrag nicht nur missachtet, sondern in sein Gegenteil verkehrt hat. Statt eine Politik für Arbeitnehmer und Arbeitslose, für sozialen Ausgleich und Fortschritt zu gestalten, haben sie mit der Agenda 2010, der Steuer- und Abgabenpolitik, der Rentenpolitik, der Außenpolitik, der Innenpolitik ihrer potenziellen Wählerschaft permanent vor den Kopf gestoßen und vielen das Leben zur Hölle gemacht. Wir haben 2012 als einzige darauf aufmerksam gemacht, dass der SPD unter Kraft 2012 weniger Wähler ihre Stimme gegeben haben, als unter Steinbrück bei seiner krachenden Wahlniederlage 2005 – und das, obwohl die Zahl der Wahlberechtigten 2012 höher war (siehe hier; die offiziellen Endergebnisse finden sich unter aktuellen Links hier und hier. Demnach haben 2012 3.049.983 von 13.262.049 Wahlberechtigten ihre Stimme der SPD gegeben; 2005 waren es 3.058.988 von 13.230.366 Wahlberechtigten).

Schon damals hatte die SPD, namentlich Kraft, keinen guten Umgang mit dem Wahlergebnis gefunden (siehe hier). Das ist, wie das jüngste Interview Krafts mit dem Deutschlandfunk belegt, längst zur Tradition geworden.

Die SPD wäre gar nicht erst in die Verlegenheit gekommen, mit der AfD zu diskutieren, hätte sie die Zeichen der Zeit vor Jahren schon erkannt. Denn zweifellos ist die AfD ein Ergebnis der sozialen Verhältnisse, die die SPD gemeinsam mit CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP geschaffen hat (siehe dazu zuletzt grundsätzlich hier). Die SPD könnte die AfD auch als Chance begreifen: Indem sie eben jenen ursächlichen Zusammenhang zwischen ihrer Politik seit Schröder bis heute und der Entstehung der AfD herstellt und ihm politisch Rechnung trägt, also offensiv ihre Politik der letzten zehn Jahre infrage stellt. Die Spitze der Partei auf Bundes- und auf Landesebene wie die sich hinter ihr sammelnden Abgeordneten und Funktionäre scheinen dazu nicht in der Lage. Die Politik in Deutschland wird sich also vermutlich weiter radikalisieren. Die Flüchtlinge, das sei noch angemerkt, sind hierfür nur der Aufhänger, der den seit vielen Jahren schleichenden Prozess zu einem rasenden gemacht hat.


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