Die “Chefkorrespondentin für Wirtschaftspolitik” der Tageszeitung “Die Welt”, Dorothea Siems, hat wieder neuen Stoff für eine unserer Lieblingsserien, “Not everything is as it Siems“, geschrieben. “Die Flüchtlingskosten laufen aus dem Ruder“, überschreibt sie ihren Beitrag – und verwechselt Kosten mit Wachstum. Folgerichtig sieht sie auch Schäubles schwarze Null in Gefahr. Wie gewohnt, zitiert sie dabei ihre Lieblingsquelle, das Arbeitgeberlobby-Institut der Deutschen Wirtschaft (IW), dessen Mitarbeiter sie ihren Lesern als “Forscher” verkauft. Not everything is as it Siems!
Siems: “Ob der starke Flüchtlingsandrang langfristig für Deutschland eine Chance oder eine Belastung darstellt, darüber streiten Politiker, Philosophen und Stammtische. Unstrittig aber ist, dass kurz- und mittelfristig die Kosten gewaltig sind.”
Jeder aber, der weiß, dass – gesamtwirtschaftlich, und darum geht es hier – die Ausgaben (Kosten) des einen die Einnahmen des anderen sind, wird die vom IW und von Siems getroffene Aussage gerade nicht unstrittig finden. Sind die Ausgaben (Kosten) gewaltig, müssen es auch die Einnahmen sein: Unternehmen bekommen Aufträge, und selbst, wenn alles in öffentlicher Hand bliebe, müssen neue Mitarbeiter eingestellt werden, die das Gehalt, das sie verdienen (Kosten/Ausgaben für den Staat, Einnahmen für die Beschäftigten), auch wieder ausgeben und Steuern und Abgaben zahlen (Einnahmen für den Staat).
Siems: “Auf 50 Milliarden Euro veranschlagt das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) die Kosten, die bis 2017 auf den Steuerzahler zukommen.”
Nach der oben aufgezeigten Logik, dürfen sich die Steuerzahler aber freuen und müssen sich nicht sorgen. 50 Milliarden Euro Mehrausgaben seitens der öffentlichen Hand bringen viele neuen Arbeitsplätze und damit natürlich auch neue Steuerzahler, die helfen, die Steuerlast, wenn man diese denn als eine solche begreift, auf mehr Schultern zu verteilen.
So verstanden müssen wir den Flüchtlingen dankbar sein: Sie bewirken, dass die über Jahre im Namen der schwarzen Null vernachlässigte Infrastruktur endlich wieder auf Vordermann gebracht wird. Wenn der deutsche Finanzminister und die Finanzminister der Länder denn tatsächlich jene Mehrausgaben tätigen.
Siems: “Die von den kühl rechnenden Forschern prophezeiten Mehrausgaben im Zuge des anhaltenden Flüchtlingsstroms haben eine Dynamik, die alle Haushaltspläne der großen Koalition zunichte macht.”
Es dürfte bis hierher schon deutlich geworden sein, dass diejenigen, die uns Siems als “kühl rechnende Forscher” vorstellt” nichts anderes sind als eiskalte Lobbyisten, deren vorangiges Ziel es bisher noch immer war, “Kosten” (Steuern, Sozialbeiträge) für die Unternehmen, die das IW finanzieren, abzuwenden. Der Mehrheit deutscher Unternehmer tut dieses Institut damit ebenso wenig einen Gefallen wie den Arbeitnehmern. Denn es schwächt damit nicht nur den Handlungsspielraum des Staates, sondern, über sinkende oder sich unangemessen schwach entwickelnde Staatsausgaben und Löhne, auch das Wirtschaftswachstum und damit auch die Chancen für Unternehmen, Umsatz und Gewinn (Einnahmen) zu machen. Not everything is as it Siems!
Siems: “Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, der die jahrzehntelange Politik des unverantwortlichen Schuldenmachens beendet hat, droht nun ein spätes Scheitern seines Konsolidierungskurses. Denn die schwarze Null könnte schon in diesem, spätestens aber im nächsten Jahr kippen.”
Unverantwortlich aber war und ist genau die von Schäuble angestrebte Beendigung des Schuldenmachens, weil er sie, wie seine Vorgänger Eichel und Steinbrück, auf Kosten der Allgemeinheit und des Allgemeinwohls betreibt: durch Ausgabenkürzungen bzw. nicht angemessene Ausgabensteigerungen (siehe auch zuletzt hier). Diese lassen sich an den Milliarden Rückständen bei den Infrastrukturinvestitionen ablesen, konkret: an heruntergekommenen Schulen, Straßen und anderen öffentlichen Einrichtungen. Auch am Personalabbau im öffentlichen Dienst, der Polizei und Ämter längst – weit vor Ankunft der Flüchtlinge – an ihre Belastungsgrenze geführt hat. Das allerdings sind gewaltige “Kosten” für die Gesellschaft und kommende Generationen.
Dass Siems die Identität von Ausgaben (Kosten) und Einnahmen nicht begreift, zeigt auch diese Aussage von ihr:
“Weitaus kostengünstiger als eine Versorgung der vor Bürgerkrieg und Terror flüchtenden Syrer in Deutschland ist die Unterstützung der Flüchtlingslager in den Nachbarländern Türkei, Libanon oder Jordanien.”
Man kann die bessere Versorgung der Flüchtlinge in den Nachbarländern aus vielen Gründen für sinnvoll halten, der von Siems genannte Grund, weil dies “weitaus kostengünstiger” sei, kann dafür aber gerade nicht herhalten. Denn die für in Deutschland lebende Flüchtlinge getätigen Mehrausgaben bringen wie oben erklärt ja auch Mehreinnahmen und mehr Beschäftigung in Deutschland. Das gilt für die Mehrausgaben aus Deutschland für eine bessere Versorgung der Flüchtlinge in der Türkei, im Libanon oder Jordanien nicht oder nur insoweit, als dass mit dieser Versorgung auch eine entsprechende Auftragsvergabe an deutsche Unternehmen einhergeht, die ja ebenfalls für mehr Wachstum und Beschäftigung hier sorgen würden.
Von “Spendierlaune” zu schreiben, wie es Siems mit Blick auf die Notlösungen in manchen Bundesländern und Kommunen tut, ist geschmacklos und dumm. Das gilt auch für ihre Forderung den Mindestlohn aufzuweichen und die Regelungen für die Zeitarbeit und für Siems Stigmatisierung der Flüchtlinge als “Kostgänger”, die zu “Selbstversorgern” werden würden, würde man nur den Arbeitsmarkt von allen sozialen Schranken befreien. Dass selbst der Mindestlohn nicht zur “Selbstversorgung” reicht, haben wir gerade erst am 16. Januar erneut analysiert.
Es geht bei all dem hier geäußterten Widerspruch nicht darum, die Aufgaben, die sich mit den Flüchtlingszahlen stellen, klein zu reden. Im Gegenteil, wir haben sehr frühzeitig auf die Voraussetzungen hingewiesen, die geschaffen werden müssten, um die Flüchtlinge erfolgreich zu integrieren (siehe im Archiv hier). Die Bundesregierung hat hierzu bisher weder einen Plan noch möchte sie das dafür notwendige Geld in die Hand nehmen.
Die Scharlatanerie, die Siems in ihrem Beitrag betreibt, ist aber – wie so häufig bei ihr – allzu durchsichtig. Ich bin mir sicher, dass die Unterhaltung an vielen Stammtischen in Stadt und Land der Republik deutlich problembewusster ausfällt.
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