“Ein Journalist, der sich als Berater einer Partei andient, hat seine Unabhängigkeit verloren, seine Glaubwürdigkeit aufs Spiel gesetzt – und damit seinen Job. So wie im Fall von Günther Lachmann.” Hat hier der Herausgeber des Medien-Riesen WeltN24, Stefan Aust, das Kündigungsschreiben an seinen Arbeitnehmer, den Journalisten Günther Lachmann, nicht doch allzu offensichtlich dazu genutzt, dem Journalismus einen Freifahrtschein in Sachen Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit auszustellen? Ich meine schon. Dass dies den berichterstattenden Medienbeobachtern nicht aufstößt, liegt möglicherweise daran, dass sie ein ähnlich unkritisches Selbstbild von sich und ihrem Beruf haben, wie Aust. Auf den Fall Lachmann muss an dieser Stelle nicht noch einmal eingegangen werden. Aust schildert übersichtlich die wohl wesentlichen Ereignisse, die zu dessen Kündigung geführt haben. Was aber ist unabhängiger und glaubwürdiger Journalismus?
“Liebe Leserinnen, liebe Leser!”, wendet sich Aust an “Die Welt”-Leser, “Glaubwürdigkeit ist das wichtigste Kapital des Journalismus. Wer diese aufs Spiel setzt, schadet nicht nur der Zeitung oder Zeitschrift, für die er arbeitet. Er schadet der gesamten Publizistik. Deshalb hat die “Welt” entschieden, sich unverzüglich von ihrem Redakteur Günther Lachmann zu trennen, als Belege darüber auftauchten – und von ihm bestätigt wurden – dass er sich auf eine sehr zweifelhafte Weise mit Politikern der AfD eingelassen hatte.”
Hehre Worte. Ich gehe soweit mit Aust mit, was die “sehr zweifelhafte Weise” anbelangt, mit der sich Lachmann wohl “mit Politikern der AfD eingelassen hatte”, wie Aust festhält. Auch, dass Lachmann wohl meinte, sich nicht zu den Vorwürfen verhalten zu müssen, sei es ihnen durch eine Klage zu begegnen oder dazu zu stehen und dies versuchen zu rechtfertigen, war für den Arbeitgeber nicht hinnehmbar. Ein großes Problem war schließlich wohl auch, dass Lachmanns Berichterstattung über die AfD fragwürdig war und seine Unabhängigkeit infrage stellte. Für Aust spricht auch, dass er die Vorgänge lückenlos aufklären möchte.
Woran aber lässt sich grundsätzlich die Unabhängigkeit und die Glaubwürdigkeit als, wie Aust einleitend schreibt, “wichtigstes Kapital des Journalismus” festmachen? Hat Lachmann schon als Journalist ausgedient, weil er sich, wie Aust verallgemeinernd schreibt, “als Berater einer Partei andient”? Sind “Die Welt” und der Springer-Konzern, wie andere große Zeitungs-Verleger, -Eigentümer, -Herausgeber etwa keine Partei? Gewiss sind sie es nicht im organisatorischen und rechtlichen Sinne. Aber vielleicht ja doch in dem Sinne, Partei zu ergreifen – und zwar nicht nur in den Meinungsspalten, sondern in der gesamten medialen Ausrichtung? Ganz gewiss sogar. Man denke nur an die gemeinsame und geschlossene Front der großen Zeitungen gegen den Mindestlohn. War die etwa unabhängig von den Gewinn-Interessen der Verlagshäuser? Man denke nur an die Russland-Berichterstattung in “Die Welt” oder an die Berichterstattung über sozial- und wirtschaftspolitische Themen? Leistet sich “Die Welt” gerade bei letzteren irgendwelche nennenswerte Meinungsvielfalt? Sind die entsprechenden Artikel in der Sache nicht vielleicht genauso kritisch zu hinterfragen, wie Aust es jetzt im Fall der AfD-Artikel von Lachmann zu tun beabsichtigt? Für viele gilt das ganz sicherlich, wie nicht zuletzt unsere Analysen immer wieder gezeigt haben. Und ist diese Parteinahme möglich, ohne extreme Einflussnahme durch die Eigentümer und ihre vermeintlich unabhängigen Chefs auf die Personalpolitik und die inhaltliche Ausrichtung? Kann der Journalismus überhaupt unabhängig und glaubwürdig sein unter den gegebenen medienpolitischen Voraussetzungen, kann er es überhaupt sein? Man denke in diesem Zusammenhang auch an den parteipolitischen Proporz der öffentlich-rechtlichen Medien, den wir im Rahmen unserer Medienanalysen immer wieder thematisiert haben.
Als ich mich vorgestern endlich einmal wieder zu einer ruhigen Minute zwang, griff ich mir, ohne groß darüber nachzudenken, Heinrich Vogelers “Reisebilder aus der Sowjetunion” aus dem Regal und begann etwas in seinen Aufzeichnungen aus den 1920er Jahren zu lesen. Auf Seite 47 stieß ich auf diese Zeilen des bürgerlich aufgewachsenen, dann aber durch die Ereignisse politisierten Malers: “Dass das russische Volk noch unverbildet war, dass ihm tiefe natürliche Instinkte zur Führung dienten, ließ den Revolutionsprozess so tiefgehende Wirkungen zeigen. Die Krisenträger, die kapitalistischen Ausbeuter konnten die Gehirne nicht, wie in Deutschland, mit Druckerschwärze verkleistern. In Deutschland liest fast jeder Mensch eine vom Großkapital fundierte Zeitung. So konnte dem Volke der Dichter und Denker die Wirklichkeit mit schönen, klingenden nationalen, demokratischen, sozialen und religiösen Phrasen übertüncht werden. Der Sturm im Wasserglas nahm alle Kräfte in Anspruch.”
Schiebt man einmal den historisch einzuordnenden klassenkämpferischen Duktus beiseite: Leisten Zeitungen wie “Die Welt” und andere private wie öffentlich-rechtliche Leitmedien heute wirklich mehr im Zeichen ihrer Zeit? Viel früher schon als Vogeler hat der große Balzac die Zeitungen als “Bordelle des Denkens” kritisiert.
Ich bin aber gern bereit, mich von Herrn Aust und “Die Welt” oder irgendeinem anderen, vermeintlich unabhängigen und glaubwürdigen Medium eines besseren belehren zu lassen. Dazu wäre ich sofort gewillt eine gut dotierte Stelle oder auch nur Kolumne mit analytischen und meinungsstarken Inhalten dort zu füllen – wenn mir nur meine Unabhängigkeit bleibt und damit auch meine Glaubwürdigkeit. An guten – unabhängigen und glaubwürdigen – Referenzen fehlt es nicht. Erst recht nicht an Erfahrung, Wissen, Fleiß und Tatendrang. Damit habe ich mich aber nun wirklich genug angedient.
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