Renzi zur Eurokrise: Ist das die Wende zu einer rationalen Wirtschaftspolitik?

Bis heute hatte auch der italienische Ministerpräsident, Matteo Renzi, keine gute Figur gemacht, wenn es darum ging, sein Land und die Europäische Währungsunion (EWU) als Ganzes aus der Krise zu führen (siehe zum Beispiel unsere Analyse hier und den Gastbeitrag der Politologin Patrizia Storelli-Felten hier). Heute aber hat “La Repubblica”, eine der bedeutendsten Zeitungen Italiens, einen offenen Brief von Renzi veröffentlicht, der das Zeug dazu hat, die Wende in der EWU zu einer rationalen Wirtschaftspolitik einzuläuten und damit in die Geschichte einzugehen.

Der Brief ist eine direkte Reaktion auf den Journalisten und Politiker Eugenio Scalfari, einstmals Gründer und Chefredakteur der La Repubblica und heute ihr Kolumnist. Scalfari hatte die Lösung der Eurokrise zuvor offensichtlich in einem “Superminister” der Finanzen gesucht. Renzis direkte Erwiderung: “Das Problem der Wirtschaft in der Union heute liegt nicht bei einem Superminister, sondern in der Richtung, die sie genommen hat.”

Das Problem der Wirtschaft in der Union heute liegt nicht bei einem Superminister, sondern in der Richtung, die sie genommen hat.

Und dann macht Renzi etwas, was als grundsätzliche Voraussetzung für eine Wende angesehen werden kann und für einen Politiker äußerst ungewöhnlich ist: Er gesteht Fehler ein. Er wäre kein Politiker, wenn er seinen eigenen Namen dabei nicht aus dem Spiel ließe, doch darüber kann angesichts seiner offenen Ansprache der zentralen Probleme in der Wirtschaftspolitik getrost hinweggesehen werden. Renzi bringt seine Kritik mit einem Vergleich auf den Punkt, den dieses Medium in seinen Analysen seit Jahren bemüht, um die Fehlentwicklungen und ihre Ursachen zu verdeutlichen: den zwischen Europa und den USA. “Um auf den Punkt zu kommen”, so Renzi, “während der vergangenen acht Jahre demokratischer Präsidentschaft haben die USA auf Wachstum, Investitionen und Innovationen gesetzt, während Europa auf Austerität, Währung und Härte gesetzt hat. Vom ökonomischen Standpunkt stehen die USA heute besser da, als vor acht Jahren. Europa dagegen schlechter. Wenn wir es in einer Schlagzeile zusammenfassen müssten oder für einen tweet, wenn Sie das bevorzugen, würden wir schreiben: Obama hat´s gut gemacht. Barroso nicht.”

Natürlich kann Renzi die Austerität (Senkung der Staatsausgaben, Personalabbau im öffentlichen Dienst, Lohnsenkungen, Aufhebung von Arbeitnehmerrechten) nicht für gänzlich falsch erklären. Denn er selbst hat ja dieselbe Politik betrieben und tut dies bis heute (siehe unsere Hinweise oben). Und so sagt er halt: “Austerität allein ist nicht genug.” Er geht jedoch weit darüber hinaus, wenn er sagt: “Acht Jahre unbeirrt eine Medizin anzuwenden, die nicht hilft, ist eine Form therapeutischen Starrsinns.”

Acht Jahre unbeirrt eine Medizin anzuwenden, die nicht hilft, ist eine Form therapeutischen Starrsinns.

Diese direkte Benennung eines wesentlichen Skandals in der europäischen Wirtschaftspolitik ist nicht nur außergewöhnlich, sondern in dieser Form bisher im Kreise europäischer Spitzenpolitiker einmalig und gleichermaßen wegweisend. Dieser Skandal in der europäischen Wirtschaftspolitik, den Renzi jetzt benennt, ist freilich seit Jahren offensichtlich, er schreit einen förmlich an. Wir haben ihn in den vergangenen Jahren immer wieder thematisiert. Unter anderem mittels vergleichender Analysen der Reden Mario Draghis und Janet L. Yellens, der amerikanischen Notenbankpräsidentin. Draghi verlor kaum ein Wort über die historisch hohe Massenarbeitslosigkeit, die sich mit der europäischen Wirtschaftspolitik, die Renzi jetzt kritisiert, einstellte; Yellen kannte kaum ein anderes Thema.

Italien hält sich an die Regeln. Deutschland aber nicht. Der deutsche Handelsüberschuss überschreitet immer noch die Richtlinie der Europäischen Kommission.

Und dann trifft Renzi noch eine Aussage, die die politisch Verantwortlichen in Deutschland aufhorchen lassen sollte: “Italien hält sich an die Regeln. Deutschland aber nicht. Der deutsche Handelsüberschuss überschreitet immer noch die Richtlinie der Europäischen Kommission.” Das könnte Nachahmer finden. Frankreich zum Beispiel, wenn die französische Regierung denn endlich aufwachen würde. Dafür gibt es freilich zurzeit noch überhaupt keine Anzeichen, im Gegenteil. Und doch hat Renzi hier möglicherweise ein politisches Fass aufgemacht, das sich als eines mit sehr solidem Boden erweisen könnte. Dass er dann noch meint, seine “Reformen” loben zu müssen, die ja nur die deutsche Agenda 2010 nachahmen und Italien bis heute eben gerade keinen Erfolg beschert haben und dies wohl auch zukünftig nicht werden: Schwamm drüber. Entscheidend ist: Renzi sagt, es sind nicht die Regeln, an denen Europa scheitert. Das Problem ist die Wirtschaftspolitik.


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