Arbeitskosten: Verteilungsspielraum ausgeschöpft? Das IMK sagt ja – WuG sagt nein

Gestern hat das Statistische Bundesamt die Arbeitskosten für das vierte Quartal und das Jahr 2015 veröffentlicht. Das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) hat daraufhin eine Pressemitteilung unter der Überschrift herausgegeben: “IMK: DEUTSCHE ARBEITSKOSTENENTWICKLUNG HILFT BEI STABILISIERUNG DER EUROPÄISCHEN WIRTSCHAFT“. Darin heißt es:

“Die deutschen Arbeitskosten sind mit 2,6 Prozent im Jahr 2015 stabilitätskonform gewachsen.” Und weiter: “Bei der Lohn- und Arbeitskostenentwicklung hat Deutschland den neutralen Verteilungsspielraum ausgeschöpft, so wie es in einer moderaten Aufschwungsituation zu erwarten war. Damit leistet die stärkste Volkswirtschaft Europas einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung in Europa´, sagt Dr. Alexander Herzog-Stein, Arbeitsmarktexperte des IMK.”

Leider erfahren wir nicht, auf welcher vollständigen Berechnungsgrundlage das IMK zu diesem Ergebnis kommt. Nach unseren Berechnungen wurde die Ausschöpfung des neutralen Verteilungsspielraum knapp verfehlt (siehe unten). Deutlich wird aber immerhin, dass das IMK mit dem kalenderbereinigten Wert rechnet (2,6%) und nicht mit dem Originalwert. Der kalenderbereinigte Anstieg der Arbeitskosten fällt laut Statistischem Bundesamt in 2015 höher aus, als der auf dem Originalwert basierende Anstieg. Auf Basis der aus den Quartalswerten berechneten Mittelwerte ergibt sich nach unseren Berechnungen kalenderbereinigt ein Anstieg der Arbeitskosten um 2,63 Prozent und für den Originalwert ein Anstieg von 2,43 Prozent in 2015 gegenüber Vorjahr. Hoffentlich hat das IMK bei der Berechnung des neutralen Verteilungsspielraums dann auch die kalenderbereinigten Werte bei der Arbeitsproduktivität zugrundegelegt. Wie aber lässt sich das Inflationsziel kalenderbereinigen? Wir rechnen unten mit den Originalwerten.

Was wir aufgrund der herauslesbaren Angaben des IMK immerhin nicht befürchten müssen ist, dass das IMK denselben fatalen Fehler begeht wie jüngst der DGB in seinem Verteilungsbericht, nämlich die tatsächliche Inflationsrate und nicht das Inflationsziel zugrunde zu legen (siehe dazu kritisch hier).

Auch für die folgende Aussage des IMK finden wir leider nicht nur keine Grundlage, sondern gegenteilige Belege, die dafür sprechen, dass weder die Tariflohnentwicklung noch der Mindestlohn die gesamtwirtschaftliche Lohnentwicklung in 2015 positiv beeinflusst haben – was nicht dagegen spricht, dass der Mindestlohn in einzelnen Berufsgruppen bzw. Wirtschaftszweigen eine positive Wirkung erzielt hat (siehe dazu auch hier und hier): “Der etwas stärkere Arbeitskostenzuwachs in Deutschland, zu dem neben Tariflohnerhöhungen auch die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns beigetragen haben dürfte, hat nach Analyse des IMK auch die interne Balance der deutschen Wirtschaft verbessert…“.

Was ist darüber hinaus mit “interner Balance der deutschen Wirtschaft” gemeint? Der Außenbeitrag jedenfalls (die Differenz zwischen Exporten und Importen von Waren und Dienstleistungen) ist von 6,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im Jahr 2014 auf 7,8 Prozent des BIP in 2015 gestiegen. Das allein schon relativiert doch die im Vergleich zu den Vorjahren höher ausfallende Zuwachsrate des privaten Konsums stark, auf die das IMK in diesem Zusammenhang wahrscheinlich abstellt. Dieses Ergebnis will auch so gar nicht zu dieser bereits oben zitierten Aussage des IMK passen: “Damit (mit der Lohn- und Arbeitskostenentwicklung, T.H.) leistet die stärkste Volkswirtschaft Europas einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung in Europa.”

Eine Grundlage für die unterschiedlichen Ergebnisse hinsichtlich der Ausschöpfung des Verteilungsspielraums könnte auch in dieser Aussage des IMK zum Ausdruck kommen: “Auch die bei internationalen Vergleichen deutlich aussagekräftigeren deutschen Lohnstückkosten haben sich nach Berechnung des IMK mit zwei Prozent im Jahr 2015 absolut konform mit dem Inflationsziel der Europäischen Zentralbank entwickelt.”

Das Inflationsziel der Europäischen Zentralbank (EZB) lautet “unter, aber nahe zwei Prozent”. Laut Statistischem Bundesamt sind die Lohnstückkosten 2015 nach dem Personenkonzept (Arbeitnehmerentgelt je Arbeitnehmer [jeweils umgerechnet auf Messzahlen 2010 = 100] in Relation zur Arbeitsproduktivität [Bruttoinlandsprodukt bzw. Bruttowertschöpfung, preisbereinigt, Kettenindex 2010 = 100 je Erwerbstätigen]) um 1,8 Prozent gegenüber Vorjahr gewachsen, laut Stundenkonzept (Arbeitnehmerentgelt je geleisteter Arbeitnehmerstunde [jeweils umgerechnet auf Messzahlen 2010 = 100] in Relation zur Arbeitsproduktivität [Bruttoinlandsprodukt bzw. Bruttowertschöpfung, preisbereinigt, Kettenindex 2010 = 100, je geleisteter Erwerbstätigenstunde]) um 1,7 Prozent. Man muss also davon ausgehen, dass das IMK das Inflationsziel von “unter, aber nahe zwei Prozent” in die Zahl 1,7 Prozent oder 1,8 Prozent gießt bzw. auf zwei Prozent aufrundet. Wir legen bei unseren Berechnungen 1,9 Prozent zugrunde. Man fragt sich jedoch allein schon wegen der folgenden, an die oben vom IMK vorgenommene Einschätzung zu den Lohnstückkosten unmittelbar anschließende Aussage, warum das gewerkschaftsnahe Institut die deutsche Lohnstückkostenentwicklung in 2015 als “absolut konform mit dem Inflationsziel der Europäischen Zentralbank” versteht: “In der langfristigen Entwicklung zwischen 2000 und 2015 liegen die deutschen Lohnstückkosten mit jahresdurchschnittlich einem Prozent aber nach wie vor weit unter dem Mittel im Euroraum und dem EZB-Inflationsziel.” Wie kann vor diesem Hintergrund ein Anstieg der Lohnstückkosten um 1,7 oder 1,8 Prozent in 2015 als ”absolut konform mit dem Inflationsziel der Europäischen Zentralbank” verstanden werden? Um einen fairen Wettbewerb und eine angemessen starke Inlandsnachfrage zu ermöglichen, die schlussendlich auch für ein außenwirtschaftliches Gleichgewicht sorgen, müsste dann doch der Lohnstückkostenanstieg entsprechend höher ausfallen. Auch die Erreichung des Inflationsziels, von dem die tatsächliche Inflationsrate seit geraumer Zeit stark nach unten abweicht, erscheint auf dieser Grundlage auf absehbare Zeit nicht wieder erreichbar bzw. dadurch nicht befördert zu werden.

Die Aussagen des IMK scheinen mir daher im Ergebnis weder im Arbeitnehmerinteresse zu sein, noch ein angemessenes Wirtschaftswachstum und Preisstabilität zu fördern und damit auch nicht dem Abbau der (mit Ausnahme von Deutschland) allseits kritisierten hohen Handels- und Leistungsbilanzüberschüsse zu dienen.

Unsere, neben der jährlichen Betrachtung, ebenfalls vorgenommenen Berechnungen nach Quartalen zeigen darüber hinaus eine weitere kritische Entwicklung…Arbeitskosten: Verteilungsspielraum ausgeschöpft? Das IMK sagt ja – WuG sagt nein (vollständiger Beitrag im Abonnement)


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