Am 11. März hatte WuG eine Pressemitteilung des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) vom 10. März über die Entwicklung der Arbeitskosten in Deutschland aufgegriffen und problematisiert (siehe hier). Einen Tag später war auf twitter zu lesen, dass auch der “wissenschaftliche Direktor” des IMK, Gustav Horn, mit Verweis auf eben jene Pressemitteilung meint: “” Ich hatte Horn daraufhin direkt als Antwort auf dessen tweet auf meine kritischen Überlegungen dazu hingewiesen, habe aber bis heute keine Antwort darauf erhalten. Vielleicht bedient er ja seinen twitter account nicht selbst. Vielleicht aber – dafür gibt es auch andere Hinweise – führen die Gewerkschaftsvertreter auch ein gewisses Eigenleben und haben über die Jahre verlernt, wirklich sensible Fragen kritisch in der Öffentlichkeit, möglicherweise sogar innerhalb der Gewerkschaften, zu diskutieren. Horn erscheint mir hierfür bereits seit geraumer Zeit ein Paradebeispiel zu sein (siehe zum Beispiel hier zur GDL, zu Mindestlohn und Tarifautonomie hier und zu Horns Umgang mit Kritik hier). Horn steht damit aber nicht allein (siehe zum Beispiel zur Antwort des IG-Metall-Vorstands-Mitglieds, Wolfgang Lemb, auf meine Einwende gegenüber dessen Äußerungen zu Ausnahmeregelungen bei der EEG-Umlage für energieintensive Industrien hier). Desinteressiert zeigen sich IG-Metall und DGB auch gegenüber Einwenden und kritischen Analysen zu den jüngst auch auf Druck der Gewerkschaften verhängten Strafzöllen gegen chinesische Stahlimporte (siehe dazu hier und hier). Weil die Hoffnung aber bekanntlich stets zuletzt stirbt, und weil – wie die Pressemitteilung des IMK zu den Arbeitskosten erst wieder gezeigt hat – die Analysen und die Öffentlichkeitsarbeit der Gewerkschaften doch immer wieder äußerst fragwürdig erscheinen, richtete ich soeben folgendes Schreiben an Gustav Horn:
Sehr geehrter Herr Horn,
wären Sie so freundlich mir folgende Fragen zur jüngsten Pressemitteilung des IMK über die Entwicklung der Arbeitskosten in Deutschland zu beantworten?
In der Pressemitteilung heißt es unter anderem, dass sich die Lohnstückkosten (kursive Hervorhebung, T.H.) “nach Berechnung des IMK mit zwei Prozent im Jahr 2015 absolut konform mit dem Inflationsziel der Europäischen Zentralbank entwickelt” haben. In unmittelbarem Anschluss daran heißt es jedoch: “In der langfristigen Entwicklung zwischen 2000 und 2015 liegen die deutschen Lohnstückkosten mit jahresdurchschnittlich einem Prozent aber nach wie vor weit unter dem Mittel im Euroraum und dem EZB-Inflationsziel.”
Wie können sich allein hieran gemessen, die Lohnstückkosten “mit zwei Prozent im Jahr 2015 absolut konform mit dem Inflationsziel der Europäischen Zentralbank” entwickelt haben? Wie das IMK ja selbst festhält, gibt es das Inflationsziel der EZB nicht erst seit 2015, sondern seit 1999 bzw. seit Beginn der Europäischen Währungsunion (EWU).
Wenn die deutschen Lohnstückkosten, wie das IMK erklärt, zwischen 2000 und 2015 “mit jahresdurchschnittlich einem Prozent aber nach wie vor weit unter dem Mittel im Euroraum und dem Inflationsziel” liegen, hätten die Lohnstückkosten dann nicht im Jahr 2015 – um sich “absolut konform mit dem Inflationsziel der Europäischen Zentralbank” zu entwickeln – höher bzw. deutlich höher steigen müssen, um Ausgleich für die vorangegangenen Jahre zu schaffen – so, wie es nunmehr seit Jahren in umgekehrter Richtung den Euro-Ländern im südlichen Europa ganz selbstverständlich abverlangt wird?
Wenn Sie dem zustimmen, wird dann die Wirklichkeit durch den folgenden, einleitend in der Pressemitteilung des IMK formulierten Satz nicht geradezu maßlos beschönigt bzw. die Entwicklung der Arbeitskosten in Deutschland in ein völlig falsches Licht gerückt? “Damit (mit der verteilungsneutralen Ausschöpfung der Lohn- und Arbeitskostenentwicklung, T.H.) leistet die stärkste Volkswirtschaft Europas einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung in Europa.” In der Pressemitteilung wird ja immerhin auch festgehalten, “dass die Gefahr einer deflationären Entwicklung weiter akut ist”. Wäre vor dem aufgezeigten Hintergrund ein höherer Anstieg der Lohnstückkosten in Deutschland nicht das geeignetste Mittel, um eben jener akuten “Gefahr einer deflationären Entwicklung” entgegenzuwirken?
Ist schließlich der Verteilungsspielraum durch die Entwicklung der Arbeitskosten im Jahr 2015 überhaupt ausgeschöpft worden? Welche Größen liegen diesem Ergebnis zugrunde? Genauer, in welche Zahl gießt das IMK das Inflationsziel der EZB von “unter, aber nahe zwei Prozent”, 1,9 Prozent, zwei Prozent? Für die Entwicklung der Arbeitskosten zieht das IMK offensichtlich den kalenderbereinigten Wert heran (2,6%). Wäre es nicht angemessener mit dem Ursprungswert zu rechnen? Oder hat das IMK auch mit kalenderbereinigten Werten für die Entwicklung der Arbeitsproduktivität gerechnet, und gibt es ein kalenderbereinigtes Inflationsziel?
Wie kommt das IMK darüber hinaus auf einen Anstieg der Lohnstückkosten um zwei Prozent in 2015? Laut Statistischem Bundesamt sind sie um 1,8 Prozent (Personenkonzept) bzw. um 1,7 Prozent (Stundenkonzept) gestiegen. Hat das IMK die Zahl einfach gerundet, und verfälscht dies möglicherweise ebenfalls das Bild?
Welche Belege haben Sie darüber hinaus dafür, dass Tariflohnerhöhungen und die Einführung des Mindestlohns zum “etwas stärkeren Arbeitskostenzuwachs in Deutschland” beigetragen haben, wie es ebenfalls in der Pressemitteilung heißt? Wurde der Verteilungsspielraum nicht vor der Einführung des Mindestlohns, zum Beispiel im Jahr 2012, wesentlich stärker ausgeschöpft, als in 2015? Und haben die tariflichen Stundenverdienste (ohne Sonderzahlungen) in 2015 überhaupt den Verteilungsspielraum ausgeschöpft? Womit lassen sich mögliche Auswirkungen der Tariflohnentwicklung einerseits und der Einführung des Mindestlohns andererseits auf die gesamtwirtschaftliche Lohnentwicklung bzw. die Entwicklung der Arbeitskosten in 2015 und grundsätzlich belegen?
Für die Beantwortung der Fragen bedanke ich mich im Voraus.
Freundliche Grüße,
Florian Mahler
www.wirtschaftundgesellschaft.de
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