Dieses Medium hat die Radikalisierung der Politik nicht nur in Frankreich (Le Pen, Front National), sondern auch in Deutschland (AfD, PEGIDA) seit langem immer wieder in Beziehung zur Entwicklung und Situation am Arbeitsmarkt gesetzt. Hohe Arbeitslosigkeit, prekäre Beschäftigungsverhältnisse, zunehmender Existenzdruck und Verunsicherung auch in Deutschland, so die These, treiben immer mehr Menschen in die Arme radikaler Parteien und machen sie empfänglich für Ausgrenzung und Fremdenfeindlichkeit. Der Wahlerfolg der AfD bei allen drei heute stattgefundenen Landtagswahlen scheint diese These zu unterstreichen. So hält Jörg Schönenborn basierend auf den ersten Ergebnissen aus der Wahltagsbefragung für die Tagesschau in der ARD zur Wahl in Baden-Württemberg fest:
“Die AfD hat ihr stärkstes Profil bei Arbeitern und Arbeitslosen, dort kommt sie auf 25 bzw. 29 % und ist bei den Arbeitslosen sogar stärkste Partei. Das ist allerdings in Baden-Württemberg bekanntlich insgesamt eine eher kleine Gruppe.”
Wenn Schönborn von einer “eher kleinen Gruppe” der Arbeitslosen spricht, bezieht er sich wohl auf die vergleichsweise niedrige offizielle Arbeitslosenquote in Baden-Württemberg. Wenn er da mal nicht zu kurz springt. Zwar beträgt die offizielle Arbeitslosenquote in Baden-Württemberg nur vier Prozent. Aber auch hier standen im Februar 238.340 Arbeitslose (Arbeitsangebot) gerade einmal 86.026 offenen Stellen (Arbeitsnachfrage) gegenüber. Es gibt also rund drei mal so viele Arbeitslose wie offene Stellen. Wie viele Menschen stecken darüber hinaus auch in Baden-Württemberg in prekären Beschäftigungsverhältnissen, müssen ihr kärgliches Gehalt mit Hartz IV aufstocken, erhalten eine Rente, die kaum oder nicht zum Leben reicht oder müssen um ihren Arbeitsplatz fürchten?
Nicht minder deutlich fällt das Ergebnis für Sachsen-Anhalt aus:
“Hier hat die AfD nicht nur ihr bestes Ergebnis, sondern auch das ausgeprägt männlichste Profil. Bei Männern erreicht sie nach vorläufiger Berechnung 27 %, bei Frauen 18%. Unter Arbeitern ist sie mit 36 % und unter Arbeitslosen mit einem Anteil von ebenfalls 36 % die stärkste Kraft. Wie in den anderen Ländern auch wird die Flüchtlingspolitik als wichtigstes Motiv angegeben.”
In Rheinland-Pfalz, so Schönborn, hätte bei den AfD-Wählern die Flüchtlingspolitik ganz oben gestanden.
Wie wir aber in verschiedenen Beiträgen schon vor geraumer Zeit analysiert hatten, lässt sich die Haltung der Menschen zur Flüchtlingspolitik gar nicht von der Beeinflussung durch die Situation am Arbeitsmarkt trennen. Ängste und Verunsicherung in der Bevölkerung spielen hierbei eine wichtige Rolle.
Hierzu gehört – und das ist wohl die wichtigste Ursache für das Erstarken der AfD -, dass die etablierten Parteien die Entwicklung und Situation am Arbeitsmarkt auf fatale Art und Weise schönreden. Seit vielen Jahren. Mit tatkräftiger Unterstützung der etablierten Medien. Wir müssen das an dieser Stelle nicht weiter ausführen, weil wir es in vielen Analysen immer wieder untersucht und erläutert haben.
Zu diesem Bild passt auch die gestiegene Wahlbeteiligung, die wohl hauptsächlich, wenn nicht allein der Mobilisierung durch die AfD geschuldet sein dürfte. Immer mehr Menschen hatten sich in den Jahren zuvor von der Politik der etablierten Parteien abgewendet. Sie blieben den Wahlurnen fern, weil sie sich nicht länger von ihnen verstanden und vertreten fühlten. Zurecht! Ich erinnere nur an den in diesem Medium immer wieder zitierten Satz des SPD-Vorsitzenden und Vize-Kanzlers, Sigmar Gabriel: “Die SPD war niemals die Partei der Arbeitslosen.” Sie war es garantiert nicht mehr seit der Agenda 2010. Genauso wenig wie es CDU/CSU und FDP waren. Ja, auch nicht die Grünen, die aber traditionell mehrheitlich von einer anderen Wählerschicht getragen werden.
Die AfD aber hat viele Menschen dazu bewegt, wieder zu wählen. Und sei es nur, um “denen da oben” endlich einmal einen Denkzettel zu verpassen, sich Gehör zu verschaffen. Gabriel zum Beispiel, der sie als “Pack” und “Arschlöcher” abgekanzelt hat. Selbst wenn man die AfD-Wähler als solche sieht, weil sie sich von den niederen Motiven leiten lassen, an die die AfD appelliert, wer hat sie denn dazu gemacht? Es spricht viel dafür, dass Gabriel als einer von den “Königsmachern” der AfD angesehen werden kann. Ein Befürworter der Agenda 2010 und der Schuldenbremse, ein Hauptverantwortlicher für die soziale Spaltung in Deutschland, einer der größten Schönredner des deutschen Arbeitsmarktes.
Es sind Ignoranten wie Gabriel, der ja keine Minderheit im Deutschen Bundestag repräsentiert, sondern die parteiübergreifende Mehrheit, die erwarten lassen, dass auch aus dem Denkzettel dieses Wahltags nicht die richtigen Schlussfolgerungen gezogen werden. Gabriels jüngste Lippenbekenntnisse zu einer sozialeren Politik weisen schon darauf hin. Nicht nur AfD-Wähler werden ihm das nicht abnehmen, voraussichtlich niemand wird ihm das abnehmen. Es sei denn, er macht tatsächlich eine politische 180-Grad-Wende, distanziert sich von der Agenda 2010 und der Schuldenbremse, setzt auf eine expansive, auf Vollbeschäftigung zielende Wirtschaftspolitik. Wer aber glaubt schon an Wunder?
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