Das in der Regel kritischste und umsichtigste Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, auch Wirtschaftsweise genannt, Peter Bofinger, hat dem Deutschlandfunk ein Interview zur Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) und zur Rente in Deutschland gegeben, aus dem ein fragwürdiges Verständnis von beiden so zentralen wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Themenfeldern hervorgeht.
Bofingers problemtische Sicht auf die EZB
Bofinger meint bei aller Befürwortung der expansiven Geldpolitik der EZB:
“Aber ich glaube schon auch, dass mit dem Schritt, den er (Draghi, T.H.) gestern gemacht hat, er einfach einen Schritt zu weit gegangen ist. Er ist mittlerweile in einem Bereich, wo weitere Lockerungsmaßnahmen kaum stimulierende Effekte auf die Realwirtschaft ausüben, wo diese Maßnahmen aber einfach dazu führen, dass die Irritation in der Öffentlichkeit steigt und dass auch die Reputation der Europäischen Zentralbank in Deutschland in Gefahr gerät.”
Dem ist, was die Wirkungslosigkeit zusätzlicher geldpolitischer Lockerungsmaßnahmen anbelangt, Recht zu geben. Unsere Analysen zur Liquiditätsversorgung durch die EZB haben gezeigt, dass die Liquiditätsversorgung durch die EZB mehr als angemessen ist, sie den Akteuren also mehr als genug Liquidität zur Verfügung stellt. Das Problem eines nicht angemessenen Kreditwachstums besteht indes fort. Es spricht alles dafür, dass es die fehlende Nachfrage nach Krediten ist und die fehlende Bereitwilligkeit der Banken, Kredite zu vergeben, die das Kreditwachstum hemmen und damit den wirtschaftlichen Aufschwung. Beides ist dem Vorrang geschuldet, dem die EZB, die EU-Kommission und allen voran die deutsche Bundesregierung den so genannten strukturellen Faktoren gegenüber den konjunkturellen Faktoren einräumen, konkret: die Staatsausgaben zu senken und Druck auf die Löhne auszuüben. Beides muss dem Wirtschaftswachstum schaden. Ein schwaches oder sogar negatives Wirtschaftswachstum geht zu Lasten der Kreditnachfrage und -vergabe. Indem die EZB diese wirtschaftspolitische Linie seit Jahren bis zuletzt gebetsmühlenartig bei jeder Pressekonferenz zu den geldpolitischen Entscheidungen vertritt, konterkariert sie ihre eigene, für sich genommen angemessene Geldpolitik. Wir haben darauf seit langem und immer wieder hingewiesen. Dass Bofinger dies ausblendet, ist äußerst kritisch zu sehen.
Da hilft es auch nichts, wenn er mit Blick auf Griechenland relativierend einräumt: “Denn Sparen allein kann nicht die Lösung sein.” Sparen, also weniger ausgeben, als einnehmen, kann in der Krise nie die Lösung sein. Es führen vielmehr nur Ausgabenüberschüsse, das Gegenteil von Sparen also, aus der Krise, weil durch sie mehr Nachfrage entsteht, an der es der Wirtschaft in der derzeitigen Krise mangelt. Durch sie würden Unternehmen mehr und nicht weniger Aufträge erhalten, die Kapazitäten würden wieder besser ausgelastet und gegebenenfalls erweitert, mehr Arbeitskräfte nachgefragt, die Menschen erhielten wieder eine Perspektive auf eine existenzsichernde, dauerhafte Beschäftigung.
Vor demselben Hintergrund ist Bofingers positive Bewertung des Sachverhalts, dass die Geldpolitik der EZB ja den Euro geschwächt, er sich also gegenüber anderen Währungen wie dem US-Dollar verbilligt hat, problematisch. Läuft dies doch darauf hinaus, dass sich die Europäische Währungsunion (EWU) auf die Wachstumskräfte anderer Länder verlässt, während die EWU mit dem heimischen Sparen, dem Bilden von Einnahmeüberschüssen, und Lohnsenkungen, eine Politik, die auch als Austerität bekannt geworden ist, die eigenen Wachstumskräfte schwächt und darüber die Arbeitslosigkeit in die Höhe treibt bzw. sie dann über eine schwächere Währung versucht zu “exportieren”.
Bofingers problematische Sicht auf die Rente
Nicht minder problematisch ist Bofingers Sicht auf die Rente in Deutschland. Bofinger nimmt es als gegeben hin, dass “die gesetzliche Rente immer weniger bringt.” Das aber war und ist eine Frage der Gesetzgebung – nicht, wie allgemein behauptet, der Demographie. Die gesetzliche Rente ist in den vergangenen Jahren kaputt gespart worden, zugunsten der privaten “Vorsorge”, die aber natürlich am Ende auch nur eine “Umlagefinanzierung” ist. Gerade die jüngere Entwicklung offenbart einmal mehr, dass private Altersvorsorge keine Alternative zur gesetzlichen Rente ist. Die private Altersvorsorge, wie Bofinger vorschlägt, nun auch noch mehr zu fördern, was ohnehin an vielen Millionen, die sich das nicht leisten können, vorbeigeht, halte ich für einen fatalen Vorschlag. Meines Erachtens müsste vielmehr die gesetzliche Rente wieder auf eine solide Grundlage gestellt werden. Wir haben bereits vor Jahren aufgezeigt, dass dies vergleichbaren Ländern, wie dem Nachbarn Österreich zum Beispiel, vergleichsweise gut gelingt.
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