Eurokrise: EZB adressierte nach eigenen Angaben ein Kernproblem erst sehr spät

Das Direktoriumsmitglied der Europäischen Zentralbank (EZB), Peter Praet, hat der portugiesischen Tageszeitung Público ein interessantes Interview gegeben. Demnach hat die EZB ein Kernproblem der Krisenpolitik erst sehr spät adressiert. Tatsächlich handelt sie bis heute nicht konsequent.

Das Problem der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage

Auf die Frage, ob die EZB nicht zu spät auf die Krise reagiert habe, antwortet Praet:

“Aber in 2014, die Erholung zeigte erneute Anzeichen einer Abschwächung, mit einer mit zunehmender Geschwindigkeit fallenden Inflationsrate, die die Stabilität der Inflationserwartungen gefährdete. Das war der Zeitpunkt, wo wir wirklich begonnen haben, das Problem der aggregierten Nachfrage in der gesamten Währungsunion zu adressieren.” (But in 2014, the recovery was showing renewed signs of weakening, with an acceleration in the pace of disinflation which was threatening the stability of inflation expectations. That’s when we really started to address the problem of aggregate demand in the whole union.)

Praet spricht dabei die Lohnbildung in einigen Ländern als ursächlich an und kann damit wohl nur die teils dramatischen Lohnsenkungen und auch die nicht verteilungsneutrale Lohnentwicklung meinen (We have seen in some countries some signs of de-anchoring in wage formation.)

Tatsächlich aber adressiert die EZB das Problem der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage bis heute nicht konsequent. Das zeigen nicht nur die regelmäßigen Pressemitteilungen des EZB-Präsidenten, sondern auch Preat im selben Interview. Angesprochen darauf, ob die EZB durch das Handeln von Regierungen eingeschränkt würde, antwortet Praet:

“…Gleichzeitig warnen wir andere politischer Entscheider, dass Geldpolitik nicht die Probleme strukturell niedrigen Wachstums und der Arbeitslosigkeit lösen wird…” (At the same time you also warn other policymakers that monetary policy will not solve the problems of low structural growth and unemployment.)

Indem Praet das niedrige Wachstum aber weiterhin “strukturell” begründet, zeigt er, dass die EZB das Problem der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage immer noch nicht konsequent adressiert. Denn es waren ja gerade die “strukturellen” Maßnahmen (Austerität: staatliche Ausgabenkürzungen, Lohnsenkungen, Beseitigung von Arbeitnehmerrechten), die das Wachstum belastet haben und es weiterhin tun. Auch die Arbeitslosigkeit wird von der EZB – wie die Pressestatements von Draghi bis zuletzt belegen (1) – immer noch als “strukturell” begriffen, nicht aber als Ausdruck des geringen Wirtschaftswachstum als Konsequenz der Austerität.

Damit aber steht die EZB – wie wir es seit langem thematisieren – mit ihrem Wirtschaftsverständnis und den daraus folgenden wirtschaftspolitischen Empfehlungen weiter ihrer für sich genommen richtigen, weil in der Krise expansiv, die Konjunktur stützend ausgerichteten Geldpolitik selbst im Weg.

Die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse 

Und noch etwas ist interessant in dem Interview mit Preat. Er problematisiert offen die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse und stellt sie in direkten Zusammenhang mit dem Problem der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage.

“Es ist wichtig zu sagen, dass wir bei all den Anpassungen, die wir hatten, die Europäische Währungsunion als Ganzes genommen, einen Druck auf die Nachfrage hatten, weil die Anpassungen sehr stark waren in den Krisenländern, aber wir hatten keinen Ausgleich dafür von den Überschussländern was die Ausweitung der Inlandsnachfrage betrifft. In Deutschland, zum Beispiel, hat sich das Bruttoinlandsprodukt sehr gut entwickelt während der Krise, aber die Inlandsnachfrage war relativ schwach. Am Ende des Tages betrug der Leistungsbilanzüberschuss der Europäischen Währungsunion vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts, was sehr viel ist, mit Deutschland, das einen Leistungsbilanzüberschuss von fast neun Prozent realisierte. Es gibt einen Überschuss an Ersparnissen. Vor der Krise hatten wir Leistungsbilanzsalden zwischen minus ein Prozent und plus ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Es ist ein Ungleichgewicht, das schwer zu beseitigen ist.” (It is important to say that in all the adjustments that we had, looking at the union as a whole, you had a compression of demand, because this was very strong in the crisis countries, but you didn’t have compensation from the surplus countries in terms of expansion of domestic demand. In Germany, for example, GDP did very well throughout the crisis, but domestic demand was relatively weak. At the end of the day, the current account surplus that we will have in EMU is 4% of GDP, which is huge, with Germany having almost 9%. There’s an excess of savings. Before the crisis we had a current account range of -1% to 1% of GDP. It’s an imbalance that is difficult to resolve.)

Praet wird noch deutlicher, als der portugiesische Journalist in dieser Sache nachhakt (2). Die EZB könnte dieses Verständnis in den Fokus rücken, um der Nachfrageschwäche und der damit verbundenen Wachstumsschwäche und hohen Arbeitslosigkeit inhaltlich zu Leibe zu rücken. Solange sie aber ihren wirtschaftspolitischen Fokus auf Austerität und “struktrelle” Arbeitslosigkeit legt, wird sie damit kaum durchdringen. Aber immerhin, das Problem der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage und der deutschen Leistungsbilanzüberschüsse werden von der EZB sogar öffentlich und in aller Klarheit thematisiert. Vielleicht doch ein Anfang.

(1) So Draghi auf seiner letzten Pressekonferenz: “Die Strukturpolitik ist angesichts der anhaltend hohen strukturellen Arbeitslosigkeit und des geringen Wachstums des Produktionspotenzials im Eurogebiet von entscheidender Bedeutung.”

(2)

The ECB has often made recommendations to and expressed criticism of deficit countries, such as Portugal and others. Is it fair to say that the ECB has not been so vocal in criticising or recommending policies to countries that have surpluses?

It’s a very good point. We had to go through a balance of payments crisis in the deficit countries because money was flowing out and we don’t have a good adjustment mechanism in the EMU for asymmetric shocks. And the question in those countries was a big loss in competitiveness. There were structural reforms in those countries. At the same time, when those countries were hit by asymmetric shocks, there was no compensation by other countries. It is a problem that is quite difficult to solve, but it is a fact that EMU hasn’t functioned very well in this respect. One worry is that the fundamental reflection about how to make EMU work better is not advancing sufficiently. Not all is negative, of course. We have managed to set up better mechanisms to deal with sovereign debt crises, but you are still in an unclear position when dealing with issues of sovereign debt. And we have banking union, we are especially advanced in terms of supervision, but we have not finished it.


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