Wir haben den Brexit in Wirtschaft und Gesellschaft – Analyse & Meinung (WuG) aus verschiedenen Warten diskutiert. Im Mittelpunkt stand dabei der Wechselkurs, aber auch der politische und mediale Umgang mit dem Brexit in Deutschland. Jetzt hat die neue Premierministerin Theresa May die ersten Minister ernannt – und lässt vor allem die deutschen Leitmedien dumm dastehen.
Letztere haben bis dahin nämlich nicht viel mehr geleistet, als einen Boris Johnson als Idioten, Populisten, Hasardeur darzustellen. Eine eindeutige Parallele zu ihrem Umgang mit dem konservativen Präsidentschaftskandidaten Trump oder dem Demokraten Sanders. Analyse, Fehlanzeige. Die eigentlichen Idioten, Populisten und Hasadeure sitzen dann auch in den Redaktionsstuben jener Medien. Leider sitzen sie auch in einigen Redaktionsstuben sich als alternativ oder links begreifender Blogs und Online-Magazine, die nicht selten genauso – wenn auch, zum Glück, muss man fast sagen, mit weniger Reichweite als die Leitmedien – Stimmung machen, nicht aber Analyse und darauf basierende Meinung.
Plötzlich ist Boris Johnson nun Außenminister Großbritanniens. Ernannt von der politisch erfahrenen neuen Premierministerin. Sie hat mit ihrer ersten Auswahl an Ministern nicht nur ein Signal in Richtung EU gesendet, sondern auch in die eigene Partei. In Richtung EU heißt ihr Signal Abschied nehmen und gleichzeitig Einigung erzielen. In Richtung der zerrissenen Partei heißt ihr Signal Überwindung der tiefen Gräben, die nicht zuletzt der Brexit offenbart hat, und wiederum Einigung erzielen. Ein meines Erachtens professioneller politischer Aufschlag.
Wie sollen sich die deutschen Leitmedien und die Politik dazu verhalten? Aus den Nachrichten des Deutschlandfunks heute früh geht hervor, dass führende Politiker ihren Ton gegenüber Johnson und damit auch der britischen Regierung beibehalten. Der Deutschlandfunk aber rudert eventuell bereits zurück. Plötzlich hören wir, dass Johnson mehrere Sprachen spricht und andere Eigenschaften, Verhandlungsgeschick beispielsweise, besitzen soll, die ihn für seinen neuen Job qualifizieren könnten. Ob er als Außenminister auf Krawall gebürstet sein wird, ist völlig offen. Was, übrigens, ist Schäuble seit Jahren: ist er etwa nicht auf Krawall gebürstet? Natürlich ist er das. Aber die deutschen Medien haben sich seinem Dogma mehrheitlich unterworfen. Hätten sie ihn doch einmal so angegriffen, wie sie es mit ausländischen Politikern zu tun pflegen.
Die lange politische Tradition, die die englische Politik in der demokratisch-parlamentarischen Auseinandersetzung kennt, spricht dafür, dass der bisherige Umgang deutscher Medien und Politik mit dem Brexit die Stärke Großbritanniens völlig unterschätzt, weil er sich auf eine Personifizierung bestimmter Charaktere versteift hat, die nicht einmal diesen gerecht wird, geschweige denn der britischen Politik – und den Auswirkungen des Brexit auf Deutschland und die EU und das weltpolitische und -wirtschaftliche Gefüge.
Vieles spricht dafür, dass Deutschland ein weiteres Mal in seiner Geschichte zu spät aufwachen wird, seine Politiker vor Kraft nicht laufen können, anstatt verantwortungsvolle, an der Sache orientierte Politik zu machen. Für die Menschen, für Europa, für den Frieden. Zu einer solchen Politik gehört immer auch das Hinterfragen der eigenen Politik und ihren Auswirkungen. Davon ist die Bundesregierung aber weit entfernt. Die deutschen Leitmedien sind es auch.
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