23 Prozent der deutschsprachigen Bevölkerung zwischen 30 und 59 Jahren stufen ihre eigene Lebensqualität als “weniger gut” oder “gar nicht gut” ein. Das ist ein Ergebnis der gestern veröffentlichten, im Auftrag des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft erstellten Umfrage “Generation Mitte 2016″ des Instituts für Demoskopie Allensbach (1). 2015 waren es bereits 22 Prozent, die ihre eigene Lebensqualität so beurteilten. Zwanzig Prozent schätzten ihre eigene wirtschaftliche Lage im Vergleich mit der vor fünf Jahren schlechter ein. Ihre soziale Stellung im Vergleich zu der ihrer Eltern schätzten insgesamt zehn Prozent schlechter ein. Darunter besonders viele, zwanzig Prozent, mit “niedrigem soziökonomischen Status”, also aus ärmeren Elternhaus, und dreizehn Prozent mit Migrationshintergrund. Die Lebensqualität in Deutschland ganz allgemein schätzten 14 Prozent als “weniger gut” oder “gar nicht gut” ein; ein Jahr zuvor waren es nur sechs Prozent, die die Lage “weniger gut” einschätzten” und niemand, der sie “gar nicht gut” einschätzte. 32 Prozent sind der Auffassung, “die Lebensqualität in Deutschland sei in den letzten fünf Jahren gesunken, nur 12 Prozent sehen eine Verbesserung”. An der Spitze der Gefahren in den nächsten zehn Jahren für die Entwicklung in Deutschland steht, “dass die Unterschiede zwischen Arm und Reich größer werden”. Ebenfalls 68 Prozent sehen “steigende Fremdenfeindlichkeit” als Gefahr, 65 Prozent “terroristische Anschläge”, 64 Prozent “die vielen Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen”. 60 Prozent sorgen sich, dass sie ihren Lebensstandard im Alter nicht halten können, 44 Prozent, dass ihr Einkommen in den nächsten Jahren nicht ausreichen könnte, 29 Prozent, dass sie arbeitslos werden. Ein Jahr zuvor waren dies respektive noch 54 Prozent, 39 Prozent und 24 Prozent. Das ist zugegeben, die Sicht aus dem Blickwinkel des Glases, das halb leer ist. Man kann die Ergebnisse auch aus dem Blickwinkel des halbvollen Glases betrachten. Das tut das Allensbach-Institut selbst, wenn es die Ergebnisse überschreibt mit:
“Mehr Wohlstandsgewinner” oder “Stabil hohe Zufriedenheit mit der eigenen Lebensqualität” oder “Gutes, aber tendenziell schwächeres Urteil über die Lebensqualität in Deutschland insgesamt”. Man kann, wie es das Allensbach-Institut ebenfalls unternimmt – oder hat es der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft getan und damit der Studie einen “Dreh” im Interesse der Versicherungswirtschaft gegeben? -, Risiken für das Land mit einem roten Pfeil hervorheben, obwohl diese in der Bevölkerung ganz weit unten rangieren, wie “die niedrigen Zinsen” und “der Fachkräftemangel in einigen Branchen”. Noch ein Beispiel: Das Ergebnis, “64 Prozent halten die Einkommens- und Vermögensverteilung für nicht gerecht” ist mit “Wachsende Differenzierung” überschrieben.
Nehmen wir schließlich noch einmal den Blickwinkel aus dem halbleeren Glas ein: Ganz oben bei den Antworten auf die Frage, “Was von der Liste hier entspricht Ihren Vorstellungen von ´sozialer Gerechtigkeit´?” steht: “Dass man von dem Lohn für seine Arbeit auch leben kann.” Und: Nur 14 Prozent sehen dies in Deutschland als erfüllt an. Das ist das Ergebnis einer Umfrage, die nur eine Teilmenge der Gesellschaft erfasst. Viele Jüngere, die jetzt erst in diese Arbeitswelt eintreten, dürften die Risiken noch viel stärker zu spüren bekommen.
Einige Medien aber betrachten das Glas lieber als halbvoll. So heißt es beispielsweise auf Spiegel online: “Mir geht es gut – aber Deutschland ist ungerecht”. Und sie konstruieren einen merkwürdig anmutenden Widerspruch: “Die sogenannte Generation Mitte findet, dass Vermögen und Einkommen in Deutschland unfair verteilt sind. Höhere Steuern für Reiche und mehr Geld für Arme lehnt sie aber ab. Was denn nun?” Schaut man in die Umfrage-Ergebnisse, sind die Menschen aber nur dagegen, dass “die gesetzliche Rente über höhere Steuern finanziert werden” soll. Das ist aber keine Ablehnung höherer Steuern, sondern entspricht dem System der gesetzlichen Rente, die nicht über Steuern, sondern über Umlagefinanzierung mittels Sozialversicherungsbeiträgen finanziert wird. Dazu passt, dass die Forderung, “Alle Berufsgruppen sollten in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen”, ganz oben steht bei der Beantwortung der Frage: “Was halten Sie für besonders wichtig, um die Altersvorsorge mittel- und langfristig zu sichern?”. 71 Prozent sehen “Steuerschlupflöcher abschaffen” als “politische Option für mehr Gerechtigkeit”. Das wäre für die Betroffenen ganz gewiss eine Steuererhöhung. 72 Prozent “Gleiche Bezahlung für gleiche Leistung durchsetzen”. Auch das könnte durch höhere Steuern (Abschaffung des so genannten Mittelstandsbauchs, niedrigere Eingangssteuersätze, höhere Spitzensteuersätze) und Abgaben für Besserverdienende (Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze, Absenkung der Mindestbeitragsbemessungsgrenze für Selbständige) erreicht werden. 47 Prozent sehen es als politische Option für mehr Gerechtigkeit eine Vermögenssteuer einzuführen, 37 Prozent den Spitzensteuersatz zu erhöhen. Spiegel online aber suggeriert: “Denn offenbar verstehen viele Angehörige der sogenannten Generation Mitte unter sozialer Gerechtigkeit und dem Weg dorthin etwas anderes als die Linke und die linken Flügel von SPD und Grünen. Deren klassisches Rezept lautet: Nehmt den Reichen und gebt es den Armen. Doch das ist für die Befragten offenbar nicht das Mittel der Wahl für eine gerechtere Gesellschaft.”
Und fährt fort: “Dabei schätzt eine deutliche Mehrheit von 75 Prozent der Befragten die eigene Lebensqualität als positiv ein.”
25 Prozent Abgehängte aber sind viel zu viele – für eine Demokratie jedenfalls. Das zeigen nicht zuletzt die jüngsten Wahlergebnisse. Viele Medien und die Politik scheinen sich aber dieser Ausgangslage, die sie selbst geschaffen haben, nicht bewusst zu sein oder sie bewusst zu ignorieren. Damit aber machen sie erst Parteien wie die AfD und Bewegungen wie PEGIDA möglich. Es hilft aber nichts über deren Ergebnisse zu schimpfen und gegen sie zu moralisieren, wenn man sich nicht der Voraussetzungen für ihren Erfolg vergewissert.
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(1) Alle Angaben entnommen aus der vollständigen Präsentation der Umfrage-Ergebnisse.
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