Liane Bednarz “AfD-Expertin”? Ganz sicher nicht!

Liane Bednarz und Farhad Dilmaghani haben in einem Gastbeitrag für Spiegel online ein ganz trauriges Beispiel dafür geliefert, dass nicht nur die herrschende Politik, sondern auch Publizisten und Demokratiefreunde aller Couleur dem Erfolg der AfD nicht auf den Grund gehen, sondern sich stattdessen mit selbstgefälligen, oberflächlichen Appellen begnügen. Spiegel online setzt dem Ganzen noch die Krone auf, wenn es Liane Bednarz als “AfD-Expertin” vorstellt. Wenn Bednarz aber eines mit ihrem Artikel zeigt, dann, dass sie keine AfD-Expertin ist. Eine Expertin sollte doch wenigstens versuchen, dem Gegenstand, den sie untersucht, auf den Grund zu gehen. Das tut Bednarz aber an keiner Stelle. Sie macht sich damit – an ihrem eigenen Anspruch gemessen – mitverantwortlich für die AfD. “Denn auch wer nichts tut, ist verantwortlich”, mahnt Bednarz. Sie aber tut, gemessen an ihrer Aufgabe als Publizistin und der ihr von Spiegel online zugeschriebenen Rolle als AfD-Expertin, nichts. Ihr größter Fehler: Sie klammert sich an eine Wirklichkeit, die es nicht gibt.

Bednarz appelliert, sie analysiert nicht, wenn sie fordert:

“Zu sehr wurden das Grundgesetz und seine freiheitlichen Werte als etwas Selbstverständliches angesehen. Die AfD ist kein Spuk, der über Nacht verschwinden wird. Das lehrt Europa. Es ist an der Zeit, gemeinsam, ob Konservative oder Progressive, autochthone Deutsche oder neue Deutsche, Ausländer oder Inländer, gemeinsam für unsere pluralistische Demokratie einzustehen. In den Medien, den sozialen Netzwerken, der Nachbarschaft, bei gemeinsamen Demonstrationen. Das einigende Band ist die Menschenwürde. Sie ist unantastbar. Staatsräson und Imperativ für politisches Denken und Handeln. Geschenk und zugleich Verantwortung gegenüber unserer deutschen Geschichte.”

Ist sie das, unantastbar, die Menschenwürde? Ist Hartz IV mit der Menschenwürde vereinbar? Ist es mit der Menschenwürde vereinbar, dass die Arbeitslosenquote mit rund sechs Prozent doppelt so hoch liegt, wie der Wert, den angesehene Ökonomen, wie das ehemalige Mitglied des Sachverständigenrats, Claus Köhler, als Vollbeschäftigung definieren: eine Arbeitslosenquote von drei Prozent? Ist es mit der Menschenwürde vereinbar, dass Millionen Menschen prekär beschäftigt sind und, um ihr Dasein fristen zu können, “aufstocken” müssen? Ist es mit der Menschenwürde vereinbar, dass mehr und mehr Rentner in die Armut rutschen? Ist es mit der Menschenwürde vereinbar, dass so viele Kinder in Armut aufwachsen und die soziale Durchlässigkeit des Bildungssystems so mies ist? Ist es mit der Menschenwürde vereinbar, dass zehntausende Schüler jedes Jahr die Schule ohne Abschluss verlassen, dass die soziale und materielle Infrastruktur seit Jahren zerfällt, was vor allem zulasten derer geht, die arm sind? Ist es mit der Menschenwürde vereinbar, dass ein Mindestlohn gesetzlich verankert wird, der erwiesener Maßen nicht zur Deckung der Existenz reicht? Alles Realität in Deutschland. Wenn die Menschenwürde aber so schwerwiegend angetastet wird, kann sie wohl kaum als “einigendes Band” dienen.

Bednarz bezeichnet sich selbst als ““. Was aber ist daran liberal, also freiheitsliebend, wenn so viele Menschen ihrer Freiheit und Chancen beraubt sind? Was ist daran konservativ, wenn so viele Werte von der Politik nicht konserviert, also erhalten, sondern in ihr Gegenteil verkehrt werden?

Wir haben in unseren Analysen immer wieder untersucht, wie sehr der Erfolg der AfD in der Arbeitslosigkeit wurzelt (siehe zuletzt hier). Das gilt auch für Le Pen in Frankreich. Flüchtlinge sind nur das Ventil für soziale Ängste und Perspektivlosigkeit und die durchaus berechtigte Sorge, von der Politik nicht ernst genomen zu werden. Die AfD würde es bei Vollbeschäftigung nicht geben (siehe hierzu auch ebenda). In Gegenden mit Vollbeschäftigung erzielte die AfD zuletzt rund ein Prozent. In Gegenden mit sehr hoher Arbeitslosigkeit schneidet sie häufig zweistellig ab. Hierin liegt auch die Parallele zur deutschen Geschichte. Die kann Bednarz aufgrund ihrer fehlenden Analyse aber nicht ziehen, sondern begnügt sich stattdessen mit hilflosen Appellen, wenn sie schreibt:

“Der Plan der AfD ist augenfällig. Sie reklamiert demokratische Rechte für sich, um auf legalem Weg an die Macht zu kommen. Was dann kommen wird, hat Markus Frohnmaier, Pressesprecher Frauke Petrys, bereits klar gesagt: ´Wenn wir kommen, dann wird aufgeräumt, dann wird ausgemistet, dann wird wieder Politik für das Volk und nur für das Volk gemacht – denn wir sind das Volk.´

Wer ein solches Szenario nicht will, muss handeln. Denn auch wer nichts tut, ist verantwortlich. Ganz im Sinne der hegelschen Sittlichkeit muss ein jeder selbst darauf hinwirken, die ´Idee der Freiheit als das lebendige Gute´ zu verteidigen. Es ist höchste Zeit: für ein Deutschland der ´Einheit in Vielfalt´ und für eine Gesellschaft ohne Ressentiments und Rassismus.”

Der Journalist Rolf Winter erzählt in seiner Autobiographie, “Hitler kam aus der Dankwartsgrube”, die er seiner Mutter widmet, “die es nicht besser wusste”, wie er schreibt, wie er, noch Kind, sie zu einer Nachbarin sagen hörte – ich zitiere aus dem Gedächtnis: dass endlich einmal jemand kommt, der alles kurz und klein schlägt. Sie sprach von Hitler. Und Rolf Winter schrieb von einem ehemaligen Arbeiterviertel in Lübeck, das irgendwann schließlich auch Hitler wählte (siehe hierzu auch unser Interview mit dem Bundesrichter a.D. Wolfgang Neskovic hier). Die Not und Perspektivlosigkeit müssen offensichtlich nur groß und weitverbreitet genug sein. Die Zustände damals sind in ihrer konkreten Form sicherlich nicht vergleichbar, aber in ihrer Ursächlichkeit wohl. Vergleichbar ist aber auch die Art und Weise, wie Bednarz und andere sich des Themas annehmen, wie sie die dahinter stehende Problematik so konsequent ausblenden. Sie machen sich damit, um hier auch einmal moralisch zu werden, mitschuldig.


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