Dafür, dass die Entstehung des Krieges in Syrien und dessen Andauern bis heute nicht allein aus der eigenen Entwicklung des Landes resultieren, spricht schon die schiere Dimension des Krieges. Aus Demonstrationen, werden sie auch noch so brutal von einer Regierung niedergeschlagen, entsteht nicht einfach so ein Krieg, erst recht nicht diesen Ausmaßes. Im Gegenteil. Eine sich als allmächtig und allein legitim begreifende Regierung versucht mit allen Mitteln jede Opposition zu verhindern, die ihr gefährlich werden könnte, und, sollte sie doch einmal offen ausbrechen, sie im Keim zu ersticken. Wir kennen das aus der noch jüngeren Entwicklungsgeschichte Chinas. Stichwort: Tian´anmen Platz. Auch der so genannte “arabische Frühling” hat, wie beispielsweise in Tunesien, ähnliche Reaktionen der Staatsgewalt hervorgerufen. In Tunesien hat sich der Staat als zu schwach erwiesen und ist gefallen. Heute aber wird Tunesien wieder diktatorisch regiert. Solche Umbrüche von der “Revolution” zur “Reaktion” kennen wir im übrigen in der historischen Betrachtung seit langem. Man denke nur an die Französische Revolution und die Reaktion danach. Wie unterschiedlich jene jüngeren Entwicklungen auch verlaufen sein mögen, so sehr eint sie doch, dass von innen heraus keine Kriege entstanden sind, die der Dimension in Syrien auch nur annährend vergleichbar wären. Anders in anderen Staaten, wie beispielsweise in Libyen oder im Irak oder auch in Afghanistan. Dort wurde versucht, von außen die Machtstrukturen umzuwälzen. Die Rechtfertigung der westlichen Welt lautete dabei noch immer, jenen Ländern die Demokratie bringen zu wollen. Selbst, wenn dies aufrichtig gemeint wäre, sind diese Versuche doch regelmäßig gescheitert. Sie zeugen von einer schlimmen Geschichtsvergessenheit, historischer Unwissenheit, und belegen nicht zuletzt wohl auch ein Machtstreben und eine moralische Überheblichkeit, die angesichts der eigenen historischen wie gegenwärtigen Entwicklung unserer Länder, die selbst noch eine vergleichsweise junge Demokratiegeschichte haben, erschreckend und völlig unangebracht ist. Was nun letzteres Phänomen anbelangt, spielen die Medien eine ebenso maßgebliche wie verheerende Rolle. Ein jüngeres Beispiel dafür lieferte der öffentlich-rechtliche Deutschlandfunk. Es steht geradezu exemplarisch für die im besten Fall naive Einseitigkeit und Oberflächlichkeit, die in führenden Medienhäusern gang und gäbe geworden zu sein scheint – und sie zur Kriegspartei macht.
Innerhalb von vier Tagen hat der Deutschlandfunk gleich zweimal den Sprecher des Syrischen Nationalrats in Deutschland, Sadiqu Al-Mousllie, interviewt (siehe hier am 5. Oktober 2016 und hier am 8. Oktober 2016). Das allein wäre weniger dramatisch, wenn die Moderatorinnen, Christine Heuer und Bettina Klein, Al-Mousllie, die Rolle des Syrischen Nationalrats und die der schwer überschaubaren Opposition sowie der “Freien Syrischen Armee” wenigstens einleitend problematisiert oder Al-Mousllie damit gar entsprechend in den Interviews konfrontiert hätten. So aber macht sich der Deutschlandfunk zur Kriegspartei – und steht damit in der deutschen wie internationalen Medienlandschaft leider nicht allein, sondern bildet eine Mehrheit, deren Meinungshoheit kaum der den Medien zugedachten Rolle der “vierten Gewalt” gerecht wird. Dabei ist der Syrische Nationalrat für sich genommen eine sehr fragwürdige Organisation, wie beispielsweise aus einem Dokument der Bundeszentrale für Politische Bildung aus dem Jahr 2013 hervorgeht. Anders als dort und in anderen Quellen scheint es dem Deutschlandfunk und anderen Medien aber eben gerade darum nicht zu gehen: um politische Bildung.
Dort ist unter anderem über den Syrischen Nationalrat zu lesen:
“Der despotische, autoritäre Charakter der Assad-Herrschaft, dem die syrische Bevölkerung mehr als 40 Jahre lang unterlag, wiederholt sich mitunter auch in den Reihen der Opposition, die teilweise Formen diktatorischer Herrschaft sowohl in ihrem Handeln gegenüber dem Regime als auch untereinander zeigt. So war beispielsweise für andere oppositionelle Gruppen eine Zusammenarbeit mit dem Syrischen Nationalrat nur möglich, wenn sie unter seinem Schirm beziehungsweise im Sinne der dominierenden Strömung innerhalb des Nationalrats handelten und nicht zu eigenständig auftraten.
…
Der Syrische Nationalrat (SNC), gegründet am 23. August 2011 in Istanbul, ist ein Oppositionsbündnis, das aus Exilsyrern, Unabhängigen und weiteren unterschiedlichen oppositionellen Strömungen wie Muslimbrüdern, Liberalen und Linken besteht. Starken Einfluss hat jedoch die syrische Muslimbruderschaft, die von Golfstaaten wie Katar und Saudi-Arabien, aber auch von der Türkei unterstützt wird. Mehr als die Hälfte der Mitglieder des SNC soll aus Islamisten bestehen.
Der SNC unterstützt die Bewaffnung der Opposition und fordert eine militärische Intervention der internationalen Staatengemeinschaft. Im Dezember 2011 hatte der SNC zwar mit dem Nationalen Koordinationskomitee für Demokratischen Wandel, einer anderen Oppositionskoalition, ein Abkommen für die Übergangszeit unterzeichnet, in dem die “Gründung eines bürgerlich-demokratischen Staates” und die Ablehnung militärischer Interventionen vereinbart wurden, nahm diese Unterzeichnung jedoch einen Tag später auf Druck der Muslimbruderschaft und ausländischer Akteure zurück.”
Und noch etwas steht dort geschrieben, was für das Scheitern aller bisherigen Friedensbemühungen mit verantwortlich sein dürfte und die Rolle des Syrischen Nationalrats (SNC) als Kriegspartei, die sich nicht weniger kompromisslos gibt, als derjenige, den sie zu bekämpfen vorgibt, die syrische Regierung also, hervorhebt:
“Verhandlungen mit dem Assad-Regime hält der SNC für ausgeschlossen.”
Geschrieben hat diesen Beitrag Huda Zein. Die promovierte deutsch-syrische Soziologin arbeitet an der Universität zu Köln im Orientalischen Seminar. Diese Wissenschaftlerin wurde nach der aktuellen Übersicht des Deutschlandfunks einmal interviewt – im Jahr 2012. Ihre Forschungsschwerpunkte: Individualisierungsprozesse in arabischen Gegenwartsgesellschaften, Identitätsdebatten in der arabischen Welt, Geschlechterverhältnisse im Spannungsfeld von Staat und Nation.
Ein Fazit von ihr aus dem Jahr 2013:
“Der Großteil oppositioneller Gruppen verfällt den Machtspielen und Selbstbehauptungen innerhalb der Machtverhältnisse, die sich auch durch die Einmischung konkurrierender ausländischer Akteure verschieben: Wer vertritt das Volk? Wer unterstützt welche bewaffneten Gruppen? Wer hat mehr Einfluss auf die Geschehnisse?
…
Durch die enorme Aufsplitterung der Opposition und die Unfähigkeit der großen Organisationen wie NCC und SNC, eine identitätsstiftende politische Zukunftsvision zu entwickeln, erlebt Syrien eine Phase, in der die Revolution ihre Kinder frisst und der Krieg die Gesellschaft spaltet. Das Schaffen eines einheitlichen und säkularen Staates mit gleichen Rechten für alle Bürger als Voraussetzung für einen friedlichen Wiederaufbau des Landes und die dringlichen humanitären Hilfen für die Bevölkerung werden zur größten Herausforderung eines “freien” Syriens nach dem Fall des Assad-Regimes.”
Das ist das Ergebnis einer kurzen Recherche von mir; sollte dies einem gut ausgebildeten und gut bezahlten Journalisten im Deutschlandfunk, der seine Interviewpartner selbst auswählen darf, etwa nicht möglich sein, bzw. sollte er es nicht als seine ureigenste Aufgabe begreifen, sich entsprechend zu informieren, darüber zu berichten und für ein ausgewogenes, möglichst breites Blickfeld zu sorgen, das schließlich einen eben solchen Meinungsbildungsprozess der Zuhörer und Leser ermöglicht?
Genau daran mangelt es offensichtlich dem Deutschlandfunk – leider nicht nur bei diesem Themenkomplex und leider nicht nur dem Deutschlandfunk.
Das hier geschriebene richtet sich also keineswegs dagegen, den deutschen Sprecher des SNC zu interviewen. Im Gegenteil. Es richtet sich dagegen, dass der Deutschlandfunk nicht angemessen über diese Kriegspartei aufklärt, ihn entsprechend vorstellt und hinterfragt und Stimmen, die dies tun, nicht oder nur vergleichsweise sehr selten zu Wort kommen lässt. Es ist diese Form des Journalismus, die sich seit langem in tonangebenden deutschen Medien eingebürgert hat, die hoffähig geworden ist und die dringend revolutioniert werden müsste, auch, um der wiederum nicht selten einseitigen, diffusen bis hin zu Verschwörungstheorien neigenden Kritik an den Medien in einflussreichen Blogs und auf der Straße – Stichwort: Lügenpresse – entgegenzuwirken. Um die Medien wieder zu einem glaubwürdigen Instrument der Aufklärung werden zu lassen bedarf es vor allem eines: journalistischer Arbeit, die diesen Namen auch verdient. Das leistet der Deutschlandfunk allzu häufig erkennbar nicht.
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