Heute hat das Statistische Bundesamt die neuesten Daten zur Entwicklung der Reallöhne veröffentlicht. Die Entwicklung der realen (preisbereinigten) Löhne ist die Differenz aus Nominallohnentwicklung und Verbraucherpreisentwicklung (Inflation). Wir hatten erst jüngst im Rahmen unserer regelmäßigen Analyse zur Ausschöpfung des Verteilungsspielraums festgestellt, dass dieser weder durch die allgemeine Lohnentwicklung, noch durch die Tariflohnentwicklung in den zurückliegenden zwei Quartalen ausgeschöpft wurde (siehe zuletzt hier). Anders als die Arbeitgeberverbände, die Bundesregierung und die Gewerkschaften definieren wir den Verteilungsspielraum als Entwicklung der Arbeitsproduktivität plus Inflationsziel der Europäischen Zentralbank (EZB). Die heute vom Statistischen Bundesamt präsentierten Daten zur Lohnentwicklung unterstreichen die verkehrte Herangehensweise von Bundesregierung, Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften, die nicht das Inflationsziel der EZB, sondern die tatsächliche Inflation als Maßstab für eine angemessene Lohnentwicklung nehmen.
So zeigt die Tabelle des Statistischen Bundesamts, dass die tatsächliche Inflation seit 2013 nicht nur unter dem Inflationsziel der EZB von “unter, aber nahe zwei Prozent liegt”, sondern dass sie über einen weiten Zeitraum deutlich gesunken ist, von zwei Prozent im vierten Quartal 2012 auf 1,5 Prozent im ersten Quartal 2013, dann von 1,6 Prozent im dritten Quartal 2013 ohne Unterbrechung auf schließlich 0,1 Prozent im ersten Quartal 2015. Von da an bis zuletzt schwankte die Entwicklung der Verbraucherpreise zwischen 0,1 und 0,5 Prozent.
Die Nominallohnentwicklung war demgegenüber in 2014 Quartal für Quartal mit 2,7/2,6 Prozent nahezu konstant. Sie bewegte sich auch in 2015 weiter auf einem ähnlichen Niveau. Die Reallöhne stiegen also vornehmlich aufgrund sinkender Preissteigerungen – von null Prozent im vierten Quartal 2013 – in den drei Quartalen davor war die Reallohnentwicklung sogar leicht negativ, weil die Nominallohnentwicklung unter der tatsächlichen Inflation lag, die ihrerseits unter dem Inflationsziel der EZB lag – auf 2,5 Prozent im ersten Quartal 2015. Trotz dieser auf den ersten Blick positiven nominalen und erst recht realen Preisentwicklung wurde der von uns oben definierte Verteilungsspielraum durch die Lohnentwicklung jedoch nicht ausgeschöpft (siehe hierzu auch kritisch gegenüber den Aussagen von Gustav Horn, Leiter des gewerkschaftsnahen Instituts IMK, hier).
Die Arbeitnehmer haben also trotz gestiegener Reallöhne nicht angemessen von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung profitiert – zugunsten der Unternehmensgewinne. Zwar steigerten die Unternehmen auch ihre Bruttoanlageinvestitionen. Die Konsumausgaben der privaten Haushalte aber stagnierten 2013 mit einer Zuwachsrate von real 0,1 und entwickelten sich mit einem Plus von 0,9 Prozent auch in 2014 nur schwach. 2015 erholte sich der private Konsum zwar (+2,1%). Dieser Aufschwung dürfte aber gerade den gestiegenen Reallöhnen zu verdanken sein. Sinken die Reallöhne wieder, weil sie nicht auf angemessenen Nominallohnsteigerungen basierten, sondern auf sinkenden Inflationsraten, könnte der private Konsum bei wieder steigender Inflation davon in Mitleidenschaft gezogen werden. Wir haben zuletzt in unseren Analysen zum Verteilungsspielraum und zum Bruttoinlandsprodukt im dritten Quartal aufgezeigt, warum die Lohnentwicklung für die Gesamtnachfrage der Volkswirtschaft die mit Abstand größte Bedeutung hat.
Um das Inflationsziel der EZB wieder nachhaltig zu erreichen, Preisstabilität und außenwirtschaftliches Gleichgewicht zu gewährleisten, müssten wohl die Löhne erst wieder den Verteilungsspielraum ausschöpfen. Damit würde gesichert, dass das durch Produktivitätssteigerungen gewonnene Produktionspotenzial auf eine entsprechende Nachfrage stößt. Legt man dagegen, wie es die Arbeitgeberverbände, die Bundesregierung und die Gewerkschaften tun, die tatsächliche Inflation zugrunde, besteht immer die Gefahr, dass sich die nominalen Löhne mit sinkenden Preissteigerungsraten nach unten bewegen und mit steigenden Preissteigerungsraten nach oben. Preisstabilität nach den Vorgaben der EZB ist so zumindest nicht gezielt zu erreichen.
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