Wir sind im Rahmen unserer Analysen immer wieder zu dem Ergebnis gelangt, dass ein Kernstück der Agenda 2010, Hartz IV, weder die hauptsächliche Ursache für die Entwicklung der Arbeitslosigkeit berücksichtigt (siehe dazu weiter unten), noch zur Lösung der Arbeitsmarktprobleme beiträgt, sondern diese sogar verschärft. Die negativen Auswirkungen von Hartz IV auf die psychische und materielle Lebenssituation der Betroffenen und auf die allgemeine Lohnentwicklung haben wir ebenfalls immer wieder hervorgehoben. Insgesamt dürfte Hartz IV – neben anderen wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Fehlentscheidungen – damit auch maßgeblich für die Situation derer verantwortlich zeichnen, die sich “abgehängt” fühlen oder sich davor ängstigen, in diese Situation zu geraten. Das wiederum dürfte, wie wir ebenfalls immer wieder bestätigt gefunden haben, die gestiegene Popularität von radikalen Parteien wesentlich befördert haben. So kritisch, wie Hartz IV vor diesem Hintergrund zu bewerten ist, so wenig darf es angehen, in der Kritik wesentliche Entwicklungen falsch darzustellen oder unten den Tisch fallen zu lassen. Ein solches Vorgehen macht es den Befürwortern von Hartz IV leicht, den Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen und kann daher der Aufklärung und der Entwicklung von Alternativen nur im Wege stehen. In diesem Sinne kann eine Anmerkung vom Redakteur der NachDenkSeiten, Jens Berger, auf die uns ein Leser aufmerksam machte, nur kontraproduktiv sein. Wir haben die NachDenkSeiten bereits vor nicht allzu langer Zeit für eine unkritische Übernahme einer Konjunkturberichterstattung von Heiner Flassbeck kritisiert (siehe hier). Die Reaktion des Herausgebers der NachDenkSeiten, Albrecht Müller, darauf war inhaltsleer und verlief weit unter der Gürtellinie, verbunden mit der Aufforderung, sich nicht weiter an anderen abzuarbeiten (siehe hier). Das lädt uns natürlich erst recht ein, die NachDenkSeiten, genauso wie die bekannten etablierten Medien, im Rahmen unserer Medienbeobachtung und Medienanalyse kritisch zu begleiten.
Die Anmerkung von Berger findet sich unter einem Hinweis des Tages der NachDenkSeiten auf eine korrekte Darstellung des Arbeitsmarktes durch die linke Bundestagsabgeordnete Sabine Zimmermann (siehe ).
Jens Berger schreibt dort (fett und kursiv im Original, T.H.):
“Anmerkung Jens Berger: Hinzu kommt, dass sämtliche gemeldeten Daten zum SGB II (also Hartz IV) sich im Dezember, wie schon in den Vormonaten, negativ entwickelt haben. So hatten wir beispielsweise in diesem Dezember laut offiziellen Angaben der Bundesagentur für Arbeit 113.000 mehr ´Regelleistungsberechtigte´ als im Vorjahr. Vor allem für diese Personen sind die Jubelmeldungen ein Schlag ins Gesicht.”
Diese Darstellung von Berger ist unseres Erachtens falsch und irreführend. Man nehme zunächst nur den aktuellen Arbeitsmarktbericht, auf den sich Berger bezieht. Dort heißt es unter anderem zum SGB II (also Hartz IV, kursive Hervorhebung, T.H.):
“Arbeitslosengeld II haben im Dezember 2016 nach aktueller Hochrechnung der Bundesagentur für Arbeit 4.307.000 Menschen erhalten, knapp 6.000 mehr als im November. Saisonbereinigt errechnet sich ein leichter Rückgang von 2.000…
Die Arbeitslosigkeit im Rechtskreis SGB II hat sich im Dezember um 7.000 oder 0,4 Prozent erhöht. In saisonbereinigter Rechnung nahm sie um 11.000 ab, nach -2.000 im November. Der Vorjahreswert wird im Dezember um 100.000 oder 5 Prozent unterschritten, nach -93.000 oder ebenfalls -5 Prozent im November…
Im Jahr 2016 wurden durchschnittlich 414.000 Personen mit arbeitsmarktpolitischen Instrumenten in Kostenträgerschaft des SGB II gefördert. Die Aktivierungsquote lag 2016 im SGB II durchschnittlich bei 17,4 Prozent und 1,3 Prozentpunkte höher als noch im Vorjahr.
Mit 158.000 Teilnehmenden entfielen gut fast zwei Fünftel des Fördergeschehens in der Kostenträgerschaft des SGB II auf Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung. Die Teilnehmerzahl in diesen Maßnahmen ist im Vorjahresvergleich ebenfalls sichtbar gestiegen. Etwa ein Fünftel der Teilnehmenden (95.000) wurde 2016 in Beschäftigung schaffenden Maßnahmen gefördert. Dabei war die Zahl (80.000) der Geförderten in Arbeitsgelegenheiten rückläufig (-7.000) während die Teilnehmerzahl in dem Bundesprogramm Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt 2016 einen durchschnittlichen Wert von knapp 7.000 ausweisen konnte.”
Bergers Feststellung, dass sich sämtliche gemeldeten Daten zum SGB II (also Hartz IV) im Dezember, wie schon in den Vormonaten, negativ entwickelt haben, trifft laut den Informationen der Bundesagentur für Arbeit, auf die sich Berger bezieht, also nicht zu. Vielmehr scheinen sich die Daten zum SGB II (also Hartz IV) fast ausnahmslos verbessert zu haben.
Was nun die weitere Angabe Bergers anbelangt - “So hatten wir beispielsweise in diesem Dezember laut offiziellen Angaben der Bundesagentur für Arbeit 113.000 mehr ´Regelleistungsberechtigte´ als im Vorjahr.” – heißt es zwar im Monatsbericht tatsächlich:
“Im Vergleich zum Vorjahresmonat hat die Zahl der regelleistungsberechtigten Personen um gut 113.000 zugenommen (+2 Prozent). Die Zahl der Bedarfsgemeinschaften ist im Vergleich zum Vorjahr ebenfalls gestiegen (+15.000 oder +0,5 Prozent).” (zur Definition von Regelleistungsberechtigten siehe auch im Glossar der Bundesagentur für Arbeit hier)
Was aber verbirgt sich hinter dieser Entwicklung? Die Vermutung liegt nahe, dass die Fluchtmigration hier eine wesentliche Ursache ist.
Im Monatsbericht selbst heißt es an anderer Stelle (kursive Hervorhebung, T.H.):
“Im Jahresdurchschnitt 2016 waren in Deutschland 2.691.000 Menschen arbeitslos gemeldet, 104.000 oder 4 Prozent weniger als vor einem Jahr. Das ist der niedrigste Stand der Arbeitslosigkeit nach 1991. Weil die entlastende Arbeitsmarktpolitik 2016 insbesondere für geflüchtete Menschen zugenommen hat, ist die Unterbeschäftigung (ohne Kurzarbeit), die solche Effekte berücksichtigt, weniger gesunken als die Arbeitslosigkeit; im Jahresdurchschnitt hat sie sich um 50.000 oder 1 Prozent auf 3.581.000 verringert. Für die Unterbeschäftigung wird der niedrigste Stand seit der Wiedervereinigung ausgewiesen.
Die Entwicklung von Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung war 2016 in spürbarem Ausmaß von den Auswirkungen der Fluchtmigration beeinflusst. So hat für Staatsangehörige aus den acht zugangsstärksten nichteuropäischen Asylherkunftsländern die jahresdurchschnittliche Arbeitslosigkeit um 72.000 oder 95 Prozent auf 148.000 und die Unterbeschäftigung (ohne Kurzarbeit) um 167.000 oder 145 Prozent auf 283.000 zugenommen. Rechnet man für analytische Zwecke die Personen aus den Asylherkunftsländern heraus, hat sich die Arbeitslosigkeit um 176.000 oder 6 Prozent und die Unterbeschäftigung um 218.000 oder ebenfalls 6 Prozent verringert...
Beide Größen – Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung – sind von der Fluchtmigration beeinflusst. So nahm im Dezember sowohl die Arbeitslosigkeit als auch die Unterbeschäftigung von Personen aus den zugangsstärksten nichteuropäischen Asylherkunftsländern zu (vgl. Kasten ´Auswirkungen der Migration auf den Arbeitsmarkt´). Rechnet man für analytische Zwecke Personen aus den zugangsstärksten nichteuropäischen Asylherkunftsländern heraus, ergeben sich für Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung im Dezember saisonbereinigte Rückgänge von 20.000 bzw. 14.000, nach -10.000 bzw. -14.000 im November.
Im Vergleich zum Vorjahr waren im Dezember 113.000 oder 4 Prozent weniger Arbeitslose registriert, nach -101.000 oder ebenfalls -4 Prozent im November. Dabei hat die Zahl der Arbeitslosen aus den zugangsstärksten nichteuropäischen Asylherkunftsländern um 85.000 oder 94 Prozent zugenommen (vgl. Kasten ´Auswirkungen der Migration auf den Arbeitsmarkt´). Die Unterbeschäftigung (ohne Kurzarbeit) ist gegenüber dem Vorjahr insgesamt um 59.000 oder 2 Prozent und für Staatsangehörige aus den nichteuropäischen Asylherkunftsländern geschätzt um 251.000 oder 167 Prozent gestiegen (vgl. 4.6). Der Unterschied zur Vorjahresveränderung bei der Arbeitslosigkeit erklärt sich mit der Ausweitung entlastender Arbeitsmarkpolitik insbesondere für geflüchtete Menschen. Rechnet man auch hier für analytische Zwecke die Personen aus den zugangsstärksten nichteuropäischen Asylherkunftsländern10 heraus, ergeben sich für Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung im Dezember im Vorjahresvergleich Abnahmen von 203.000 bzw. 8 Prozent und 187.000 bzw. 5 Prozent.”
Ein statistischer Sonderbericht der Bundesagentur für Arbeit zeigt einen weitgehend parallelen Verlauf der Anerkennung von Schutz im Asylverfahren und der Regelleistungsberechtigten im SGB II (weiterführende Literatur zu den Auswirkungen der Migration auf den deutschen Arbeitsmarkt, Arbeitslose und Regelleistungsberechtigte im SGB II siehe unten).
Aufschlussreich auch die ebenda interpretierte Entwicklung der Regelleistungsberechtigten und der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten mit einer Staatsangehörigkeit aus den acht nichteuropäischen Asylherkunftsländern:
Warum ist diese Differenzierung so wichtig?…Medienanalyse, Hartz IV: NachDenkSeiten liegen erneut daneben (vollständiger Beitrag im Abonnement)
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