Entwicklung der Tarifverdienste bestätigt unsere Sorge und Kritik

Heute hat das Statistische Bundesamt die Tarifverdienste für das Jahr 2016 veröffentlicht. Sie sind, ohne Sonderzahlungen, lediglich um 1,9 Prozent gegenüber Vorjahr gestiegen. Der geringste Anstieg seit 2011. Der Zuwachs entspricht gerade einmal dem Inflationsziel der Europäischen Zentralbank von “unter, aber nahe zwei Prozent”. Von der gleichzeitigen Entwicklung der Arbeitsproduktivität, sofern sie gestiegen ist, hätten die Arbeitnehmer demnach nicht profitiert. Beide, Inflationsziel und die Zuwachsrate der Arbeitsproduktivität, sollten als Verteilungsspielraum durch die Lohnentwicklung ausgeschöpft werden, um eine gleiche Einkommens- und Vermögensverteilung sowie außenwirtschaftliches Gleichgewicht und damit eine stabile Wirtschaftsentwicklung zu gewährleisten. Das Statistische Bundesamt merkt jedoch an: “Zur Kompensation von Preissteigerungen wird die Inflationsrate in Tarifverhandlungen häufig als Orientierungsmaßstab verwendet. Die niedrigen Inflationsraten der letzten Jahre könnten somit zur moderaten Entwicklung der Tarifverdienste beigetragen haben.” Diese Einschätzung ist zutreffend – und Ergebnis einer falschen Konzeption für Tarifverhandlungen. Sie bestätigt unsere Sorge und Kritik, die sich vor allem die Gewerkschaften gefallen lassen müssen.

So konnten wir bereits vor genau einem Jahr feststellen, dass dem vom DGB am 29. Februar 2016 veröffentlichten Verteilungsbericht eine fatale Definition für den Verteilungsspielraum zugrundeliegt (siehe unsere Analyse hier). Darin haben wir ausführlich begründet, warum die explizite Orientierung des DGB an der tatsächlichen Inflationsrate bei der Lohnfindung äußerst problematisch ist.

Nicht minder problematisch waren in diesem Zusammenhang die wiederholten Äußerungen von Gustav Horn, Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunktur (IMK) (siehe dazu zuletzt hier).

Schließlich hat bereits die Reallohnentwicklung auf das jetzt vom Statistischen Bundesamt thematisierte Problem Hinweise geliefert (siehe hierzu unsere Analyse hier, die zudem deutlich macht, dass die falsche Orientierung der Lohnfindung an der tatsächlichen Inflationsrate nicht nur bei den Gewerkschaften zu finden ist, sondern auch bei der Bundesregierung und den Arbeitgeberverbänden).

Während die Orientierung der Lohnfindung an der tatsächliichen Inflationsrate bei der arbeitgeberorientierten Bundesregierung und den Arbeitgeberverbänden dem einzelbetrieblichen Interesse folgend noch nachvollziehbar erscheint, erschließt sie sich für die Gewerkschaften und Arbeitnehmer erst gar nicht. Und selbst den meisten Unternehmen, die von der Inlandsnachfrage und nicht in erster Linie vom Export leben, fällt jene falsche Orientierung schließlich doch wieder auf die Füße, spätestens dann, wenn die Inflationsrate wieder das Inflationsziel erreicht, wie zuletzt im Januar, und die einer niedrigeren Inflationsrate geschuldete Reallohnsteigerung und die damit verbundene Kaufkraft wieder zunichte macht. Zwischen 2011 und 2015 ist der Anstieg der Verbraucherpreise Jahr für Jahr von 2,1 Prozent auf schließlich 0,5 Prozent gesunken. 2016 stiegen die Verbraucherpreise um 0,5 Prozent. Die Inflationsrate machte dabei im Dezember 2016 einen Sprung von 0,8 Prozent im November 2016 auf 1,7 Prozent. Im Januar 2017, der zuletzt verfügbare Wert, lag die Inflation dann bei 1,9 Prozent (siehe Statistisches Bundesamt hier). Problematisch in diesem Zusammenhang auch, dass die Erhöhung des Mindestlohns sich nicht am Verteilungsspielraum unter Zugrundelegung des Inflationsziels orientiert und somit nicht stabilisierend auf die allgemeine Lohnentwicklung und die Tariflohnentwicklung wirkt (siehe zum Mindestlohn zuletzt ausführlich hier und hier).

Wir berechnen für jedes Jahr und jedes Quartal inwieweit die Lohnentwicklung den Verteilungsspielraum ausgeschöpft hat. Die Berechnungen zur den Tarifverdiensten erscheinen in Kürze im Abonnement ergänzend zu den bereits veröffentlichten Berechnungen zur allgemeinen Lohnentwicklung (siehe hier und hier).

Anmerkung der Redaktion: Just nach Veröffentlichung dieses Artikels veröffentlichte das Statistische Bundesamt die erste Schätzung zur Inflationsrate im Februar: 2,2 Prozent (siehe hier).


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