Es gibt, so scheint es zumindest für die Wirtschaftswissenschaften und den Wirtschaftsjournalismus zutreffend, die ewigen Pessimisten und die ewigen Optimisten. Ein Paradebeispiel für den ewigen Pessimisten ist in Deutschland wohl der Ökonom Heiner Flassbeck, der nunmehr schon seit Jahren das Ende des Euros prophezeit und die Konjunktur regelmäßig in Grund und Boden schreibt – auf durchaus problematischer analytischer Grundlage, wie wir anderswo des Öfteren erläutert haben (siehe zum Beispiel und hier). Ein Paradebeispiel für den ewigen Optimisten ist in Deutschland demgegenüber wohl der Volkswirt und Spiegel-Online Kolumnist Thomas Fricke. Wenn beide eine Gemeinsamkeit haben, dann ist es die, dass die analytische und empirische Basis Frickes nicht weniger fragwürdig erscheint als die Flassbecks.
So schreibt Fricke in seiner jüngsten Kolumne, die gestern erschienen ist: “Frankreichs Export lag Ende 2016 immerhin 18 Prozent höher als vor der Krise 2008.” Er möchte damit seine optimistische These stützen, der er mit folgender Überschrift Ausdruck verliehen hat: “Frankreichs schlummerndes Wirtschaftswunder“. Ein Blick in die Statistik verrät aber nicht nur, dass die französischen Exporte im Dezember 2016 zwar real um 17 Prozent über denen im Dezember 2008 lagen, sondern auch, dass die französischen Importe im selben Zeitraum mit einer Zuwachsrate von über 29 Prozent fast doppelt so stark zulegten. Dass die starke Zuwachsrate im Import kaum auf eine boomende Binnenkonjunktur zurückzuführen ist, zeigen die doch recht dürftigen Zuwachsraten des realen Bruttoinlandsprodukts. Laut Eurostat ist die französische Wirtschaft 2016 sogar leicht schwächer gewachsen als 2015 (2016: 1,2%; 2015: 1,3%). Besonders die letzten beiden Quartale sind mit Zuwachsraten gegenüber Vorjahreszeitraum von unter einem Prozent sehr schwach ausgefallen (1. Quartal 2016: 1,3%; 2. Quartal 2016: 1,7%; 3. Quartal 2016: 0,7%; 4. Quartal 2016: 0,9%). Auch die Zuwachsraten der Unternehmensinvestitionen, die Fricke so positiv hervorhebt, haben sich preisbereinigt in den zurückliegenden zwei Quartalen deutlich abgeschwächt, wenn auch von tatsächlich hohen Zuwachsraten ausgehend. Das legt zumindest die Entwicklung der Bruttoanlageinvestitionen nahe (Bruttoanlageinvestitionen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum: 1. Quartal 2016: 3,2%; 2. Quartal 2016: 4,4%; 3. Quartal 2016: 2,6%; 4. Quartal 2016: 1,4%). Zuletzt, im Februar 2017, lagen die Exporte real zudem um fast drei Prozent (2,7%) unter dem Wert des Vorjahresmonats, die Importe sind im selben Zeitraum um 1,3 Prozent gesunken. Die Konsumausgaben der privaten Haushalte zeigten sich demgegenber vergleichsweise stabil (1. Quartal 2016: 2,1%; 2. Quartal 2016: 2,4%; 3. Quartal 2016: 1,4%; 4. Quartal: 2%). Das französische Amt für Statistik sieht jedoch die Gefahr einer abnehmenden Kaufkraft (siehe hier, Stand: 16.03.2017). In diesem Zusammenhang ist es erwähnenswert, dass der Mindestlohn wie die allgemeine Lohnentwicklung zuletzt kaum noch zugelegt haben.
Fricke zeichnet auch ein positives Bild von der Industrie. Die jüngsten Daten deuten jedoch an, dass die Produktion im verarbeitenden Gewerbe zuletzt gesunken ist; bei gleichzeitig gestiegenen Produktionskapazitäten bedeuten dies einen sinkenden Auslastungsgrad.
Schließlich bemüht Fricke den Einkaufsmanagerindex, der in der Tat ein starkes Wirtschaftswachstum prophezeit. Der Geschäftsklimaindex des französischen Amts für Statistik zeigt aber nach unten (Stand: 23.03.2017, abgerufen am 22.04.2017).
Wesentlicher aber: Der Arbeitsmarkt signalisierte zuletzt – anders als es Fricke mit steigenden Beschäftigungszahlen suggeriert – eine schwächere Entwicklung der wirtschaftlichen Aktivität gemessen an den Ursprungswerten gegenüber Vorjahreszeitraum. Das verrät zumindest unsere monatliche Konjunkturanalyse auf Basis der von Claus Köhler – ehemaliges Mitglied des Sachverständigenrats und des Direktoriums der Deutschen Bundesbank – entwickelten Spannungszahl (siehe zuletzt hier). Unsere Analyse auf Basis der Arbeitsmarktdaten hat zwei große Vorteile: Der Arbeitsmarkt spiegelt, erstens, die Entwicklung der gesamten Wirtschaft und nicht nur von Teilsektoren wider, wie beispielsweise die Industrieproduktion, auf deren Basis der Ökonom Flassbeck immer noch seine Konjunkturanalyse bestreitet. Die Daten des Arbeitsmarktes stehen, zweitens, sehr zeitnah zur Verfügung. Unsere Analysen sprechen zudem dafür, dass der Zusammenhang von Konjunktur und Arbeitslosigkeit ungeachtet aller “Reformen” am Arbeitsmarkt in allen von uns untersuchten Volkswirtschaften und Währungsräumen besonders eng ist.
Nun stimmt es zwar, wenn Fricke schreibt: “In Frankreich gab es zum Jahreswechsel per Saldo immerhin schon 200.000 Arbeitsplätze mehr als ein Jahr zuvor.” (siehe auch die Original-Statistik )
Die Zahl der Arbeitslosen bzw. Arbeitssuchenden (Kategorie ABC [1]) lag zuletzt im Februar 2017 aber lediglich um 49.000 unter der Zahl des Vorjahresmonats. Im Februar waren 5,6 Millionen Menschen arbeitslos bzw. arbeitssuchend (Kategorei ABC), ihnen standen aber nur 248 Tausend offene Stellen gegenüber. Die Arbeitslosenquote lag selbst auf Basis der beschönigenden Methode der ILO bis zuletzt auf sehr hohem Niveau (10%) und ist kaum gesunken (siehe hier). Nach der Methode der ILO ist ein Mensch schon dann nicht länger arbeitslos, wenn er nur eine Wochenstunde arbeitet. Das französische Amt für Statistik hält zudem fest, dass der leicht beschleunigte Anstieg der Beschäftigten vor allem von vorübergehender Beschäftigung getrieben ist (“The slight speeding up in Q4 2016 is primarily due to temporary employment”, siehe hier). Die Beschäftigungsquote ist wiederum zuletzt unverändert geblieben .
Diese nunmehr lang anhaltende prekäre Situation am Arbeitsmarkt und die damit verbundene Perspektivlosigkeit spielt Populisten wie Le Pen voraussichtlich stark in die Hände (siehe bereits auch hier). Bei einer dauerhaft niedrigen Arbeitslosigkeit haben radikale Parteien und Politiker dagegen kaum eine Chance. Das gilt im Übrigen auch für Deutschland, wo der Arbeitsmarkt keineswegs so rosig aussieht, wie es Politiker und Medien hierzulande zumeist darstellen.
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(1) Kategorie A: Arbeitslose, die über gar kein Arbeitseinkommen verfügen. Wir prüfen die Spannungszahl sowohl mit der Kategorie A, als auch mit den Kategorien ABC. Kategorien B und C: Menschen, die eine reduzierte Tätigkeit ausüben, aber auf Stellensuche sind.
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