Wolfgang Lieb, , davor Regierungssprecher und Staatssekretär in Nordrhein-Westfalen, sorgt sich um die Kommunikation im Internet. In diesem Mehrteiler stellt er die dies betreffenden Grundlagen und Zusammenhänge umfassend dar. Dies ist Teil 3. Teil 1 ist hier, Teil 2 ist hier, Teil 3 ist hier erschienen.
Das Internet befördert die Entstehung politischer Parallelwelten und negativer Abgrenzung
“Damit ändert sich der demokratische Prozess und das, was wir unter Öffentlichkeit verstehen – sie fragmentiert und schafft sich ab.” (Cathy O`Neil, a.a.O.) An die Stelle politischer Auseinandersetzung tritt die Selbstbestätigung von Gleichgesinnten. Es entwickeln sich “homogenisierte Teilöffentlichkeiten” mit unterschiedlichen Wahrheitsansprüchen (Jasmin Siri).
Es sind Teilöffentlichkeiten, die – anders als es der Piratenpartei vorschwebte – eben keine “liquid democracy” schaffen, sondern mit ihrer “Eingrenzungslogik” (Andreas Zielcke) im Gegenteil große Gefahren für den demokratischen Meinungsbildungsprozess mit sich bringen. Man braucht nicht, wie die Internetkritikerin Yvonne Hofstetter gleich das “Ende der Demokratie” an die Wand malen, aber feststellbar ist, dass das Netz Gesinnungsgemeinschaften fördert und Gruppen in eine Art selbstverstärkenden Meinungsstrudel geraten können. Eine Wir-gegen-die-Haltung kann entstehen, die sogar Hass sähen und einen Nährboden für Radikalisierung bilden kann.
Das mag zumindest zum Teil erklären, wie aus jungen Männern über das Internet binnen weniger Monate hasserfüllte Gotteskrieger werden können.
Das Internet dient Vielen als Ventil für Ohnmachtsgefühle, Verlustängste oder unbeantwortete Zukunftsfragen und erlaubt einer lautstarken Minderheit entgrenzte Reaktionen und verbale Entgleisungen (Thomas Leif, Die Zeit vom 31. Dezember 2016).
So sah sich etwa die Neue Züricher Zeitung (NZZ) bemüßigt, ihre Kommentarspalte “umzubauen”. In einer Erklärung hieß es: “Wo früher Leserinnen und Leser kontrovers miteinander diskutiert haben, beschimpfen sie sich immer öfter. Wir werden zunehmend als ´Systempresse´ oder ´Propagandaschleuder´ betitelt statt auf inhaltliche Fehler aufmerksam gemacht. In vielen Kommentaren wird nicht mehr Information ausgetauscht, sondern in einer Absolutheit doziert, die andere per se ausschließt.”
Der norwegische Rundfunk lässt Leser Fragen beantworten, bevor sie Artikel kommentieren dürfen (siehe hier) .
Das Internet als Sammelpunkt fremdenfeindlicher Hetze
Verstärkt durch die Fluchtbewegungen des letzten Jahres ist eine nicht mehr überschaubare Zahl “sozialer Medien” zu asozialen Medien verkommen. Das Internet wurde geradezu zu einem Sammelpunkt für fremdenfeindliche Hetze. Der Hass reicht weit über das rechtsextreme Spektrum hinaus, so Johannes Baldauf von der Amadeu-Antonio-Stiftung. Die Stiftung wurde nach Amadeu Antonio Kiowa benannt, der 1990 in Ostdeutschland von Neonazis getötet wurde (siehe die Broschüre der Stiftung zum Thema Hate Speech).
Hinter der digitalen Tarnkappe, oft im Schutz der Anonymität, werden die Grenzen der strafrechtlich noch zulässigen Meinungsäußerungen massenhaft, oft sogar organisiert, überschritten und menschenverachtende Meinungen verbreitet, ohne dass die Betreiber der Dienste (bisher) etwas wirkungsvolles dagegen unternehmen. Man spricht von “empathischer Kurzsichtigkeit”, will sagen, viele Menschen verlieren sobald sie online sind, das Gefühl dafür, welche Wirkung die eigene Äußerung auf das Gegenüber hat (Petra Grimm). Bisher brauchte man auch keine Konsequenzen zu befürchten.
Rechtsextreme und ausländerfeindliche Hetze im Internet hat dramatisch zugenommen. Jugendschutz.net dokumentierte 2014 über 1.400 rechtslastiger Sites. Die Zahl der “mittels Internet” begangenen Volksverhetzungen und Gewaltdarstellungen ist 2015 auf 2300 gestiegen; im Jahr davor waren es gerade einmal 500 (siehe hier). “Nirgendwo sonst kann in so hoher Zahl offen fremdenfeindliche, antisemitische und islamfeindliche Hetze gefunden werden” wie im Internet heißt es im Verfassungsschutzbericht 2014 (S.42).
Parallel zur Zunahme der Hetze ist auch die Gesamtzahl rechtsextremistisch motivierter Straftaten im Jahr 2015 mit 21.933 und die Zahl der Gewalttaten mit 1.408 gegenüber dem Vorjahr enorm angestiegen. Dies entspricht einem Anstieg der Gewalttaten um 42,2 % (siehe hier). Verbale und körperliche Attacken gehören mittlerweile auch zum Berufsalltag von Journalisten (siehe hier).
Rechtsextreme und Populisten nutzen Soziale Medien gezielt
In den Onlinemedien scheinen sich simple Botschaften, Gerüchte, fingierte Geschichten oder sogar Falschmeldungen besonders leicht zu verbreiten. Das kann sich auf die demokratische Debatte und die politische Meinungsbildung auswirken, selbst wenn haltlose Behauptungen als solche entlarvt werden .
Der schnelle Aufstieg der AfD wäre in dieser Form ohne das Medium Internet nicht zu erklären, meint Justus Benderin seinem Buch, “Was will die AfD? Eine Partei verändert Deutschland“.
Bei Pegida-Demonstrationen haben sich bisher im Höchstfall zwanzig- bis fünfundzwanzigtausend so genannte “Spaziergänger” versammelt; die Pegida-Seite auf Facebook hat aktuell jedoch über 200.000 “Likes” (siehe hier). Nimmt man realistischer Weise an, dass diese Seite von vielen Besuchern mit “Freunden” geteilt wird, so kommt man leicht auf eine halbe Million Menschen, die von dieser rechtspopulistischen Internetpräsenz erreicht wird (vgl. dazu die Auswertung der offiziellen Facebook-Seite von Pegida im Auftrag der Süddeutschen Zeitung hier und hier).
Die Seite der AfD hat über 300.000 Follower, mehr als die SPD (120.000) und die CDU (130.000) zusammen. In Frankreich habe Marine Le Pen die zehnfache Zahl an Followern gegenüber François Hollande (Andreas Zielcke, Süddeutsche Zeitung).
Trump mag in seinem Wahlkampf viele Übertreibungen und sogar glatte Lügen eingesetzt haben, aber eine seiner Aussagen, sollte man wirklich ernst nehmen. Seinen Erfolg verdanke er Facebook und Twitter, mehr noch: “Ich glaube, dass soziale Medien mehr Macht haben als Werbegelder.” Trumps Sprecher Sean Spicer behauptet, dass mehr als 45 Millionen Menschen dem jetzigen Präsidenten in den sozialen Netzwerken folgten (siehe Kölner Stadt-Anzeiger vom 3.01.2017, S. 6; Bild 16.01.2017, S. 3; Hillary Clinton hatte angeblich nur 9,9 Millionen Follower; amerikanische Forscher bezweifeln allerdings den Einfluss von Social Media auf die US-Wahlen).
Ob der Einsatz der Datenanalysefirma “Cambridge Analytica“, die auf der Basis von im Netz erhobenen Daten personalisierte bzw. zielgruppenorientierte Werbung anbietet, sich für Trump tatsächlich bezahlt machte oder ob hinter den Aufsehen erregenden Schlagzeilen nur Eigenwerbung der britischen Firmenmanager steht, wird sich erst noch erweisen müssen (siehe hier).
Man liegt aber sicherlich mit der Vermutung nicht ganz falsch, dass Trumps Wahlkampfstil in den sozialen Medien ein besonders geeignetes Kommunikationsmittel gefunden hat (siehe hier). Die Aufnahmebereitschaft für demagogische Parolen scheint groß zu sein. Es galt wohl das Prinzip: “Egal ob Trump die Wahrheit sagt, Hauptsache er hat recht!” (siehe die Karikatur von Jan Rieckhoff in der Süddeutschen Zeitung vom 16.12. 2016, S. 13)
Fake News Meldungen auf Facebook oder die Website ETF news (bekannt durch die Falschmeldung: “Hillary verkaufte Waffen an den IS”) wurden im amerikanischen Wahlkampf beliebter und lösten mehr Interaktionen aus als die Meldungen von New York Times oder Washington Post (siehe hier).
Wie sehr die klassischen Medien geradezu an die Wand gedrängt werden können, das zeigt uns erneut Donald Trump seit seiner Amtsübernahme. Er kann die Journalisten beschimpfen und ihnen ihre Hilflosigkeit demonstrieren, indem er ganz selten Pressekonferenzen einberuft oder Interviews gibt und sich stattdessen im Wesentlichen über Twitter oder über YouTube-Videos – dem “Trump Transition Video” – ohne einen “journalistischen Filter” an die Öffentlichkeit wendet. Und mangels Alternativen, werden diese Botschaften auch von den etablierten Medien aufgegriffen. Originalton Trump: “Die Presse berichtet so unehrlich über mich – so unehrlich -, dass ich mich über Twitter äußere… und sie veröffentlichen es, sobald ich es twittere…“ (Bild-Interveiw vom 16.01.2017, S. 3)
Nicht ganz zu unrecht schreibt Sascha Lobo, spätestens mit Trump müsse man zugeben: “Egal wie plump oder menschenfeindlich es wirkt oder ist – die Rechten haben sehr viel besser verstanden, wie Social Media funktioniert. Und das ist die fatalste Wirkung der sozialen Medien auf Wahlen.”
Auch im österreichischen Präsidentschaftswahlkampf haben Gesinnungsgenossen von Norbert Hofer massiv Propaganda für den Rechtspopulisten gemacht, und Geert Wilders hat bei der Parlamentswahl in den Niederlanden außer über Twitter kaum Wahlkampf gemacht.
In Teil 5: “Social-Media-Tools” als Mittel zur Meinungsmanipulation
Dieser Text ist mir etwas wert
|
|